Märchenwelt

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"It is said that we become the woman our younger self would run to for safety."

Sie wollte immer die Prinzessin sein, in den pinken Kleidern, mit der kleinen Krone auf dem Kopf, die frei war, den Tag spielend verbrachte, ohne Verantwortung, glücklich.
Sie wollte über Blumenwiesen laufen, Sonnenuntergänge beobachten, in den Welten der Bücher versinken, um dann in der schönsten Welt aufwachen, wenn sie aufhörte zu lesen.
Sie wollte alle ihre Freunde mit sich nehmen, wollte, dass es ihnen genauso gut geht wie ihr.
Sie wollte ihren Prinzen finden, der sie beschützt, aber auch auf spannende Abenteuer mitnimmt, der für sie all die Drachen in der Welt besiegt.

Sie wollte mit ihrer Familie, ihren Freunden, vielleicht auch noch einigen Tieren in einem Schloss leben, wollte, dass sich alle umeinander kümmerten und alle einander liebten.

Doch niemand hatte ihr gesagt, dass sie diese Welt nicht erreichen würde, dass nie alle einander lieben würden, dass es immer Menschen geben würde, die einander nicht akzeptierten, die andere verletzten, dass sie selbst verletzt werden würde.

Das Kleid wurde dunkelrot, die Krone schwarz.
Die Blumenwiese hat sich in einen Wald verwandelt, dunkel, geheimnisvoll und doch wunderschön.
Sie wollte nicht mehr, dass es ihren Freunden so ging wie ihr, stattdessen wollte sie sie beschützen, vor den Kreaturen des Waldes.
Sie wollte keinen Prinzen mehr, sie wollte stark genug sein, um selbst die Monster zu bekämpfen und sich mit den Drachen anfreunden.

Es war noch immer dieselbe Welt, irgendwo dort draußen gab es diese Blumenwiese, irgendwo da draußen gab es das Schloss, in dem sie das pinke Kleid tragen könnte.
Sie war nur in einem anderen Teil, einem dunkleren, der aber trotzdem wunderschön war.

Sie lernte, trotzdem das Schöne zu sehen, die kleinen Details. Sie lernte, dass man nicht alle Monster besiegen konnte, dass es niemanden gab, der das schaffte. Sie lernte, sich stattdessen mit ihnen abzufinden, friedlich zusammenzuleben, statt sie bekämpfen zu wollen. Sie lernte, dass es unmöglich war, unversehrt aus diesem Teil dieser Welt herauszukommen, dass der wunderschöne Prinz ohne Narben nur eine Illusion war.

Und doch lernte sie auch, die Narben zu lieben für die Geschichten, die sie erzählte. Irgendwann gewöhnte sie sich an die Dunkelheit. Es war nicht das gewesen, was sie sich als kleines Kind gewünscht hatte, aber es war in Ordnung, es war teilweise sogar schöner.

Doch der Wunsch blieb in ihr. Der Wunsch nach der heilen Welt. Sie wusste, dass sie die Welt nicht heilen konnte. Aber sie versuchte, die Menschen, die ihr wichtig waren, zu schützen. Sie akzepierte jeden, der sich zu ihrer Gruppe gesellte, solange diejenigen sich vernünftig verhielten und niemanden verletzten, der ihr wichtig war.

Sie versuchte, jeden Angriff auf ihre Freunde abzufangen. Es war ihr egal, wie sehr sie selbst verletzt wurde, solange es allen anderen gutging. Doch sie schaffte es nicht immer, und die Schmerzen der anderen waren für sie so viel schlimmer als ihre eigenen.

Trotzdem blieb sie stark, schließlich musste sie aufpassen und beschützen.


Sie war nicht zu einer Prinzessin geworden, die beschützt wurde und sicher lebte. Sie war die Königin, die ihre Liebsten beschützte und bis zum Tod für sie kämpfen würde. Sie war die Königin, die ihr als Prinzessin immer gefehlt hatte.

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