Welcome to New Jersey

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Die Dämmerung bricht langsam über die Stadt herein und wir machen uns auf den Weg zum Schrottplatz. Es war zu riskant bei hellichtem Tag dort hin zu gehen, die Gefahr von jemandem gesehen oder erkannt zu werden war einfach zu groß, und so haben wir die letzten Stunden damit verbracht uns in einem alten, verlassenen Lagerhaus zu verstecken und unsere nächsten Schritte zu besprechen. Ohne weitere Informationen besteht unser Plan aber weiterhin darin, so schnell es geht nach New Jersey zu kommen und zu beten, dass uns dort ein paar Antworten gegeben werden. Der Schrottplatz wirkt wie verlassen, als wir dort ankommen und uns auf die suche nach einem passenden Auto machen. Vielen fehlen bereits einige Teile, manche haben nicht einmal mehr Reifen und so erschwert sich das ganze erheblich. Während unserer Suche halten wir auch nach möglichen Wachleuten Ausschau, welche Nachts hier die Stellung übernehmen aber bisher ist niemand in Sicht. Es ist kurz vor Mitternacht, als mein Blick auf ein verlassenes Auto fällt, welches leicht versteckt hinter einigem Rümpel geparkt steht. Steve befreit es im Handumdrehen und ein blauer SUV kommt zum Vorschein. Er ist in keinem schlechten Zustand, aber ich bezweifle, dass jemand ihn hier vermissen wird. 

»Meine Lieben, das ist unser Ticket nach New Jersey«, sage ich leise und deute mit einem Kopfnicken auf den Wagen. Nat und Steve sehen mich fragend an, und ich weiß genau was sie denken. Habt ihr noch nie ein Auto geknackt? »Ich übernehme das«, füge ich hinzu und gehe zielsicher auf das Auto zu. Steve und Nat folgen mir mit langsamen Schritten, während sie weiterhin unsere Umgebung scannen. Ich ziehe mit eine Spange aus meinem Zopf, biege sie zurecht, knie mich vor die Tür und stecke sie vorsichtig in das Schloss der Fahrertür. »Ein bisschen Old-School-Diebstahl«, murmele ich, mehr zu mir selbst, während ich ich die Spange herumdrehe. Es dauert einen Moment, bis ich einen Wiederstand spüre, eine weitere präzise Drehung und das Schloss springt auf. »Da haben wir's ja«, flüstere ich triumphierend. Langsam öffne ich die Tür, achte darauf, kein Geräusch zu machen, und schlüpfe ins Auto.

»Sicher, dass du das kannst?« fragt Steve skeptisch, lehnt sich in den Wagen und beobachtet mich aufmerksam. Hallo, wie wäre es mal mit ein wenig vertrauen in mein Können? »Du glaubst doch nicht etwa, dass der Wagen in Odessa damals meiner war, oder?«, entgegne ich und das reicht ihm wohl als Erklärung, denn er zieht sich zurück und lässt mich weiter meine Arbeit machen. Ich öffne die Plastikverkleidung unter dem Lenkrad und komme an das Kabelbündel. Es gibt drei entscheidende Drähte, die ich brauche: Stromversorgung, Zündung und Starter. Mit einem festen Ruck ziehe ich die Kabel heraus, hole ein Springmesser aus der Hosentasche, trenne die Isolierung mit einem kurzen Schnitt und drehe zwei der Drähte vorsichtig zusammen, wodurch das Armaturenbrett aufleuchtet. Grinsend sehe ich zu Nat und Steve, der erste Teil ist geschafft. »Jetzt kommt der schwierige Teil«, sage ich und richte meinen Fokus auf den dritten Draht, den Starter. »Wenn ich den hier kurzschließe, sollte es...« Ich verbinde die Kabelenden und plötzlich springt der Motor mit einem tiefen Brummen an. »...funktionieren.« Ich steige aus dem Wagen und sehe in zwei zufriedene Gesichter. Endlich mal ein Erfolgserlebnis. »Nicht schlecht«, sagt Nat anerkennend, während sie sich ins Auto setzt. Steve begibt sich hinters Steuer und ich mach es mir auf der Rückbank bequem. Jetzt kanns losgehen.

Die Nacht war der reinste Horror, Das Auto hat immer mal wieder den Geist aufgegeben, wir standen öfter im Stau und bei jeder Haltestelle musste wir uns Sorgen machen erkannt zu werden. Wir haben uns etwas Proviant und die nötigsten Hygieneartikel gekauft, nur für den Fall, dass wir doch länger als geplant unterwegs sind. Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als ich das Schild »WELCOME TO NEW JERSEY« am Straßenrand entdecke. Es ist ein wirklich schönet Tag und ich öffne ein Fenster, sodass mir der Fahrtwind ins Gesicht weht. Eigentlich ein völlig normaler Tag. Drei Geflüchtete in einem gestohlenen Auto. Es erinnert mich fast an das Konzept eines Roadtrips – natürlich nur, wenn man den Aspekt Geflüchtete, gestohlenes Auto und alles sonst nicht dazu erwähnt. Aber leider lässt sich die Realität nun mal nicht verleugnen. Wo uns das ganze wohl noch hinführt?  

Who the hell am I (german version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt