Tot. Sie sind wirklich tot.
"Wie soll ich das ohne euch schaffen?", schrie sie in einem weinerlichen Ton in die Leere. "Wie?"
Tränen flossen ihr Gesicht herunter. Sie tropfen auf den Boden und gefroren dort zu Eis. Wie damals, als sie dachte, sie hätte ihre kleine Schwester verloren, stand alles um sie herum still. Keine Schneeflocke fiel zu Boden, kein Windhauch regte sich. Die Trauer begann sie aufzufressen, wie die unaufhörliche Brandung den harten Stein.
"Ich kann nicht mehr.", hauchte sie mit zerbrechlicher Stimme, "Ich kann nicht..."
Ihre Stimme brach unter ihren Tränen zusammen. Zusammengekauert und mit angezogenen Beinen, die sie, nach Halt suchend, mit ihren Händen umschloss, lehnte sie an der Tür. Gerade noch hatte Anna mit ihr sprechen wollen. Sie hatte gefragt, warum Elsa nicht auf der Trauerfeier war. Sie konnte doch nicht! Wenn sie dort gewesen wäre, hätte es noch mehr Tote gegeben... Sie weinte wieder.
Plötzlich schrak sie hoch. Elsa hörte eine Stimme, die nach ihr rief, sie lockte. Elsa!
Leise, und wie vom Wind an ihr Ohr getragen, flüsterte sie.
Erschrocken sah sie sich um. Da war niemand. Sie musste sich das wohl nur eingebildet haben. War sie jetzt schon so unberechenbar geworden, dass sie selbst nicht einmal mehr wusste, ob sie ihren Sinnen trauen konnte?
Doch da war sie wieder: Elsa!
Sie sah niemanden.
Elsa!, hauchte die Stimme.
"W-Wo bist du?", fragte sie in den leeren Raum.
Hier!
"Wo? I-Ich sehe dich nicht."
Du kannst mich nicht sehen. Ich rede in Gedanken zu dir., wisperte sie.
"W-Wer bist du?", sprach Elsa, noch immer etwas verunsichert.
Ich bin der, der dir die Angst nehmen kann.
Er konnte ihr die Furcht nehmen, die sie schon die ganzen Jahre über verfolgte? Woher wusste er davon?
"Was willst du von mir?"
Ich will dir helfen., zischelte er mit einem verschwörerischen Unterton.
Das erschien Elsa ungeheuerlich. Derjenige, der zu ihr sprach, wollte ihr helfen. Ihr, einem Monster. Aber warum und woher kannte er sie? Elsa wusste nicht, was sie von ihrem neugewonnenen Gesprächspartner halten sollte. Sie beschloss, ihn nach seinem Namen zu fragen.
"Wie heißt du?"
Es ist nicht wichtig, wie ich heiße, Elsa. Von Bedeutung ist nur, dass ich dich von deinem Fluch befreien kann., wies die Stimme ihre Frage zurück.
"W-Woher kennst du meinen Namen?" Er war ihr unheimlich.
Ich kenne dich schon eine lange Zeit. Viel länger, als du dir vorstellen kannst.
Er kannte sie schon lange? Aber warum schreckte er dann nicht vor ihr zurück? Sie war doch ein Monster! Elsa war mit der ganzen Situation so überfordert, dass sie kein Wort mehr über ihre Lippen brachte.
Auf Wiedersehen, Elsa!, hauchte die Stimme.
Panik ergriff sie. Elsa wollte in diesem Moment nicht allein sein.
"Nein, bleib hier!", rief sie nur, doch sie bekam keine Antwort. Er war gegangen und sie wieder allein. Die Trauer um ihre Eltern holte sie abermals ein. Schluchzend legte sich die Königstochter auf ihr Bett und weinte sich in einen unruhigen Schlaf.Sie schläft schon., bemerkte Jack, als er am Fenster zu Elsas Zimmer ankam. Sie sah schrecklich aus.
Elsa muss wohl den ganzen Tag geweint haben... Sie tat ihm so leid. Hätte er doch nur etwas für Sie tun können, irgendetwas...
Lautlos schlich er sich durch das Fenster an ihr Bett. Er versuchte, keinen Laut von sich zu geben, da er nun wusste, dass sie ihn hören kann. Da stand er nun neben der schlafenden Prinzessin und betrachtete sie.
Du darfst nicht mehr hierher kommen., meldete sich seine innere Stimme und sie hatte Recht. So gern Jack auch bei ihr war, Elsa durfte noch nichts von ihm und den Hütern erfahren.
Sie muss ihren Weg alleine finden.
Noch einmal betrachtete er Elsa, wollte seine Hand ausstrecken, um ihr über ihre blasse Wange zu streichen, hielt aber inne.
Nein, Jack. Das geht nicht! Woher weißt du, ob sie dich nicht auch fühlen kann?
Mit einem traurigen Seufzer flog Jack schließlich aus dem Schloss zu seinem See."Wir müssen ihn von Elsa fernhalten.", beschloss der Weihnachtsmann sicher, das Richtige zu tun.
"Aber North. Was soll er denn sonst machen? Er war doch die letzten achtzehn Jahre sehr zuverlässig, wenn es um die Hüterin ging.", versuchte Tooth Jack zu verteidigen.
"Er ist ihr zu nah. Das nicht gut. Und sie ihn hören", beharrte North Pole weiter auf seinen Entschluss.
"Er sorgt sich doch bloß um sie. Was ist daran so schlimm?" Toothiana verstand nicht ganz, warum der Weihnachtsmann etwas dagegen hatte, dass Jack Frost Elsa weiter für die Hüter beobachtete.
"Das geht nicht, Tooth. Er wird das sicherlich nicht absichtlich tun, aber er wird unsere Chance auf Erfolg zerstören, wenn er zu ihr geht. Und das wird er, da bin ich mir ganz sicher, wenn wir ihn nicht aufhalten. Da gebe ich North Recht.", redete nun auch Hase auf die bunt gefiederte Fee ein.
Tooth überlegte: Eigentlich stimmt es ja, was die beiden sagen. Wir dürfen die Kinder nicht gefährden. Auch nicht, wenn Jack über Norths Entscheidung unglücklich sein sollte. Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis er sie treffen kann.
"Also gut.", richtete sie das Wort an die anderen Hüter, "Jack muss, Wohl oder Übel, von der Hüterin ferngehalten werden. Doch was machen wir in der Zwischenzeit mit ihm?"Die Tage vergingen und Elsa gewann wieder ein bisschen Abstand zu der tiefen Trauer um ihre Eltern. Es fraß zwar noch immer an ihrer Seele, doch nicht mehr so sehr, wie die erste Zeit. Die mysteriöse Stimme, die ihr versprochen hatte, ihr zu helfen, war nicht wieder aufgetaucht, also schloss Elsa, dass sie wohl ihrer Fantasie entsprungen sein musste. Dabei hatte sie gehofft, dass sie endlich jemanden gefunden hatte, der ihr wirklich helfen kann.
Nun war es wieder Abend geworden. Die junge Königstochter hatte wieder einmal den ganzen Tag in ihrem Zimmer verbracht und versucht, ihre Kräfte unter Kontrolle zu bringen, doch es gelang ihr nicht. Verzweifelt darüber saß sie auf ihrem Bett und starrte auf ihre zittrigen Hände.
"Ich werde den Fluch nie überwinden können.", flüsterte sie enttäuscht.
Ich kann dir dabei helfen., lockte eine Stimme.
Erschrocken zuckte sie zusammen.
"Bist du es?", stellte sie die Frage in den Raum, neugierig zu erfahren, ob es wieder dieselbe Stimme war, wie die vor einer Woche.
Ja.
"Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal zu treffen.", gab sie ehrlich zu.
Ich lasse dich nicht allein., beteuerte die leicht rauchige Stimme in einem sanften Tonfall, Ich will dir helfen. Mit mir kannst du endlich frei sein., lockte er.
"Wieso willst du mir helfen?", stellte Elsa diese Frage, da sie immer noch nicht glauben konnte, dass ihr jemand, der von ihren Kräften wusste, freiwillig beiseite stehen wollte.
Weil ich weiß wie es ist, ganz allein dazustehen und weil ich weiß wie es ist, besondere Kräfte zu haben. Ich will dir Freiheit schenken, Elsa. Lass mich dir helfen!
Sie glaubte, sich verhört zu haben. Es gab noch jemanden, außer ihr, der magische Fähigkeiten hatte?
"D-Du hast a-auch magische Kräfte?", brachte sie die Frage gerade so zustande.
Ja. Aber nicht solche, wie du sie besitzt. Ich bin nicht für Kälte zuständig, sondern für Dunkelheit., erklärte er ihr.
Dunkelheit... Das Wort klang noch eine Weile in Elsas Kopf nach. Sie konnte das alles noch nicht so richtig fassen. Sie hatte, nach all den Jahren, endlich jemanden gefunden, der sie verstand. Jemand, der ihr wirklich helfen könnte.
"Wann wirst du mir helfen?"
Geduld. Wenn der Tag gekommen ist, werde ich es dir sagen. Und jetzt schlaf gut, Elsa., hauchte die Stimme ein letztes Mal, bevor sie verschwand.Die Monate zogen ins Land. Elsa trauerte ihren Eltern, über all die Zeit hin, nach und Anna bekam sie noch immer nicht zu Gesicht. Ihr einziger Trost während dieser Zeit war die Stimme, die sie fast jede Nacht besuchte. Sie lenkte Elsa von ihrem Schmerz und ihrer Angst, jemanden mit ihren Eiskräften zu verletzen, ab. Sie verstanden sich gut und Elsa, der eigentlich nicht zum Lachen zumute war, konnte in seiner Gegenwart alles um sich herum vergessen und von Herzen lachen. Er war es, der, zumindest für die Zeit, in der er bei ihr war, ihren inneren Sturm beruhigte und ihr somit alle Lasten für kurze Zeit von den Schultern nahm. Sie fühlte sich ihm verbunden.
Für Jack Frost war diese Zeit eine Zeit der Langeweile. Er wusste nichts mit sich anzufangen, seit er Elsa nicht mehr sehen durfte. Er fühlte ein inneres Zerren, das ihn zu ihr trieb. Es gab Tage, an denen Jack diesem Drang nicht mehr standhalten konnte und nach Arendelle flog. Er scheute sich aber davor, Elsa zu sehen, da sie ihn nicht bemerken durfte.
So flog er jedesmal im Schloss umher und hörte sich bei der Dienerschaft und bei Elsas Schwester um. Das Einzige, was er dabei in Erfahrung bringen konnte, war, dass sie sich nach dem Tod ihrer Eltern nur selten zeigte. Dies tat sie nur, um die Herrschaftsaufgaben, die früher ihre Eltern ausübten, zu erfüllen, doch noch immer sperrte sie das Volk aus. Dieses war darüber aber nicht verstimmt. Alle freuten sich auf die baldige Krönung ihrer neuen, jungen und sicherlich wunderschönen Königin.
Immer, wenn Jack Frost diesen Ausdruck vom Volk Arendelles vernahm, musste er schmunzeln und dachte bei sich: Oh ja. Sie ist bildhübsch. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen. Nichts, was ihrer Anmut gleicht...
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Die verlorene Hüterin
FanfictionDieses Buch ist eine Fanfiction zu "Die Hüter des Lichts" von den Dreamworks Animation Studios und zu "Frozen"/"Die Eiskönigin" von Disney. Noch bevor Jack Hüter wurde, sogar noch vor der Zeit des Hasen, Norths, Sandys und Tooths, gab es eine Hüteri...