Sie hatte den anderen Hütern nichts von ihrer Entdeckung erzählt. Warum auch? Sicher wussten sie, oder zumindest North, bereits von diesem Buch, schließlich befand es sich ja offen zugänglich und seiner Bibliothek.
Behutsam legte Elsa das schwarze Schriftstück auf ihre Kommode. Sie wollte es sobald wie möglich lesen, war die Eiskönigin doch neugierig auf dessen Inhalt, jedoch wollte sie damit bis nach dem Abendessen warten.
Die junge Königin war zwar noch ewig durch die Gänge der Bibliothek geirrt, bis sie endlich die große Holztür wiederfand und es dämmerte auch schon, aber zu Abend wurde erst in einer halben Stunde gegessen.
Was sollte sie in der verbleibenden Zeit machen? Vielleicht wagte sie doch schon einen Blick in das Buch?
Nein, Elsa! Nimm dir dafür Zeit, setze dich damit genau auseinander.
Gelangweilt seufzte sie.
Der schönen Hüterin fiel nichts ein was sie nun tun könnte, also beschloss sie, einfach nur zu warten.Das Geklapper des Bestecks auf den roten Keramiktellern war das einzige Geräusch, welche die Stille durchbrach. Niemand redete, keiner schenkte dem anderen auch nur ein Fünkchen Beachtung und North grinste auch nicht gut gelaunt vor sich hin.
Was war hier bloß los? Was war in den letzten 24 Stunden passiert, wovon sie nichts mitbekommen hatte? War Elsa vielleicht ein Fehler unterlaufen? Wieso waren die Hüter so anders? Ihr Kopf schwirrte von all den Fragen, all den Sorgen in ihr. Sollte sie es wagen, den Weihnachtsmann auf das Verhalten des jungen Hüters anzusprechen? War es ratsam, dies zu tun, wenn Tooth und Hase dabei waren?
Die Eiskönigin grübelte geraume Zeit, entschloss sich dann aber dafür, ihn deswegen zu befragen. Sicherlich würde er mit den anderen darüber sprechen, also warum nicht gleich hier fragen?
"North...", begann sie.
Der Weißbärtige erhob seinen Blick und schaute sie ernst an.
Leicht verunsichert sprach sie weiter: "Ich... Ich wollte dich etwas fragen. Es ist wegen Jack."
Kaum hatte die Eiskönigin den Namen des Wintergeists ausgesprochen, schnellten alle anderen Köpfe in ihre Richtung auf. Neugierig wurde sie von vier Augenpaaren angestarrt.
"A-Also... Wir... Er... Ich...", stotterte sie. Es war Elsa doch etwas peinlich, vor all den Hütern über die Geschehnisse des gestrigen Tages zu reden.
Gütig lächelte North Pole sie an.
"Keine Angst, wir werden nichts erzählen ihm.", beruhigte er die junge Hüterin.
Dankbar blickte sie in seine blauen Augen und begann erneut zu erzählen: "Gestern Nachmittag während unseres Trainings ist etwas passiert, was mich... Was alles verändert hat... Ich bin auf dem See ins schlittern geraten und in einem Schneehügel gelandet. Jack... Er fand das lustig und dann bewarfen wir uns gegenseitig mit Schnee und dann... Alles war auf einmal anders. Ich verstand plötzlich, warum er die letzten Wochen so seltsam war, warum er Abstand zu mir hielt..."
Elsa schaute zu den Hütern hinüber. Gespannt hingen sie an ihren Lippen.
"Wir... Wir lagen im Schnee, er über mich gebeugt, mich ernst musternd. Ich wagte es kaum zu atmen, als Jack sich mir noch mehr näherte. Und dann schloss ich die Augen. Ich war so glücklich in diesem Moment, doch heute... Jack war so abweisend, so aggressiv. Er tat mir weh, North. Was ist mit ihm los? Was habe ich falsch gemacht?", wollte die Königin mit weinerlicher Stimme wissen.
Der Weihnachtsmann hob grübelnd seine rechte Hand vor sein Kinn und strich sich durch den Bart. Eine Weile war es still im Saal, totenstill. Niemand wagte es auch nur einen Finger zu rühren.
Letztendlich erhob der dickbäuchige Mann seine Stimme: "Hm... Das schwierig. Ich nicht genau wissen, was los mit Jack, aber ich werden ihm sagen, er sollen dir nicht weh tun. Er bekommen Ärger dafür."
"Nein, bitte! Ihn bedrückt etwas. Sei nicht zu streng mit ihm. Ich will nicht, dass es ihm noch schlechter geht.", fiel ihm Elsa ins Wort.
Ihre Stimme war voller Besorgnis und Bedauern zugleich. Es genügte schon, dass sie sich selbst schlecht fühlte. Jack sollte es nicht auch noch genauso ergehen, doch was beschäftigte ihn so? Was war es, das ihn dermaßen verändert hatte? War es die Eiskönigin selbst, die ihn in seine Trübsal getrieben hatte?
Immer und immer wieder geisterten ihr dieselben Fragen durch den Kopf. Den ganzen Tag schon. Jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde. Nie hätte die junge Hüterin geahnt, dass sie etwas derart stark mitnehmen würde, wie ihre derzeitige Situation. Nur der Tod des Königspaares und das notgedrungene Abweisen ihrer Schwester hatten ihre Gedanken derart in Beschlag genommen.
Ohne auf jegliche Regungen zu warten, die ihre Bitte ausgelöst haben könnte, stand die schlanke Frau auf und verließ den Saal. Sie brauchte jetzt Zeit für sich allein, Zeit zum Nachdenken. Vielleicht gab es ja auch eine einleuchtende Erklärung für all die Vorfälle dieses Tages. Mit ein wenig Glück käme sie zu einem Ergebnis, das sie verstehen ließ, doch dazu brauchte Elsa Ruhe.Sprachlos schauten sie dem eisblauen Schleier der Hüterin der Liebe hinterher. Gerade verschwand er aus ihrem Blickfeld. Mit einem lauten Knarzen fiel die schwere Holztür ins Schloss. Nun war es wieder still an der langen Tafel.
Lange konnte diese Geräuschlosigkeit jedoch nicht gehalten werden, denn erstaunt brach es aus Toothiana heraus: "Sie liebt ihn wirklich."
Unsicher darüber, ob sie sich freuen oder besorgt sein sollte, fixierte sie noch immer die Tür an. Sicher, als Jack ihnen davon erzählt hatte war sie vor Aufregung quietschend durch den Raum geflogen, doch war ihr durch seine Verzweiflung auch bewusst geworden, wie ernst die Lage wirklich war.
Liebe ist immer etwas Schönes., hallte die Stimme ihrer Mutter durch den zarten Kopf der Zahnfee, Erinnere dich stets daran, mein Kind. Erinnere dich daran, dann bin ich bei dir.
Das waren die letzten Worte ihrer Mutter gewesen, bevor sie starb. Stets hatte Toothiana daran gedacht und empfand sie immer als richtig, doch nun zeigten sich ihr andere Seiten der Liebe. In diesem Fall war sie tödlich und das nicht nur für Elsa. Nein, sie gefährdete alle Kinder dieser Welt.
Das letzte was sie wollte, war Jack einen Vorwurf zu machen. Er konnte schließlich nichts dafür. Der Wintergeist hatte es bereits schwer genug und nun litt er unter seinen Gefühlen. Er tat ihr unendlich leid.
Aber auch Elsa hatte ein schweres Los zu ertragen. Von all den Gründen, die Jack's Verhalten erklären würden, wusste sie nichts und musste so mit ansehen, wie er sich gewaltsam, wenn auch unfreiwillig, von ihr abwandte. Woher sollte sie auch ahnen, dass die Legende der Grund für seine scheinbare Abneigung war? Dass sie sich trotzdem um sein Wohlergehen sorgte, zeigte ihre wahrhafte Liebe dem Hüter des Lachens gegenüber. Und dieses Glück der beiden, jemanden gefunden zu haben, der einen wichtigen Platz in ihren Herzen einnahm, wurde von der tödlichen Gefahr überschattet, die damit einherging.
"Ja... Und genau das müssen wir verhindern."
Bis zu diesen Worten des Osterhasen hatte Toothiana nichts um sich herum mitbekommen. Sie war so in ihren Gedanken versunken gewesen, dass sie das ernste Gesicht des Hasen nicht bemerkt hatte.
Entsetzt musterte sie den blau-grauen Hüter. Er hatte ja Recht damit, dass ihre Liebe Gefahren barg, doch verhindern konnte man eine solche nicht. Dafür war es zu spät.
Bevor die Fee selbst ein Wort äußern konnte, richtete der Weihnachtsmann eine Antwort an Hase: "Nein, Hasemann. Wir garnichts unternehmen. Das müssen Jack schon allein schaffen. Wir nicht können Elsa davon abbringen ihn zu lieben, denn ihr Herz hat entschieden. Und du wissen, die Wahl des Herzens nie falsch."
Zustimmend nickte Sandy.
Doch dem Osterhasen schienen seine entgegengebrachten Argumente nicht auszureichen.
"Aber er schafft das nicht, wie wir sehen.", versuchte er Norths Aussage zu entkräften.
Beruhigend hob dieser seine großen Hände und sagte: "Ruhig, Hasemann. Wir werden sehen. Gib ihm Zeit. Er schon hingekommen das."
"Jack hätte sie fast umgebracht!"
"Aber er nicht getan.", fiel ihm North Pole ins Wort.
"Und warum? Weil du nach ihm gerufen hast. Ansonsten wäre die wiedergeborene Elaine bereits tot, bevor sich die Bedrohung überhaupt gezeigt hat! Es ist zu gefährlich für die Kinder und für uns, ihn unbeobachtet zu lassen!", regte sich der Osterhase auf. Er konnte nicht verstehen, wie die anderen Hütern diese Angelegenheit auf die leichte Schulter nehmen konnten.
"Hase.", begann die Zahnfee, "Jack leidet darunter, Elsa nicht lieben zu dürfen. Er gibt sein Bestes. Du weißt genau, dass man Liebe nicht unterdrücken kann, doch er versucht es dennoch. Es gehört sehr viel Kraft dazu, auch für ihn. Unser junger Freund ist derjenige, der am meisten darunter leidet, nicht du, nicht ich, nicht die Kinder. Er ganz allein."
"Im Moment noch, da hast du Recht, doch bald schon könnten die Kinder dieser Welt unter seiner Gefühlsduselei leiden.", betonte der große Hase mit dem grau-blauen Fell noch einmal.
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Die verlorene Hüterin
FanfictionDieses Buch ist eine Fanfiction zu "Die Hüter des Lichts" von den Dreamworks Animation Studios und zu "Frozen"/"Die Eiskönigin" von Disney. Noch bevor Jack Hüter wurde, sogar noch vor der Zeit des Hasen, Norths, Sandys und Tooths, gab es eine Hüteri...