Kapitel 13

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Anna zitterte wie Espenlaub. Sie wusste nun, dass ihre Schwester sie mit einem Eisblitz getroffen hatte, wusste, was den Schmerz in ihrer Brust verursachte.
"Dein Leben ist in großer Gefahr, mein Kind.", redete der alte Steintroll, während er die Hände der bibbernden Prinzessin hielt, "Du hast Eis in deinem Herzen. Das war deine Schwester, oder?"
"Kannst du das Eis nicht entfernen?", fragte Kristoff besorgt.
"Tut mit leid, mein Sohn. Der Kopf lässt sich leicht täuschen, aber das Herz...", bedauerte er.
Kristoff sah traurig zu ihr rüber.
"Nur ein Akt der wahren Liebe kann dich retten, Anna.", sprach der Troll weiter.
Kristoff überlegte kurz, dann meinte er: "Komm, Anna. Sven und ich bringen dich zurück nach Arendelle, zu Hans."
Er stützte die junge Rothaarige und lief mit ihr zu Sven, um sie auf seinen Rücken zu setzen. Mit größter Eile rannte das Rentier den Berg hinab, über den Schnee, hin zum gefrorenen Fjord, in dem die Schiffe kalt und leblos vor Anker lagen.
Rasch galoppierte Sven über das massive Eis, auf das Schlosstor zu. Anna klammerte sich bebend an ihren Begleiter. Ihr Haar war schlohweiß und ihr Körper eiskalt. So kalt, wie die Luft um sie herum.
"Halte durch, Anna! Gleich bist du bei Hans. Er wird dich retten.", sprach Kristoff ihr Mut zu.
Einen Augenblick später standen sie vor dem riesigen Holztor. Der blondhaarige Mann klopfte laut an das Holz und nach einer kurzen Weile öffneten zwei Diener die Pforte.
"Ach Gott, du armes Kind!", sagte die eine Dienerin besorgt, als die Prinzessin in ihre Richtung stolperte, "Komm mit rein. Dort kannst du dich aufwärmen, bist ja ganz durchgefroren."
Kristoff erhaschte einen letzten Blick auf das, sonst so taffe, Mädchen, dann schloss sich das Tor vor ihm.

Zaghaft blinzelte Elsa mit ihren Augen. Ihr Kopf dröhnte voller Schmerz und ihr fiel es schwer, ihren Blick auf irgendwas in diesem eigenartigen Raum zu fixieren. Es war seltsam dunkel um sie herum. Nur ein paar einzelne Lichtstrahlen durchschnitten die Finsternis.
Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Beine gaben nach. Sie waren zu schwach, um ihren Körper zu tragen. Die Königin wollte es noch einmal probieren, sich auf ihre Beine zu stellen. Dabei bemerkte sie, dass sie ihre Arme nicht wie gewohnt bewegen konnte. Verwundert blickte sie zu ihren Händen hinab. Sie waren durch Eisen bedeckt und mit Ketten zusammengebunden. Jetzt verstand Elsa. Der dunkle Raum, das kleine Fenster, das kalte Gemäuer, ihre Fesseln... Sie musste in einem Kerker sein.
Ihre Beine zitterten noch immer, doch nun schaffte sie es zumindest, sich aufzurichten. Auch, wenn die junge Hüterin schwankend und unsicher stand, machte sie sich daran, den Raum zu durchqueren und an das hohe Fenster zu treten. Die Königin erblickte nicht viel durch diesen schmalen Spalt, aber was sie sah, erfüllte sie mit tiefstem Entsetzen.
"Was habe ich nur getan?", seufzte sie bestürzt.
Hinter ihr öffnete sich quietschend eine Tür. Elsa drehte sich um und erblickte den rothaarigen Prinzen.
"Wieso hast du mich hierher gebracht?", fragte sie. Er wusste ja nicht, in welche Gefahr er ihr Volk dadurch brachte. Wie sollte er auch?
"Ich konnte nicht zulassen, dass die Meute euch tötet, Majestät.", begann Hans sein Handeln zu erklären.
Hätte er das doch nur zugelassen. Dann wäre keiner mehr in Gefahr...
"Bringt doch einfach den Sommer wieder zurück.", fuhr der Prinz fort und trat einen Schritt auf sie zu.
Sicher wollte er ihr damit nur zeigen, dass er sie nicht als Monster ansah, doch sie war nunmal eine Bestie, die alles um sich herum zerstörte, ohne es kontrollieren zu können. Elsa wich zurück.
"Verstehst du denn nicht? Ich kann nicht, es geht nicht!", verdeutlichte sie verzweifelt, "Wenn ich es könnte, hätte ich es längst getan."
"Dann kann ich nichts für euch tun.", flüsterte er enttäuscht, wandte sich ab und ging.
Was wollte er damit sagen? Würde Hans sie doch noch umbringen? Aber selbst wenn, würde es ihren Sturm zum Ruhen bringen und das Volk Arendelles könnte wieder in Frieden leben. Und Anna... Hauptsache ihr ging es gut.
Mein eigenes Leben ist eh nichts Wert.
Einige Stunden geschah nichts. Elsa kauerte auf dem Boden und starrte in die unendliche Schwärze des Raumes. Still, es war so still um sie herum, beinahe friedlich... Aber sie Königin ahnte, dass dieser Moment nur die Ruhe vor dem Sturm war.
Und da hörte sie schon die strammen Schritte mehrerer Männer, die immer näher kamen.
Elsa schnellte hoch und schaute ängstlich zur Kerkertür. Dort erschienen einige Palastwachen mit scharfen, bedrohlichen Waffen, angeführt von Prinz Hans.
Elsas Angst setzte ihre Eiskräfte frei. Die Wände um sie herum überfroren und das Eis blockierte die Tür. Mit roher Gewalt versuchten die Uniformierten das Holz zu zerbrechen, das sie noch von der Königin trennte.
"Tötet sie!", schrie Hans.
Als Elsa diese Worte hörte, verfiel sie endgültig der Panik ihres Herzens. Ihre Fesseln gefroren, sie knackten unter der Kälte. Die junge Hüterin zog an ihnen. Sie wollte noch nicht sterben, auch, wenn sie es wohl verdient hatte.
Nach einem Augenblick, der endlos zu sein schien, gaben die Eisenketten ein Stück nach. Wilder zog Elsa nun an ihnen, um sich zu befreien, bevor sie Prinz Hans erwischen konnte. Stück für Stück, Zentimeter um Zentimeter, lockerte sich der eiserne Griff des Kerkers...

Sie fiel ihm flehend um den Hals, seinen erstaunten Gesichtsausdruck darüber, dass sie noch lebte, ignorierend.
"Hans, du musst mich küssen!", bettelte sie.
"Oh, wir begeben uns derweil in den großen Saal.", entschuldigten sich die anwesenden Adligen und verließen das Kaminzimmer.
"Anna, was ist passiert? Du bist ja eiskalt! Und dein Haar... Es ist schneeweiß...", fragte Hans besorgt.
"Es... Es war Elsa. Sie hat mich...", Anna musste traurig schlucken, "... mit einem Eisblitz getroffen. Nur ein Akt der wahren Liebe kann mich retten. Hans, bitte!"
Er sah geschockt aus. Anna hatte doch gesagt, dass die Königin sie nie verletzen würde...
Ein Akt der wahren Liebe..., hallte es in seinem Kopf nach.
Hans musste lächeln. Sanft strich er Anna über ihre zarte, unterkühlte Haut. Ihre Augen umspielte ein liebliches Lächeln, als er ihren Lippen immer näher kam.
Kurz nachdem sie, in sehnsüchtiger Erwartung, ihre Augen geschlossen hatte, hielt der Prinz in seiner Bewegung inne und sprach zu ihr in einem gefühllosen, kalten Tonfall: "Oh Anna. Gäbe es nur jemanden, der dich wirklich lieben würde..."
Anna öffnete erschrocken ihre Augen und schaute in das, hämisch grinsende, Gesicht des jungen Prinzen.
"W-Wie meinst du das?", fragte sie mit zerbrechlicher Stimme.
"Ich habe dich nie geliebt, Anna. Als dreizehnter Prinz der Südlichen Inseln wusste ich schon zu Beginn, dass ich nie König werden würde, es sei denn, ich heirate in ein anderes Königshaus ein. Als ich dann zur Krönung der neuen Königin geladen wurde, kam mir das gerade recht.", erklärte der Prinz, ohne jegliche Regung in seiner Stimme, "Natürlich war deine Schwester, als direkte Thronerbin, meine bevorzugte Wahl, aber sie ist kälter als Eis... Dann traf ich dich. Du hast dich so nach Liebe und Zuneigung gesehnt, dass du mich sofort heiraten wolltest.", lachte er böse auf, "Nach unserer Hochzeit hätte die Königin nur noch, durch einen unglücklichen Umstand, ums Leben kommen müssen..." Wieder lachte er.
"Jetzt ist es für mich aber noch viel einfacher. Ich werde der Held sein, der das Monster tötet und Arendelle den Sommer zurückbringt. Du kannst mich nicht aufhalten, Anna."
Die junge Prinzessin spürte, wie die Wut in ihr brodelte.
"Nein, Hans. DU wirst Elsa nie aufhalten können! Sie ist zu mächtig für dich!", schrie sie ihn an.
Er antwortete ihr nicht mehr. Mit einem gellenden Lachen drehte er sich von ihr weg, verließ den Raum und schloss die Tür ab.
Anna stürzte auf das weiße Holz zu.
"Nein!", schluchzte sie. Ihr war so kalt...
Das Feuer im Kamin brannte nicht mehr. Er hatte es gelöscht, bevor er gegangen war.
Ein eisiger Schmerz durchzog ihren Körper. Anna krümmte sich auf dem Boden, ihre zitternden Hände fest an ihren Körper gepresst. Sie würde hier erfrieren... Und Elsa? Anna konnte nur hoffen, dass sie sich retten würde und Hans die gerechte Strafe für seine Taten bekäme.
Die Tür klackte.
Kommt er wieder, um mir doch noch einen Dolch durch mein Herz zu stoßen?, dachte sie.
Doch es war nicht Hans, der nun neben ihr stand. Es war der kleine Schneemann Olaf, der sie bestürzt anschaute.
"Anna!", rief er und stützte sie auf. "Komm, ich bringe dich zum Kamin. Dann machen wir dir ein schönes Feuer und du wärmst dich erstmal ein Wenig auf, ja?", plapperte Olaf weiter, während er eifrig ein paar Scheite Holz zusammensammelte und diese dann anzündete.
"Nein, Olaf! Komm da weg! Du wirst schmelzen!", flehte Anna.
Er lächelte gutmütig.
"Weißt du, einige Menschen sind es Wert, dass man für sie schmilzt."
Trotzdem hüpfte er schnell, über das Sofa, auf das Fenster zu und öffnete es.
"Ich habe mich in Hans getäuscht.", hauchte Anna traurig, "Er hat mich nie geliebt. Ich werde sterben, Olaf. Ich glaube, ich weiß nicht einmal, was es heißt, wahrhaft zu lieben..."
Der kleine Schneemann setzte sich neben die junge Prinzessin und legte ihr mitfühlend einen seiner kleinen Stockärmchen auf die Schulter.
"Liebe heißt nicht, dass man immer perfekt zueinander passt. Liebe ist, wenn man die Bedürfnisse eines anderen über die eigenen stellt. So wie Kristoff, der dich zu Hans gebracht hat, obwohl er dich so nie wiedersehen wird.", erklärte Olaf.
"Kristoff liebt mich?", fragte Anna erstaunt.
"Du hast wirklich keine Ahnung, oder?"
Verlegen blickte sie zu Boden.
Eine neue Kältewelle durchschnitt ihren Körper. Sofort sprang der kleine Schneemann auf und lief zum Fenster, um dieses zu schließen, als er in der Ferne etwas erblickte.
"Moment mal!", rief er aus, "Anscheinend liebt dich Kristoff doch nicht genug, um dich hierzulassen..."

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt