Colaris

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Colaris war ein Planet, wie Bloom ihn so noch nie gesehen hatte. Sie war natürlich ziemlich überrascht gewesen ihn ganz anders vorzufinden, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Dem Namen zufolge hatte sie farbenprächtige Landschaften und Architekturen erwartet. Vielleicht sogar Farben, die sie gar nicht kannte.

Doch der Blick, der sich ihr bot, war das genaue Gegenteil: Die Bäume trugen silberne Blätter, die im Sonnenlicht leicht schimmerten. Die zarten Blüten waren so weiß wie Schnee. Das Gras war dunkelgrau und der Himmel war von einem weißgrauen Schleier überzogen. Auch die Gebäude waren in verschiedenen Weiß- und Grautönen gestrichen, und so wie sie es aus der Ferne erkennen konnte, waren die Menschen ebenfalls in denselben Farbtönen gekleidet.

Sie fühlte sich wie in einem Schwarzweißfilm.

Mit der Ausnahme, dass sie die Einzige war, die bunt blieb.

Und ihr... Begleiter.

Mir ist klar, wie faszinierend unsere Umgebung ist, Bloom, aber die Besichtigungstour sollten wir auf ein anderes Mal verschieben.

Sie zuckte zusammen, als seine Stimme in ihrem Kopf erklang. Widerwillig drehte sie sich von dem Fenster weg, und begegnete dem belustigten Blick ihres Gegenübers.

Mitten in der Nacht hatte Valtor sie zu sich auf die Lichtung gerufen. Seinen Worten nach zu urteilen, war es, um gegen Alastair vorzugehen. Leider dachte er wohl, dass das schon Erklärung genug gewesen war, denn er hatte sofort ein Portal erschaffen, durch das sie passieren sollten. Sie hatte gerade noch so herausbekommen, wohin es sie verschlug, bevor sie hier angekommen waren.

Planet Colaris.

Und zwar in den Palast von Ranges, der Hauptstadt von Colaris, um genauer zu sein. Schon seit einiger Zeit gingen sie durch die Flure und Bloom hatte sich bisher gut zusammenreißen können, um nicht einfach stehen zu bleiben und alles zu bestaunen. Im Palastinneren sah es unbeschreiblich schön aus. An Wänden und Decken hingen weiße Banner mit dem Wappen des Planeten in Silber draufgestickt. Riesige Säulen hielten die Decke aufrecht und waren umschlungen von Pflanzen mit silbernen Blüten. Türen aus schneeweißem Holz und silbernen Verzierungen waren da und der Boden aus weißen Fliesen glänzte im Licht. Die klaren Diamanten an den Kronleuchtern fingen das Licht auf und streuten es durch die Gänge.

Es ähnelte beinahe schon einem wahren Winterpalast.

Nur die Anwesenheit Valtors brachte sie dazu sich darauf zu konzentrieren, unentdeckt zu bleiben... und darauf, ihre Deckung nicht fallen zu lassen. Neben dem Unsichtbarkeitszauber hatte sie nämlich noch einen kleinen Schutzzauber um sich herum errichtet. Nur für den Fall, dass Valtor sie aus dem Nichts angreifen würde. Ob er davon wusste, war ihr herzlich egal.

Vielleicht könnte ich mich besser konzentrieren wenn ich wüsste, was wir hier genau wollen?, konterte sie.

Alastair in die Quere kommen, natürlich. Du liebst sowas doch.

Sie unterdrückte den Impuls die Augen zu verdrehen.

Und wie wollen wir das anstellen? Was will er überhaupt hier in diesem Palast?

Hast du jemals vom Diadem der Rabenprinzessin gehört?

Nein.

Das Diadem ist ein sagenumwobener Schatz, der sich auf Colaris befindet. Das will er stehlen.

Gut, immerhin eine direkte Antwort.

Und wir wollen das verhindern?

Ganz genau.


Sie verengte die Augen und starrte ihn an. Es beschlich sie ein ungutes Gefühl bei der Sache.

Und wie stellen wir das an?

Wir bringen es an einen sicheren Ort.


Wütend funkelte sie ihn an. Du willst es stehlen!

Er zuckte nur mit den Schultern. Nenne es, wie du magst, aber wir sollten unsere Zeit nicht vergeuden. Je länger wir hier stehen bleiben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir entdeckt werden.

Dann drehte er sich um und lief einfach weiter ohne auf sie zu warten.

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und biss ihre Zähne zusammen. Hätte sie doch nur gewusst-! Ach, was dachte sie da überhaupt! Das war doch Valtor! Warum war sie überhaupt überrascht? Natürlich war er hier, um ein weiteres magisches Artefakt zu stehlen! Und sie konnte gar nicht genau sagen, ob er es wirklich tat um zu verhindern, dass es Alastair in die Hände fiel, oder ob er es einfach nur für sich alleine haben wollte.

Möglicherweise sogar beides.

Und sie konnte nicht einmal was dagegen unternehmen! Würde sie gegen ihn vorgehen und er würde sie hier zurücklassen, so war sie auf diesem fremden Planeten praktisch gestrandet! Sie wüsste nicht, wohin sie gehen sollte, und sie hatte keine Lust von den Palastwachen gefunden zu werden.

Immerhin war sie nun genauso ein Eindringling, wie Valtor auch!

Kochend vor Wut setzte sie ihren Weg fort und folgte dem Schwarzmagier durch den Flur.

Und wie wollen wir es überhaupt finden?, fragte sie. Weißt du, wo es ist?

Es gibt ein unterirdisches Tunnelsystem unter dem Palast. Unsere Aufgabe ist es, den Weg dorthin zu finden. Alles andere kommt später.

Hast du eine Vermutung, wo dieser Weg sich befinden könnte?


Die habe ich. Und jetzt still. Ich muss nach den Wachen Ausschau halten.

Natürlich musste er ihr ausgerechnet diese Information vorenthalten. Immerhin wusste sie jetzt, was sie hier wirklich taten, auch wenn es ihr ganz und gar nicht gefiel. Sie überlegte, ob sie ihn doch noch irgendwie davon abhalten könnte, dieses bedeutsame Diadem zu stehlen...

Auf einmal blieb er abrupt stehen und sie wäre fast gegen ihn gelaufen. Er hielt seine Hand hoch, als Zeichen zu warten. Irgendwo aus der Ferne waren mehrere Schritte zu vernehmen und ein seltsames Geschepper hallte durch die Gänge. Valtor verharrte noch etwas in seiner Position, dann drehte er sich zur Wand um, ging einen Schritt auf sie zu und verschwand. Verschwand im Sinne von: Er lief durch die Wand hindurch.

Bloom stand etwas ratlos da, den Blick auf die Stelle an der Wand geheftet, wo Valtor hindurchgelaufen war. Sie legte eine Hand dagegen, spürte jedoch nur kalten, harten Stein. Die Schritte und das Geschepper kamen immer näher und sie warf einen hastigen Blick über die Schulter. Was nun? Sollte sie in die entgegengesetzte Richtung fliehen?

Noch bevor sie etwas machen konnte, griff jemand nach ihrem Handgelenk und riss sie nach vorne, durch die Wand hindurch. Sogleich ließ Valtor sie los und sie stolperte noch ein paar Schritte nach vorne.

Wütend funkelte sie ihn an. „Eine kleine Vorwarnung nächstes Mal, bitte!"

Er schnaubte nur. „Es ist nicht meine Schuld, dass du so einen einfachen Zauber nicht kennst. Ich dachte, Alfea pflegt ein hohes Bildungsniveau was Magie angeht. Scheinbar erwarte ich da zu viel von einer Feenschule..."

„Zu deiner Information ist Alfea eine der bekanntesten Eliteschulen aus der gesamten Magischen Dimension! Bloß, weil ich einen Zauber gerade nicht kenne, heißt das nicht, dass unsere Schule in irgendeiner Weise schlecht ist!"

Während ihrer aufgebrachten Rede hatte er ihr den Rücken gekehrt, und schritt eines der vielen Bücherregale ab. Nur am Rande nahm sie wahr, dass sie sich in einer Art Bibliothek befanden. Doch ihre Aufmerksamkeit war gerade ganz woanders.

Was fiel ihm überhaupt ein aus dem Nichts Alfea zu kritisieren?!

„Nur weil du gewisse Vorstellungen hast, heißt das noch lange nicht, dass sie unbedingt gut sind-!"

„Was gut und was nicht gut ist, darüber lässt sich ewig streiten, vor allem da unsere Meinungen grundverschieden sind, so wie es aussieht." Mit seinen Fingern fuhr er über die Einbände verschiedener Bücher. „Ich würde also vorschlagen", er zog an einem der Einbände und von irgendwoher im Raum erklang ein lautes Klacken, „du gehst schon mal vor und alarmierst mich, wenn dir Wachen begegnen."

Das brachte ihre Tirade abrupt zu einem Halt. „Warte mal, ich soll da alleine hin? Woher soll ich wissen, dass ich auf dem richtigen Weg bin?"

„Folge einfach dem Tunnel. Die Tür ist kaum zu verfehlen."

Sie verengte die Augen. „Und was willst du hier machen?"

„Die Büchersammlung bestaunen. Keine Sorge, ich brauch nicht lange, und jetzt hopp, hopp." Nicht einmal zu ihr umgedreht hatte er sich. Er hatte sogar ein Buch herausgeholt und schlug es demonstrativ auf.

Wieder spürte sie die Wut in sich aufsteigen.

Schön.

Das war sogar besser so.

Während er hier beschäftigt war, könnte sie sich ja überlegen, wie sie ihn davon abhalten könnte, das Diadem zu stehlen. Wenn sie als Erste bei diesem kostbaren Schatz ankam, dann hatte sie genug Zeit ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Vorausgesetzt sie fand einen.

Eilig ging sie in die Richtung, aus der sie das Klacken vernommen hatte. Sie fand den Eingang tatsächlich an einer der Wände. Dahinter gähnte ihr die Dunkelheit entgegen, und sie konnte kaum irgendwas erkennen. In der Ferne vernahm sie das Echo einer tropfenden Flüssigkeit.

Ein kleiner Schauer jagte ihr über den Rücken. Dann aber straffte sie ihre Schultern, erschuf eine Flamme in ihrer Hand und trat erhobenen Hauptes der Schwärze entgegen.

Ihre Schritte hallten von den Wänden wider und als sie ihren Arm hob, damit ihr magisches Feuer noch mehr von der Umgebung beleuchten konnte, bemerkte sie einen tiefen Abgrund zu ihrer Linken. Zu ihrer Rechten erstreckte sich eine riesige Felswand scheinbar bis ins Unendliche und vor ihr lag ein einzelner schmaler Pfad. Vorsichtig ging sie weiter und hielt sich dabei so weit wie möglich von der Schlucht entfernt.

Sie war schon genug solcher Schluchten hinuntergestürzt und sie hatte nun wirklich keine Lust ihr Glück auszutesten.

Außerdem verstrich hier kostbare Zeit. Je schneller sie zum Diadem kam, desto besser.

Bei diesem Gedanken beschleunigte sie ihr Tempo.

Die magische Flamme vor ihr flackerte auf einmal stark und sie gab ihr noch einen weiteren Magieschub, damit sie wieder zur Ruhe kam. Kurz darauf stabilisierte sie sich wieder.

Merkwürdig. An sich hatte sie hier keinen Windhauch spüren können...

Ach ja, bevor ich es vergesse: Tu mir den Gefallen, Bloom, und fasse nichts an, sobald du den Raum betrittst. Behalte das Diadem einfach im Auge und warne mich vor den Wachen, verstanden?

Bloom erschrak so sehr vor der plötzlichen Anwesenheit seiner Stimme in ihrem Kopf, dass sie fast die Konzentration über ihre Magie verlor. Wieder erzitterte ihre Flamme.

Verstanden, antwortete sie ihm nur knapp.

Gut.

Dann war wieder Stille.

Sie atmete tief ein und wieder aus und konzentrierte ihre Magie erneut auf das Stabilisieren ihrer Flamme. Diesmal dauerte es etwas länger, was Bloom mit Missmut feststellte.

Hätte er sie nicht abgelenkt, würde sie sich jetzt nicht damit herumschlagen müssen.

Doch nach ein paar Schritten, fing das Feuer erneut an zu flackern. Genervt beschloss sie einfach weiterzugehen um ihre Zeit und Energie nicht mehr zu vergeuden. Bald würde Valtor schon nachkommen und sie hatte keine Lust hier weiter mitten im Tunnel herumzustehen.

Leider hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihre Lichtquelle mit den nächsten Schritten rapide schrumpfen und kurz darauf erlöschen würde.

Erschrocken blieb sie auf der Stelle stehen und versuchte ihre Magie wieder zu sich zu rufen. Vergebens. Etwas blockte sie.

Um sie herum war alles komplett schwarz. Sie konnte absolut nichts erkennen.

Was war das überhaupt für ein Tunnel? War hier etwa eine Art Zauber verhängt, der verhinderte, dass man seine Magie verwenden konnte? Oder war es etwas anderes?

Wusste Valtor davon?

Er hätte sie doch gewarnt, oder?

Oder er hatte sie genau deswegen als Erste vorgehen lassen.

So oder so, eines stand fest: Sie wollte keine Sekunde länger als nötig hier verweilen. Wer wusste nämlich, was hier in der Dunkelheit alles lauerte.

Vorsichtig legte sie ihre Hände auf die Felswand um sich dort entlang zu tasten, musste aber einen entsetzten Aufschrei unterdrücken, als sie etwas Glitschiges spürte. Schnell legte sie ihre Hände an eine andere Stelle und war froh, als sie raue Felskanten spürte. Mit der Schuhspitze tastete sie den Boden vor sich ab, bevor sie dann einen Schritt vorwärts ging. Dann wiederholte sie den Vorgang. So ging sie dann voran. Obwohl sie versuchte, so vorsichtig wie möglich zu sein, war sie dennoch einmal fast ins Leere getreten. Zum Glück hatte sie sich ganz fest an die Felsen geklammert und konnte sich halten. Nach ein paar tiefen Atemzügen, um ihr rasendes Herz zu beruhigen, setzte sie ihren Weg wieder fort.

Es dauerte gar nicht lange und ihr Fuß, den sie wieder nach vorne ausgestreckte hatte, stieß an etwas Metallartiges. Sie zog ihren Fuß daran entlang und stellte fest, dass es den gesamten Weg blockierte. Mit den Händen tastete sie über die glatte, kühle Oberfläche, bis sie über einen Spalt fuhr.

Natürlich. Die Tür!

Sie drückte dagegen und tatsächlich ging sie ohne großen Widerstand auf. Dahinter war es unglaublich hell, sodass die Fee geblendet das Gesicht mit ihren Armen verdeckte. Dann nahm sie sie langsam wieder weg und...

Der Raum, in dem sie sich befand, war so groß wie ein ganzer Ballsaal. Überall auf dem schwarzweiß ausgelegten Fliesenboden lagen Gesteinsbrocken. An den Wänden standen noch Überreste einst mächtiger Säulen. Die Wände selbst waren auch teils abgebröckelt oder von Rissen durchzogen, sodass man die eingemeißelten Muster auf ihnen kaum noch erkennen konnte.

Vorher hatte Bloom gedacht, es wäre so hell im Raum, weil irgendwo oben an der Decke eine breite Öffnung klaffen würde, durch die dann das Sonnenlicht hindurch strömen konnte, doch als sie aufblickte sah sie, dass es tausende und abertausende von Lichtkugeln waren.

Ihr klappte der Mund vor Staunen auf. Es sah wirklich unbeschreiblich schön aus! Besonders zur Mitte hin sammelten sich die Lichterkugeln an und schienen so hell, dass man ihre Umrisse kaum noch erkennen konnte. Direkt unter dieser Ansammlung an magischen Lichtern stand ein quaderförmiger Pult, auf dem ein weißes Samtkissen lag. Und auf diesem Kissen glänzte etwas silbrig auf.

Sie hatte das Diadem gefunden.

Noch während die rothaarige Fee auf den Pult zuging, warf sie einen prüfenden Blick durch den Raum und vergewisserte sich, dass sie auch wirklich alleine hier war. Dann blieb sie stehen und betrachtete den kostbaren Schatz vor sich.

Dafür, dass es so einen unheilvollen Namen trug, sah dass Diadem überraschend zart und zerbrechlich aus. Das untere silberne Metallband bildete das Fundament der Krone, während sich darüber ein silberner Ast mit Diamanten bestückten Blättern schlängelte. In der Mitte war ein kleiner Rabe abgebildet, wie er scheinbar auf das untere Metallband landete, während seine Flügel immer noch nach hinten ausgestreckt waren. Der Vogel selbst bestand aus schwarzen Edelsteinen und als Auge besaß er ebenfalls einen funkelnden Diamanten.

Bloom spürte mit einem Mal das Verlangen, sich dieses Diadem aufzusetzen, nur um zu sehen, wie es an ihr aussah. Sie streckte bereits ihre Hände danach aus, hielt aber kurz inne.

Hatte Valtor ihr nicht klar zu verstehen gegeben nichts anzufassen? Was wenn hier Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden? So ein Schatz wurde sicherlich beschützt?

Doch ehe sie wusste, was sie da tat, hielt sie das Diadem bereits in ihren Händen und setzte es sich vorsichtig auf den Kopf. Sogleich schritt sie den Saal ab, um einen Spiegel zu finden. Den Scherben nach zu urteilen, hatte es hier mal welche gegeben, aber größtenteils waren sie alle zerstört. Es gab nur einen der noch ganz geblieben war und nur an den Rändern von Rissen durchzogen war. Den steuerte sie geradewegs an.

Als sie vor dem Spiegel stehen blieb, hielt sie erschrocken inne: Anstatt ihres Abbildes stand dort jemand anderes. Es war ein Mädchen, das ungefähr ihres Alters war. Ihre sternenweißen Locken fielen ihr wie ein Wasserfall frei über die Schultern. Sie trug ein helles, langes, bis zum Boden reichendes Kleid, das am Saum mit verschiedenen Blumenmustern verziert war. Über den Schultern trug sie eine dunkelgraue Seidenstola, die mit genau denselben Mustern aus Silber durchzogen war. Besonders auffällig war jedoch der Anhänger einer silbernen Kette, der die Form eines fliegenden Raben hatte.

Genauso auch das Diadem auf ihrem Kopf, das doch glatt die Kopie von dem Diadem war, das Bloom gerade trug.

Sie schluckte. „Seid...seid Ihr etwa die Rabenprinzessin?"

Zu ihrem Erstaunen kicherte das Mädchen. „Wenn ich das wäre, würdest du vor lauter Angst wegrennen."

Also nein.

„Wer bist du dann?", fragte Bloom neugierig.

„Oh, ich bin Prinzessin Cyan. Mitglied der königlichen Familie von Colaris und die einzige, rechtmäßige Thronerbin", stellte sie sich mit einem leichten Knicksen vor.

„D-Die Kronprinzessin?", stotterte Bloom. Dann machte sie einen unbeholfenen Knicks während sie fieberhaft überlegte, ob sie die richtige Etiquette an den Tag legte. „Euer königliche Hoheit!"

Wieder lachte die Prinzessin. „Keine Panik um die richtige Anrede. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich überhaupt noch die Prinzessin bin..."

Überrascht sah Bloom sie an. „Wieso das?"

Sie hob nur leicht die Schultern. „Ich wurde vor sehr vielen Jahren von einem bösen Magier in dieses Diadem verbannt... seitdem habe ich niemanden mehr von meiner Familie gesehen. Ich glaube, sie wissen bis heute nicht, dass ich hier drin gefangen bin."

Bloom wurde es ganz schwer ums Herz. „Das ist wirklich schrecklich..."

Die Prinzessin lächelte traurig. „So ist nun mal mein Schicksal. Aber genug von mir. Wer bist du? Und wie hast du mich gefunden?"

„Mein Name ist Bloom... a-also, theoretisch gesehen ist es eher Prinzessin Bloom, aber-"

„Nein!"

Überrascht hielt Bloom inne und blickte in das geschockte Gesicht der Prinzessin. Diese hatte beide Hände über ihren Mund gelegt und starrte sie mit großen Augen an. Langsam nahm sie ihre Hände wieder runter und lehnte sich leicht zu ihr vor.

„Prinzessin Bloom von Domino? Seid Ihr das?"

Nun war Bloom diejenige, die sie erschrocken ansah. „J-Ja?"

„Oh!" Ein schmerzvoller Ausdruck huschte über das Gesicht der Prinzessin und ihre Augen glänzten. „Oh, ich wusste, dass schon viel Zeit vergangen ist, aber- meine Güte, Ihr seid schon so groß! Das letzte Mal, als ich Euch gesehen habe, wart Ihr noch ein Baby!"

Bloom fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst. „Ihr kanntet mich?"

Die Prinzessin schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich, nein. Ich war lediglich auf dem Fest, das man zu Ehren Eurer Geburt veranstaltet hat. Ihr wurdet dem gesamten Hof präsentiert. Ihr wart damals noch so klein in den Armen Eurer Mutter-" Sie stockte, und ihre Augen bewegten sich in schnellen Sakkaden über das Gesicht ihres Gegenübers. Dann lächelte sie sanft. „Ihr seht Eurer Mutter wirklich sehr ähnlich..."

Das hatte ihr Daphne auch mal gesagt. Und Miss Faragonda auch.

Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Sie brachte nur ein dünnes Lächeln zustande, als sie flüsterte: „Danke, Prinzessin Cyan."

Die Prinzessin nickte. Sie nahm einen tiefen Atemzug und mit einem Mal war jegliche Spur von Trauer verschwunden. Ihre Gesichtszüge glätteten sich und sie schaute ihr ernst entgegen. „Prinzessin Bloom... Eurer Präsenz nach zu urteilen ist Domino wohlauf? Und Eure Familie-"

Doch diesmal war Bloom diejenige, die den Kopf schüttelte. „Domino wurde zerstört. Ich bin die Einzige, die... ich bin die Einzige, die entkommen konnte." Die Einzige, die überlebt hat, wollte ihr nicht über die Lippen. Das wollte sie auch nicht wahrhaben.

Prinzessin Cyan blickte sie bekümmert aus ihren hellgrauen Augen an. „Das tut mir unbeschreiblich leid, Prinzessin Bloom. Wir haben damals versucht Valtor und die Urzeitlichen Hexen aufzuhalten, aber scheinbar haben sie ihr Ziel doch erreicht..."

„Valtor?", rutschte es Bloom ungewollt heraus. Ihre Hände begannen zu schwitzen.

„Ja, genau. Er und diese Kreaturen des Bösen waren zuerst hierher gekommen und haben uns angegriffen. Aber Domino war schon immer ihr Hauptziel gewesen. Sie gierten nach der Macht, die Eure Schwester hütete."

Mit einem Mal hörte sie Schritte von außerhalb des Saals. Schnell taumelte sie vom Spiegel weg und versteckte sich hinter einer der wenigen Säulen, die noch ganz waren. Ihr Herz pochte und sie wischte sich ihre verschwitzen Hände an ihrem Rock ab.

Eine der Wachen kommt, schickte sie mental an Valtor.

Valtor.

Valtor, der zusammen mit den Urhexen nicht nur Domino, sondern auch noch andere Planeten angegriffen hatte. Natürlich hatte sie das bereits gewusst. Aber sie hätte nicht gedacht, dass auch Colaris einer dieser Planeten gewesen war. Und Prinzessin Cyan hatte auch noch erwähnt, dass ein Magier sie in dieses Diadem verbannt hatte.

Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass das eben der Schwarzmagier war, mit dem sie hierher gekommen war, um besagtes Diadem zu stehlen?

Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken.

»An wen war die Nachricht?«, hörte sie in ihrem Kopf nachhallen.

Ihre Augen weiteten sich. Prinzessin Cyan? Aber wie ist das möglich...?

»Das Diadem ermöglicht es uns gedanklich zu kommunizieren. Aber scheinbar bin ich nicht die Einzige in Eurem Bewusstsein. Ich spüre noch jemanden. Ihr habt mir nicht erzählt, dass Ihr mit Begleitung gekommen seid...« Letzteres klang sogar leicht vorwurfsvoll.

Bloom schluckte. In ihrem Inneren zog sich alles zusammen bei dem Gedanken, Prinzessin Cyan die Wahrheit zu erzählen. Sie fühlte sich auch so schon elend genug, nach allem, was sie herausgefunden hatte. Nicht nur war sie hier, um Valtor zum Diebstahl zu verhelfen, sondern scheinbar auch um die verschollene Kronprinzessin von Colaris mit zu entführen. Und das nachdem Valtor so viel Schaden sowohl Colaris als auch Domino - ach, was, der gesamten Magischen Dimension! - zugeführt hatte!

Das war doch verrückt! Wahnsinnig!

Was hatte sie geritten, Valtors blödem, magischem Pakt überhaupt zuzustimmen?!

Das bin nur ich.

Die Fee zuckte zusammen, als sie Valtors Stimme hörte. Offenbar konnte er Cyan aus unerfindlichen Gründen nicht wahrnehmen. Oder er spürte sie, beschloss jedoch nichts zu sagen.

»Diese Stimme...«

Genau in diesem Moment öffnete sich die große Metalltür und schloss sich kurz darauf wieder. Schritte durchquerten den Saal - ohne Zweifel, auf dem Weg zu dem Podest, wo sich das Diadem vor kurzem noch befunden hatte.

Blooms Herz raste mittlerweile. Sowohl Wut als auch Angst breiteten sich in ihr aus und lähmten ihren Körper. Sie war wie versteinert und wusste nicht, was sie tun sollte.

Prinzessin Cyan, ich wurde in die Irre geführt. Bitte, glaubt mir, dass gerade nichts so läuft, wie ich es wollte, fing sie schnell an zu erklären. Ich habe einen riesigen Fehler begangen und ich weiß nicht-

„Bloom, versteck dich nicht hinter der Säule. Komm raus, wir haben keine Zeit zu verlieren."

Seine Stimme klang fast schon gelangweilt.

...ich weiß nicht, wie ich das alles erklären soll, aber glaubt mir, ich wusste nicht, was er vorhatte und als wir hier auf Colaris waren, war es schon zu spät und ich habe mir überlegt, wie ich ihn aufhalten könnte-

Ohne es zu wollen, trat Bloom nach vorne und spähte um die Säule. Ihr Blick fiel auf Valtor, der in der Mitte des Saales stand und den Pult vor sich betrachtete.

Die Zeit schien für einen Moment stehen zu bleiben.

Alles war komplett still.

Dann-

»Habt Ihr mich angelogen?« Die Stimme der Prinzessin war zornig. Doch gleichzeitig hörte man auch ihren Schmerz heraus. »Seid Ihr überhaupt diejenige, für die Ihr Euch ausgebt? Mir will es nämlich nicht in den Kopf, dass die Prinzessin eines untergegangenen Reiches die Komplizin des Mannes sein kann, der besagten Untergang herbeigeführt hat.«

Ich bin nicht seine Komplizin! Das wollte ich nie sein! Er sagte, wir würden gegen einen gemeinsamen Feind vorgehen! Ich habe nie zugestimmt, ihm bei seinen Raubzügen zu helfen!

„Hast du etwa das Diadem genommen, Bloom? Hm? Habe ich dir nicht gesagt, dass du nichts anrühren sollst?" Nur am Rande nahm sie den leicht drohenden Unterton in Valtors Stimme wahr.

Doch das kümmerte sie gerade wenig.

Denn auf einmal erfasste sie das Gefühl, als würde etwas ihr Gehirn durchforsten. Bilder flackerten vor ihrem inneren Auge, Momentaufnahmen von den letzten Tagen, Wochen, Monaten, Jahren, zogen an ihr vorbei wie ein sprudelnder Fluss. Einige Erinnerungen jedoch blieben länger - allen voran diejenigen, die etwas mit Valtor, ihrem zerstörten Heimatplaneten oder ihrer Schwester Daphne zu tun hatten.

Als würde jemand durch ihre innersten Gedanken wie ein Buch blättern und nur an gewissen Stellen genauer lesen.

Hey! Was-!

»Ihr habt mir also tatsächlich die Wahrheit erzählt«, sprach Prinzessin Cyan leise. Ungläubig. »Ich kann es kaum glauben, dass Ihr Euch ausgerechnet von ihm in die Irre führen lassen habt. Wisst Ihr denn nicht, zu was er fähig ist? Aber vielleicht wart Ihr noch zu klein, um es zu sehen. Ich glaube jetzt bin ich an der Reihe, Euch einen Einblick in meine Erinnerungen zu gewähren...«

Und bevor Bloom wusste wie ihr geschah, löste sich die Umgebung um sie herum auf und sie fand sich auf einem Balkon wieder. Sie war auf einmal ganz klein und um besser sehen zu können, was im Hof unter ihnen geschah, musste sie zwischen den Balustern hindurchspähen.

Ihr Blick fand sofort Valtor, der in seiner stolzen Haltung dastand umgeben von mehreren Wachen, die ihre Waffen auf ihn gerichtet hatten, und zu ihnen aufblickte.

Oder besser gesagt zum Königspaar von Colaris.

„Es ist alles ganz einfach: Löst Euer Bündnis mit Domino auf und bleibt neutral im Konflikt. Macht nichts um in irgendeiner Weise zu helfen und Euer Planet bleibt verschont."

Sein überhebliches Grinsen wurde noch breiter, als der König rief: „Niemals werden wir das Vertrauen König Oritels und Königin Marions hintergehen! Scher dich zum Sayatin, dort wo du hergekommen bist!"

Doch als Antwort lachte Valtor nur auf. „Ich glaube, Ihr unterschätzt die Lage. Aber schön. Wir geben Euch eine kleine Kostprobe und vielleicht ändert Ihr Eure Meinung..." Mit einem Mal loderten blaue Flammen auf seinen Kleidern auf und schon bald breiteten sie sich über seinen gesamten Körper aus. So schnell sie aufgetaucht waren, so schnell waren sie auch wieder verschwunden und vom Schwarzmagier war keine Spur zu sehen.

Wieder veränderte sich die Szene und nun befand sich Bloom auf etwas, was einem hölzernen Flugschiff ähnelte. Diesmal blickte sie durch das Fensterglas.

Der Horizont war komplett in Dunkelheit gehüllt. Die Wolken hingen so tief, dass es den Anschein hatte, als würden sie die Erde unter sich verschlingen. Blitze durchzuckten sie und der darauffolgende Donner war so laut, dass man kaum was anderes hören konnte. Die Bäume unter ihnen beugten sich von der Wucht der Windstöße so stark, dass sie fast schon umknickten. Eis bildete sich an den Rändern des Glases und ließ nur erahnen, wie kalt es da draußen sein musste.

Unter sich sah Bloom wie eine Armee von Männern dieser furchtsamen Naturgewalt entgegenrannten. Hunderte von Soldaten hatten ihre Waffen erhoben und setzten ihren Weg unbeirrt fort. Selbst als sie über die Körper ihrer bereits gefallenen Kameraden springen mussten.

Und inmitten dieses Chaos schritt Valtor ruhig der Armee entgegen.

Auch wenn sie sich hoch oben befand und es schwierig war aus dieser Höhe einzelne Merkmale auszumachen, so wusste sie ohne Zweifel, dass er das war.

Der Abstand zwischen Schwarzmagier und Armee verringerte sich immer mehr. Schon bald würden sie aufeinander treffen.

Genau in dem Moment blieb Valtor stehen, breitete seine Arme aus und...

Und er rief seine Drachenflamme zu sich.

Etwas was sie nur bei ihrem gemeinsamen Pakt erlebt hatte.

Doch nie so. Gott, niemals so.

Ein Fingerzeig nach vorne, eine Armschwenkung zur Seite und sein dunkler Drache brachte die vordersten Reihen zu Fall. Das trockene Gras geriet in Brand und das Feuer breitete sich rasend schnell über das Feld aus.

Es gab kein Entkommen für die Männer. Sie waren gefangen. Sie waren dem Untergang geweiht. Weder ihre Waffen, noch ihre Magie konnten ihnen jetzt noch helfen.

Eine weitere Armschwenkung zur Seite und der Feuerdrache vollendete sein dunkles Werk.

»Als wäre das schon nicht genug gewesen, verfluchten sie meinen Heimatplaneten. Sie nahmen uns unsere wunderschönen Farben - die Charakteristik von Colaris und somit unseren ganzen Stolz und in gewisser Weise auch unsere Identität. Und dann...«

Wieder wurde Bloom in eine andere Umgebung transportiert. Diesmal jedoch blickte sie Valtor geradewegs hoch ins Gesicht. Er legte seinen Kopf schief und musterte sie mit Interesse.

„Nanu? Was macht denn die kleine Prinzessin so ganz alleine hier? Solltest du dich nicht an einem sicheren Ort verstecken?"

Er sprach gespielt sorgevoll, doch in seinen Augen sah sie nichts als Amüsement.

„Bitte...", drang da eine zittrige, kindliche Stimme an ihr Ohr.

Ihre eigene.

Nein.

Prinzessin Cyans.

„Na, na, du brauchst keine Angst zu haben. Ich bringe dich schon an einen sicheren Ort..." Seine Augen wanderten zu dem Gegenstand, den sie fest mit ihren kleinen Händen umklammert hielt, bevor er wieder zu ihr aufblickte.

Sein dunkles Lachen war das Letzte, was sie hörte, ehe er seine Hand hob und alles um sie herum schwarz wurde.

Als Bloom wieder in ihrem eigenen Körper zu sich kam, gaben ihre Knie nach und sich musste sich an der Säule abstützen, um nicht zu Boden zu fallen. Sie zitterte am gesamten Körper und ihre Gedanken überschlugen sich.

Es tut mir leid, Prinzessin Cyan. Gott, es tut mir so leid, das ist so schrecklich, es tut mir so leid...

»Prinzessin Bloom...«


Sie musste etwas tun. Sie musste es wiedergutmachen-!

„Bloom, komm jetzt da raus oder ich komme dich holen!"

Und der Täter war genau hier! Und er wollte sie dazu bringen noch mehr Schaden anzurichten!

»Bloom, warte-«

Doch die rothaarige Fee hörte nicht mehr zu. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen, stieß sich vom kalten Stein ab und trat aus ihrem Versteck heraus.

Valtor war bereits auf halbem Weg zu ihr gewesen und blieb abrupt stehen, als er sie sah.

Das Blut rauschte ihr in den Ohren.

„Nimm das Diadem ab, Bloom", sprach er gefährlich ruhig.

„Damit du es dir holen kannst? Damit du die Kronprinzessin entführen kannst?" In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. „Nach allem was du ihnen angetan hast... wie konntest du nur? Wie..."

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, ihre Fäuste bereits erhoben, doch letzten Endes verließ sie ihre Kraft doch. Ihr Bein knickte zur Seite und sie stürzte zu Boden. Und dann...

Dann wurde ihr Bewusstsein in die Finsternis gestoßen.

Blooms dunkles GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt