(TW: SV, Sm-Gedanken)
"Ich habe es unseren Eltern erzählt", meint meine Schwester plötzlich. Ich erstarre für einen Moment, bevor ich frage: "Und, was haben sie gesagt?"
"Sie haben erstmal die Symptome gegoogelt, und sind dann zu dem Schluss gekommen, dass es eine Art Derealisation sein müsste", erzählt sie. Ich nicke. Dasselbe habe ich rausbekommen. Das Gefühl, dass man das, was man gerade erlebt, nicht wirklich selbst erlebt, sondern das ganze wie aus der Sicht einer dritten Person erlebt, als wäre man nicht mehr in seinem eigenen Körper. Es kann eine Reaktion des Körpers auf Stress sein, ein Symptom von Panikattacken."Sonst noch was?", frage ich. "Wenn es nicht besser wird, gehen sie wahrscheinlich mit mir zum Arzt", antwortet sie. Ich nicke nur.
Es überrascht mich ein wenig, dass sie mit unseren Eltern darüber gesprochen hat. Normalerweise versuchen wir, sämtliche Krankheiten, Verletzungen oder Ähnliches vor ihnen so gut wie möglich geheim zu halten. Wahrscheinlich eine Reaktion darauf, dass sie uns früher immer nur gesagt haben, dass es nicht so schlimm ist, oder aber uns Vorwürfe gemacht haben, dass wir besser hätten aufpassen sollen, dass wir uns nicht verletzen beziehungsweise anstecken. Oder aber unsere Mutter hat ein viel größeres Drama daraus gemacht, als eigentlich nötig gewesen wäre, weshalb wir möglichst schnell versucht haben, das Ganze weniger schlimm dastehen zu lassen, egal, wie schlimm wir es wirklich fanden.
Dass sie bei meiner Schwester jetzt so darauf reagiert haben, überrascht mich deshalb ziemlich. Es ist eine Reaktion, wie man sie sich erwarten und wünschen würde. Du hast ein Problem, also nehmen wie das ernst und versuchen, dir zu helfen.
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Tränen laufen in Strömen über meine Wangen. Ich bekomme kaum Luft. Meine Eltern sitzen mir gegenüber, schauen mich mit erwartungsvollem und zugleich verständnislosem Blick an. Mein Frühstück steht beinahe unberührt vor mir. Mir ist schlecht, ich bekomme keinen Bissen mehr runter. "Willst du uns vielleicht auch mal sagen, was mit dir los ist?", fragt mein Vater genervt. Ich versuche, zu sprechen, doch es kommt kein Ton heraus. Stattdessen stehe ich auf und fülle mir ein Glas mit Wasser. Ich trinke einen Schluck, in der Hoffnung, dass ich damit den Kloß herunterspülen kann, der sich in meinem Hals gebildet hat. Doch stattdessen verdichtet der sich nur noch mehr und lässt mich das Wasser beinahe wieder hochwürgen. Ich stelle die Tasse wieder ab und verschütte dabei fast noch etwas, weil meine Hände so stark zittern.Meine Mutter wirft meinem Vater einen mahnenden Blick zu und wendet sich danach an mich. "Wir können dir nicht helfen, wenn du nichts sagst", erinnert sie mich, allerdings auch nicht so freundlich, wie man es nach dem Blick gerade vermuten würde. Als ob ich das nicht wüsste. Aber dafür müsste ich erstmal sprechen können.
Ich setze mich wieder zurück an den Tisch, allerdings diagonal von meinem eigentlichen Platz. Mein Blick ist starr auf den Boden gerichtet. Allein der Anblick von meinem Essen lässt die Übelkeit noch schlimmer werden, und den Blicken meiner Eltern kann ich gerade definitiv nicht standhalten. Diese brennen sich immer noch in mich, als würden sie versuchen, bis in meine Seele zu schauen, um dort Antworten zu finden. Wenn es doch so leicht wäre.
Ich treffe eine Entscheidung, die ich bereits kurz danach wieder bereuen würde. Doch in diesem Moment sehe ich keine andere Lösung.
Ich schiebe die Ärmel meines Oberteils hoch und drehe die Innenseiten meiner Arme nach oben.Meine Eltern schauen mich noch immer verständnislos an. Ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt gesehen haben, was ich gemacht habe, oder ob sie einfach nicht verstehen sollen, was sie dort sehen sollen.
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Gedankenwelt
RandomDies ist ein Einblick in all die Gedanken, die mich Tag täglich im Leben begleiten, und auch in ein paar Träume. !Achtung! !TW! Beschreibung von Selbstverletzung und Suizidgedanken in manchen Kapiteln! (sind einzeln gekennzeichnet) Teilweise Texte...