Es geht mir gut.

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(TW: SV)

Es geht mir gut. Natürlich geht es mir gut. Das muss es doch, oder?
Ich meine, warum sollte es mir nicht gutgehen? Ich bin in der Schule, doch habe zum ersten Mal seit Tagen dort keine Kopfschmerzen. Ich habe gerade eine Klausur geschrieben, und die lief eigentlich echt gut. Vermute ich zumindest. Es ist Pause, die anderen aus der Klasse unterhalten sich in kleinen Grüppchen.

Es geht mir gut. Ich hatte vor der Klausur keine Panik. Ich werde in der nächsten Woche keine Klausur schreiben, ich habe ab morgen langes Wochenende. Ich werde Zeit mit meinem Freund verbringen, die freien Tage ohne lernen genießen können.

Es geht mir gut. Niemand denkt, dass es anders sein könnte. Warum denke ich es? Ich sollte es nicht denken. Ich rede mir am Ende nur noch ein, dass es anders sein könnte. Oder ist es das vielleicht auch? Geht es mir vielleicht gar nicht so gut, wie ich es gerne hätte, wie ich es mir gerade einrede?

Nein. Es geht mir gut. Es gibt keinen Grund, warum es anders sein sollte, also geht es mir gut.

Aber warum zittern dann meine Hände? Warum sind die Gedanken in meinem Kopf am Rasen? Warum schreibe ich das hier gerade? Warum breitet sich in mir gerade dieses Scheißgefühl von Panik aus?

Nein, nein, nein. Stopp. Es geht mir gut. Ich muss es nur oft genug sagen, dann stimmt es.

Würde mich jetzt jemand fragen, wie es mir geht, würde ich sagen, dass es mir gutgeht, in der Hoffnung, dass sie das Zittern nicht sehen, die Lüge nicht raushören.

Stop. Es ist keine Lüge, es geht mir gut. Es darf nicht anders sein. Ich bin in der Schule, die Pause ist gleich vorbei. Es darf mir jetzt nicht schlecht gehen. Ich muss mich konzentrieren können. Ich bin doch die gute Schülerin. Die anderen dürfen nicht merken, dass irgendetwas nicht stimmt.

Es geht mir gut. Ich wiederhole diesen Satz auf Dauerschleife in meinem Kopf, die einzige Konstante darin gerade. Alles andere versinkt im Chaos. Ich atme tief durch. Es geht mir gut. Ich versuche, das Zittern zu unterdrücken, verwandle es damit aber nur in ein inneres Zittern. Egal, es sieht niemand. Nach außen ist die Fassade aufrecht. Es geht mir gut. Ich muss es nur oft genug denken, dann werde ich es auch fühlen, dann wird es stimmen.

Ich umklammere meinen Arm mit meiner anderen Hand. Es geht mir gut. Die Gedanken, die ich gerade bekomme, haben hier nichts zu suchen. Es geht mir gut, es gibt keinen Grund, warum ich mich jetzt verletzen sollte. Es geht mir gut. Trozdem kratze ich mich. Warum?

Es geht mir gut. Der Satz verwandelt sich in einen panischen Hilfeschrei, aber er wird nie nach außen dringen. Ich will das irgendjemand fragt, wie es mir geht, dass irgendjemand die Lüge in dem "Es geht mir gut" erkennt, das darauf kommen würde, aber ich will es niemandem erklären müssen. Ich kann es niemandem erklären. Ich verstehe es doch selbst nicht einmal.

Warum geht es mir nicht gut? Es gibt keinen verdammten, vernünftigen Grund! Das Zittern, die Gedanken, das Chaos, die Panik und Verzweiflung - für die gibt es keinen Grund! Ich kann es nicht ändern, nicht jetzt, nicht so, das ist mir klar, aber ich will es wenigstens verstehen können. Ich will eine Antwort darauf haben, warum es mir so geht, warum es nicht einfach die Wahrheit ist, wenn ich sage:

Es geht mir gut.

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