Sollte er es vielleicht doch den anderen Hütern erzählen? Wie würden sie reagieren, wenn sie erfahren, dass die einzige Chance für die Kinder dieser Welt verschwunden war? Würden sie ihm die Schuld geben? Immerhin war er es gewesen, der vor Elsas Tür gestanden und auf ein Gespräch bestanden hatte...
Du trägst allein die Schuld daran!, durchzuckte es seinen Kopf.
Dir war es auch zu verdanken, dass es die Hüter beinahe nicht mehr gäbe! Dein Leichtsinn ist schuld. DU trägst die Verantwortung!, rief ihm etwas tief aus seinem Inneren zu. Es war so geheimnisvoll, so düster...
Jack Frost hatte nicht geahnt, dass er eine solche Seite noch besaß.
Schuld! Du bist schuld! DU bist die wahre Gefahr!
Der Wintergeist war schockiert über seine eigenen Gedanken. So hatte er bisher nur einmal gedacht. Damals, als er keinen Ausweg mehr gesehen hatte... Doch dass er sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte um Elsa zu schützen, war einige Zeit her. Er dachte, er hätte diese Dunkelheit vertrieben...
Der junge Hüter schüttelte energisch seinen Kopf. Er wollte diese unheilvollen Gedanken loswerden, um jeden Preis! Sich mit Schuldgefühlen und Vorwürfen zu belasten, brachte die Eiskönigin auch nicht schneller zurück. Es mochte sein, dass er der Auslöser für Elsas Schmerzen und somit auch ihr Verschwinden war, doch da war noch irgendetwas... Was hatte Bale mit ihr zu schaffen gehabt? Und die Hüter? Ahnten sie bereits, dass die ekelhafte Finsternis etwas mit Elsa zu tun hatte? Sicher nicht, oder? Sie hätten doch ganz bestimmt etwas unternommen...
Jack selbst wusste nicht viel, zumindest noch nicht. Doch das was er wusste, wollte er erst einmal für sich behalten. So lange, bis er Klarheit über Bales Geheimnisse bezüglich der schönen Hüterin hatte.
Der Weißhaarige atmete tief durch.
Na komm, Jack! Fang endlich mit der Suche an!
Kurz schloss er seine Augen, dann stieß er sich vom Boden ab und verließ das vollkommen überfrorene Zimmer durch das große Fenster.Zögerlich drückte sie die Klinke herunter. Erst vor knapp einer Woche war sie hier gewesen. Trotzdem war es immer noch ein seltsames Gefühl für Anna, hierher zu kommen, all die Gegenstände zu sehen, die einst ihrer großen Schwester gehörten, und sich den Erinnerungen hinzugeben. Überwiegend schmerzlich waren sie, doch die starke Zuneigung zu Elsa ließ all diese verblassen.
Mit einem leisen Knarzen schloss sich die Holztür, die sie mit ihren Fingerspitzen angestoßen hatte, hinter ihr.
Bevor Anna weiter in den Raum hineinging, ließ sie wie gewohnt ihren Blick umherschweifen. Das ordentlich gemachte Bett, das geschlossene, große Fenster ihr gegenüber, die Kommode mit dem Portrait ihres Vaters darüber... Alles sah verlassen aus, so wie die vergangenen fünf Jahre auch. Es bestürzte sie selbst, wie sie noch immer hoffte, ein Zeichen von Leben vorzufinden...
Sie kommt nicht zurück. Niemals..., rief sich Anna in die Realität zurück.
Seufzend ging sie weiter in den Raum hinein, bis sie vor dem Fenster stand und über die Menschen außerhalb des Schlosses sah. Sie wusste, dass Elsa dies früher auch oft getan hatte. Es war ihre einzige Möglichkeit gewesen, sich nicht vollständig von der Außenwelt abzuschirmen. So hatte sie wenigstens noch ein paar Menschen zu Gesicht bekommen können, die auf Befehl des Königs und der Königin nicht mehr in ihre Nähe kommen durften seit sich dieser eine Unfall ereignet hatte... Sicher würde sie aus Gewohnheit noch heute hier stehen, wenn all ihre Arbeiten als Regentin getan wären, doch das tat sie nicht. Elsa war fortgegangen...
Dieser bedrückende Gedanke holte die rothaarige Frau wieder in die Realität zurück, erinnerte sie an den Grund für ihre Anwesenheit in diesem Raum. Sie war hier, um ihrer großen Schwester wieder einmal einen Brief zu schreiben. Es sollte ein weiteres Papier mit Zeichen gefüllt werden, welches die Königin niemals lesen würde. Ja, noch war Elsa die Königin von Arendelle, auch wenn sie bereits mehrere Jahre nicht mehr die Regentschaft führte. Das erledigte nun Kristoff mithilfe von Kai und ihr. Der Berater war es auch, der schon lange Zeit darauf drängte, Anna und ihren Ehemann endlich zu dem offiziellen Königspaar zu ernennen, erst recht da sie nun ein Kind erwarteten, doch Anna konnte noch nicht loslassen. Stattdessen saß sie hier und verfasste einen Brief nach dem anderen...
Wann wird wohl der Tag kommen, an dem ich Elsa gehen lassen kann? Der Tag, an dem ich die vielen Briefe eigenhändig in das lodernde Kaminfeuer werfe?, fragte sich die junge Frau selbst, als sie sich langsam vom Fenster abwandte.
Sie sollte nun beginnen. Zuviel Zeit war bereits verstrichen. Schweren Herzens und mit einem Seufzer auf den Lippen schritt Anna zum Schreibtisch.
Als sie zum ersten Mal am heutigen Tag einen Blick auf die glatte, braun glänzende Oberfläche warf, blieb ihr beinahe die Luft weg. Nicht die etlichen Briefe, die Anna dort zurückgelassen hatte, lagen neben dem Stapel unverbrauchtem Papiers, sondern nur ein einzelner, säuberlich zusammengefalteter. Selbst die zarte Blume, die sie aufgetragen hatte, jeden Tag frisch daneben zu legen, war verschwunden. Wer konnte all ihre Schriftstücke von dem Schreibtisch entfernt haben? Es wusste doch kaum jemand davon... Und wer machte sich die Mühe und nahm auch die zarte Pflanze mit sich?
Misstrauisch und mit etwas Entsetzen in den Augen begutachtete Anna den letzten Brief. Er lag nicht, wie für gewöhnlich, mit dem Schriftzug, der den Namen ihrer Schwester und ein Datum enthielt, nach oben, sondern umgedreht, sodass die blanke Seite in Annas Richtung zeigte. Was hatte das alles zu bedeuten? Wo waren all die aufgeschriebenen Erinnerungen und Gefühle hin verschwunden? Warum waren sie nicht mehr hier? Die Frau mit den roten Haaren griff langsam mit ihren zitternden Händen nach dem Brief. Was sie wohl erwartete, wenn sie ihn umdrehen würde?
Anna atmete tief durch.
Na los! Du kannst dir noch weitere Stunden Löcher in den Bauch fragen, aber Antworten wirst du nicht bekommen, wenn du den Brief nicht liest., versuchte sie sich selbst klarzumachen.
Eine seltsame Angst befiel sie. Etwas war hier geschehen, doch noch wusste sie nicht was und sie befürchtete, dass ihr die Erkenntnis Schmerzen bereiten könnte. Aber ihre geschlossenen Augen machten all dies auch nicht wieder rückgängig. Was auch immer es war, es war geschehen. Anna konnte es nur noch hinnehmen.
Sie gab sich schließlich einen Ruck und öffnete ihre Augen zögerlich. Als die Augenlider den Blick auf den umgedrehten Brief endlich freigegeben hatten, erstarrte die Rothaarige augenblicklich, taumelte zum Stuhl hinter dem Schreibtisch und ließ sich hineinfallen. Erneut las sie die verschnirkelte Schrift, die sie schon so lange Zeit nicht mehr gesehen hatte, so wie deren Urheberin.
Für Anna, stand auf dem hellen Untergrund geschrieben.
Eine stille Träne rollte aus Anna's linkem Auge. Hoffnung regte sich in ihr, doch auch Schmerz durchströmte ihren Körper. Jahrelang hatte die junge Frau mit aller Kraft versucht, jegliche Hoffnungen auf eine Rückkehr ihrer Schwester aus ihrem Kopf zu vertreiben... Doch nun lag dieser Brief in ihren Händen und brachte alle auf einen Schlag zurück. Konnte es wirklich sein, dass Elsa wieder in Arendelle weilte? Und wenn ja, wo war sie nun? Warum war sie nicht gleich zu ihrer Schwester gegangen, schrieb ihr aber stattdessen diesen Brief? Fragen über Fragen schossen durch Annas Kopf. Sie brauchte Antworten, zumindest auf einige davon.
Behutsam trennte sie das rote Wachs mit dem Wappen Arendelles von dem restlichen Papier und faltete den Brief auf. Noch einmal sog die junge Frau die Luft tief in ihre Lungenflügel, dann begann sie zu lesen.
Anna,
Ich danke dir für all deine Briefe. Es freut mich zu lesen, dass du glücklich geworden bist.
Nun bin ich hier, doch ich muss wieder fort. Ich kann dir nicht sagen wohin. Es tut mir leid. Ich hätte gern mit dir geredet, dir alles erklärt, doch das ist mir nicht möglich. Irgendwann werde ich dir alles zeigen und du wirst es verstehen. Irgendwann...
Mach dir keine Sorgen um mich, es geht mir gut.
Ich möchte dir noch sagen, dass ich mich unendlich für dich und Kristoff freue. Ich bin stolz auf dich, meine kleine Schwester.
In Liebe
Elsa.
Anna ließ den Brief aus ihren zitternden Händen auf den Boden gleiten. Stumme Tränen rannen über ihr Gesicht und tropften auf das braune Kleid. Hätte sie ihn doch nie gelesen... Aber es gab kein zurück mehr. Alle neu aufgekeimten Hoffnungen, alle Erwartungen an die Zeilen ihrer Schwester waren mit einem Mal zerstört, zertrümmert von den Worten auf dem Papier...
Nun hatte Anna keinen Ast mehr, an den sie sich klammern konnte. Der Boden unter ihren Füßen war verschwunden, hatte sich mit jedem gelesenen Wort immer weiter aufgelöst, bis sie letztendlich in die Tiefe gestürzt war. Schmerz... Es tat ihr so weh, noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, dass Elsa nicht wieder mit ihr reden würde, solange sie das zurück hielt, was es schon über fünf Jahre tat. Anna hatte ihre große Schwester all die Jahre so sehr vermisst und nun hatte sie ohne ein letztes Treffen Abschied genommen, vielleicht sogar für immer.
Ein erster erstickter Schluchzer entwich ihrer Kehle. Sie konnte ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten. Alles in ihr brach zusammen. Ihre Fröhlichkeit, die sie sonst so auszeichnete, war verschwunden und es fühlte sich so an, als käme sie niemals mehr zurück. Genauso wie Elsa...
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Die verlorene Hüterin
FanfictionDieses Buch ist eine Fanfiction zu "Die Hüter des Lichts" von den Dreamworks Animation Studios und zu "Frozen"/"Die Eiskönigin" von Disney. Noch bevor Jack Hüter wurde, sogar noch vor der Zeit des Hasen, Norths, Sandys und Tooths, gab es eine Hüteri...