Good Morning Sam

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Kurz bevor wir den Wald hinter uns gelassen, war Nat endlich wieder zu sich gekommen. Ihre grünen Augen blinzelten verwirrt, als sie sich umsah. »Wo sind wir?«, war das erste, was sie uns gefragt hat. Ihre Stimme klang rau, als sie sich mit einer Hand an den Kopf fasste. Steve und ich hatten uns auf den Weg gemacht, als sie noch bewusstlos war, und jetzt saßen wir in einem alten, heruntergekommenen Auto, das wir nur wenige Meilen entfernt von der zerstörten Basis gefunden hatten, denn von New Jersey nach Washington D.C. zurück zu laufen war ein klares Nein. 

Dieses mal habe ich mich bereit erklärt zu fahren, denn Steve brauchte definitiv eine Pause und Nat kam gar nicht erst in frage. Der Nachthimmel erstreckt sich über uns, Sterne funkeln zwischen den Baumwipfeln, während das Auto durch die leeren Straßen rollt. Ich lasse das Fenster runter, um die kühle Nachtluft hinein zu lassen und ein Blick auf die Rückbank verrät mir, dass Steve und Nat eingeschlafen waren. Es ist ganz still und alle Gedanken in meinem Kopf herumschwirren, heiße ich diese Stille mehr als willkommen. Für heute hatte ich genug von Explosionen und Lärm.

»Alles woran du glaubst, ist ein Konstrukt aus Lügen.«

Mein Griff um das Lenkrad verstärkt sich unwillkürlich beim Gedanken an Zolas Worte. Wieso lässt mich das nicht los? Wieso klingen diese Worte in meinem Kopf so viel bedrohlicher, als sie es sollten? Es ist nicht nur das, was er gesagt hat, sondern vor allem, wie er mich genannt hat: »Mrs. Barnes.« Der Name fühlt sich fremd an und doch... irgendwie nicht. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, während ich versuche, die Bedeutung dahinter zu begreifen. Warum hat er mich so genannt? Ich versuche mir einzureden, dass mein richtiger Nachname vielleicht Barnes war und damals im Krankenhaus einfach ein Fehler begangen wurde, doch in meinem Inneren regt sich etwas, als hätte ein längst vergessenes Puzzlestück seinen Platz gefunden, in einem riesigen Konstrukt aus vielen kleinen Teilen. 

»Es ist erstaunlich, wie leicht sich Erinnerungen nehmen lassen«

Ich habe meine Erinnerungen durch einen Autounfall verloren, doch ich denke nicht, dass es das war, was Zola meinte und vor allem weiß ich nicht, ob diese Erzählung wirklich der Wahrheit entspricht. Da kommen mir die Träume von Bucky in den Sinn, die mich immer wieder heimsuchen – die Momente, die sich so lebendig anfühlen, als hätte ich sie tatsächlich erlebt. Bisher habe ich sie als Fantasie abgetan, als ein Produkt meines Verstandes, doch was, wenn es mehr ist? Was, wenn diese Träume... Erinnerungen sind? Der Gedanke bohrt sich tiefer in mein Bewusstsein, während ich in die Dunkelheit vor mir starre. Ich lache spöttisch über mich selbst. Das ist doch lächerlich. Vielleicht sollten wir uns eher um mich Sorgen machen, als um Nat, denn ich habe anscheinend einen wirklich harten Schlag auf den Kopf abbekommen.

Es ist kurz vor 7 Uhr, als ich das Auto in Sams ausfahrt einbiege und den Motor abstelle. »Aufwachen ihr beiden«, rufe ich zu den beiden Schlafmützen nach hinten. Ist das Sabber, der da aus Nats Mund kommt? Na lecker. Bevor wir den Wagen verlassen, scanne ich unsere direkte Umgebung präzise ab, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass uns jemand gefolgt ist, sehr gering ist. Die Straßen waren fast die ganze Nacht wie leergefegt. Wir verlassen das Auto und Steve stützt Nat, welche immer noch Schwierigkeiten hat sich auf den Beinen zu halten und sich wohl auch den Knöchel verstaucht hat, doch das würde sie ohnehin ignorieren, geschweige denn zugeben. In diesem Moment mustern wir uns zum ersten mal gegenseitig. Ja, wir aussehen wie drei geflüchtete Schornsteinfeger. Ich freue mich jetzt schon auf Sams Gesichtsausdruck. 

Wir gehen den kleinen Schotterweg zu seiner Terassentür hinauf. Ich klopfe dagegen und bete, dass er daheim ist. Ich höre drinnen etwas runter fallen und Sam, der einen Fluch ausstößt, bei dem ich hoffe, dass Steve ihn nicht gehört hat. Bei mir hat er es mittlerweile aufgegeben »Wortwahl« zu rufen, wenn ich mal wieder eine Fluchtirade loslasse. Die Gardinen werden zur Seite gezogen und Sams Gesicht kommt zum Vorschein. Ihm fallen bei unserem Anblick wirklich fast die Augen aus dem Kopf, während er langsam die Türe öffnet. »Guten Morgen, Sam«, sage ich mit dem süßesten Lächeln, das ich in dieser Situation zustande bringe. Sam fährt sich mit einer Hand übers Gesicht und massiert seinen Nasenrücken. »Guten Morgen, Elora«, sagt er gedehnt. Ich würde mal sagen, er freut sich uns zu sehen. »Was ist jetzt passiert?«, fragt er sichtlich schockiert und er wird uns wohl nicht rein lassen, bevor wir ihm darauf nicht eine Antwort geben. Sofort wir alle gleichzeitig zu reden. »Wir wussten nicht, wohin wir sonst gehen sollten«, sage ich. »Wir müssen untertauchen«, redet Steve mir ins Wort. »Alle, die wir kennen, wollen uns töten«, fügt Nat noch etwas gequält hinzu. Jetzt sieht Sam noch verwirrter aus, doch unsere verzweifelten Mienen sind ihm wohl auch Antwort genug. Er tritt zur Seite und bittet uns mit einer Geste herein. »Nein, nicht alle wollen euch töten«, sagt er mit einem Lächeln und wir schlüpfen in die Sicherheit seines Hauses. Sam sieht sich noch einmal kurz um, damit auch niemand uns gesehen hat, schließt dann die Tür und macht die Jalousien wieder zu. Er zeigt uns den Weg zum Bad und bietet uns an, uns erst zu wasche, bevor wir mit einer ausführlicheren Erklärung rausrücken. Das letzte Mal, dass ich mich so über eine Dusche gefreut habe, war an meinem ersten Tag bei S.H.I.E.L.D und das will was heißen. 

Who the hell am I (german version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt