Unerwarteter Besuch

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Einmal ließ er sich ablenken und schon war Valtor weg. Wie üblich von seinem Bruderherz den Moment auszunutzen, wenn alle schliefen, nur um sich dann davonzuschleichen.

Ein alter Trick aus alten Zeiten. Alastair ärgerte sich über sich selbst, dass er so unachtsam gewesen war.

Aber vielleicht war das zum Besten. Denn nun hatte er die Aufmerksamkeit der Nachfahrinnen seiner ehrwürdigen Gebieterinnen ganz für sich. Und Colaris forderte immer noch seinen Besuch.

Er brauchte sich also keine Gedanken um Valtors Einmischung zu machen.

Sein kleines Brüderlein hatte eigene Pläne? Gut, die hatte er nämlich auch.

Und um nichts im Universum würde er die Anerkennung seiner Herrinnen jemandem anderen zuteilwerden lassen.

Schon gar nicht erst Valtor.

○●○


Der Tag auf Colaris begann genauso grau, wie die Landschaften dieses Planeten. Dunkle Wolken verbargen die Sonne und ließen alles noch trister wirken, als es schon davor war. Der Regen prasselte unaufhörlich gegen die Fensterscheiben und der Wind beklagte den unerwarteten Wetterumschwung der letzten Tage.

Prinzessin Cyan stand mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt da, während sie starr auf die Regentropfen an der Fensterscheibe blickte.

Sie konnte sich noch immer nicht an den Anblick ihrer fast komplett farblosen Umgebung gewöhnen. Natürlich hatte sie mitbekommen, wie dieser schreckliche Fluch der Urzeitlichen Hexen, den Valtor auf sie losgelassen hatte, ihnen ihre wunderschönen Farben genommen hatte, trotzdem erinnerte sie sich noch zu gut an das Davor. An die farbenprächtige Zeit vor dem Angriff der Bösen.

Und scheinbar war sie die einzige, die in ihrer Vergangenheit gefangen war.

Kein Wunder. Nach achtzehn Jahren der absoluten Isolation und keinerlei Kontakt zur Außenwelt, grenzte es an ein Wunder, dass sie ihren Verstand nicht komplett verloren hatte. Und das nur, weil ihr Bewusstsein in eine Art langjährigen Schlaf verfallen war, ehe die junge Prinzessin von Domino sie wieder aufgeweckt hatte...

Ein Klopfen an ihrer Tür brachte sie wieder zurück in die Gegenwart.

„Ja?", rief sie.

„Verzeiht die Störung, Euer Hoheit. Seine Majestät, König Baigani, lässt Euch ausrichten, dass Ihr beim Mittagmahl erwartet werdet."

Das entlockte ihr ein müdes Lächeln. Ihr Vater machte sich wirklich alle Mühe, dass sie sich nicht den ganzen Tag in ihrem Schlafgemach versteckte.

„Ich werde da sein!", antwortete sie. Kurz darauf hörte sie, wie sich Schritte von ihrer Tür entfernten.

Nachdem sie aus dem Diadem befreit wurde - auch noch von Valtor selbst, welch Ironie! - hatte sie die Befürchtung gehabt, dass ihre Eltern sie nicht wiedererkennen würden. Immerhin war sie nicht mehr das kleine Mädchen, das sie kannten. Sie hatte sich über die Jahre verändert.

Doch ihr Blut log nicht und das Muttermal auf ihrem linken Oberarm, das sich in der Form der Lotosblüte öffnete, verfestigte den Beweis ihrer Identität.

Ihre Eltern hatten sie tränenüberströmt und mit innigen Umarmungen wieder zu Hause willkommen geheißt.

Ein Moment unkontrollierbarer Freude, der schon bald in den Schatten gestellt wurde, als die nächsten Offenbarungen ihre Welt erschütterten: Sie hatte einen kleinen Bruder.

Einen erwachsenen, kleinen Bruder. Kronprinz Asmani von Colaris.

Mit gemischten Gefühlen hatte sie dabei zugehört, wie ihre Eltern ihr erzählten, wie sie, kurz nachdem sie Valtors Bedingung, Domino nicht zu helfen, letzten Endes zugestimmt hatten und ihr Planet somit von weiteren Angriffen der Urzeitlichen Hexen verschont geblieben war, festgestellt hatten, dass ihre Mutter, Königin Neela, mit Kind war. Es war ihr einziger Lichtblick gewesen inmitten der beträchtlichen Zerstörung, den die Bösen zurückgelassen hatten, und dem Verschwinden ihrer einzigen Tochter. Beide Monarchen hatten nie die Suche nach Prinzessin Cyan aufgegeben, hatten immer ihre besten Leute losgeschickt, um sie wiederzufinden. Doch über die Jahre schien es immer unwahrscheinlicher, dass sie sie jemals ausfindig machen würden, und als die Frage um die Erbschaft immer dringender wurde, hatten sie Prinz Asmani als den rechtmäßigen Thronerben präsentiert.

Seitdem ging er fleißig seinen Pflichten als Kronprinz nach und hatte schnell das Herz der Bewohner von Colaris erobert.

Kronprinz Asmani selbst war zum Zeitpunkt ihrer Wiederkehr nicht dagewesen, da er im benachbarten Herzogtum dabei helfen sollte, einen Disput zu klären. Morgen früh, so hatte man es ihr erzählt, sollte er wieder zurückkommen.

Sie hatte bereits Porträts und Bilder von ihm gesehen und die Ähnlichkeiten zu ihren Eltern waren kaum übersehbar gewesen. Die Ähnlichkeiten zu ihr selbst auch nicht. Sein kurzes Haar war genauso sternenweiß wie ihres und seine hellen Augen hatten ihr mit einem undurchdringlichen Blick entgegengestarrt.

Ob seine Augen wohl dieselbe cyanblaue Färbung hatten, wie die ihren?

Das würde sie wohl nie erfahren.

„So, so, na sieh einer an. Die Prinzessin ist also noch immer auf ihrem Schlafgemach. Wie ungewöhnlich."

Sie erstarrte. Es war eine männliche Stimme gewesen, jedoch konnte sie diese niemandem Bekannten zuordnen. Sie wirbelte herum und sah sich vier Gestalten gegenüber. Drei junge Frauen, die verdächtig nach Hexen aussahen und ein Mann mit langem, silbernen Haar und dunklen, beinahe schon schwarzen Augen. Unwillkürlich stolperte sie nach hinten, doch als sie sich umdrehte stand eine der Hexen direkt vor ihr. Die mit dem dunkelblonden Haar.

„Wo willst du denn hin? Mum und Dad haben gerade keine Zeit für dich, Schatz", grinste sie hinterhältig.

„Und da dachten wir uns, wir leisten dir Gesellschaft. Ist das nicht so nett von uns?", flötete die andere Hexe mit dem kurzen, dunklen Haar.

Prinzessin Cyan öffnete gerade ihren Mund um zu schreien, da schnellte die weißhaarige Frau neben ihr hervor und legte ihr ihre Hand auf den Mund.

„Ah, ah, nicht so hastig, Schätzchen." Eisige Kälte breitete sich von dort aus, wo sie sie berührte und sie hörte mit Entsetzen ein Knistern. Eis. Sie hatte ihre Lippen vereist!

Tränen stachen ihr in die Augen vor Schmerz.

„Komm, Icy, das war ein bisschen übertrieben. Wie soll sie uns denn auf unsere Fragen antworten?", sprach wieder der Mann.

„Oh, verzeih, Alastair", antwortet die Hexe, Icy, ohne einen Funken Reue. Wieder an sie gewandt zischte sie: „Noch ein weiterer solcher Versuch und ich vereise dir deine Lippen so sehr, dass sie dir abfallen."

Das Blut gefror ihr bei diesen Worten in den Adern, während die anderen zwei Hexen nur darüber lachen konnten.

Icys Fingernägel bohrten sich ihr in die Wangen. „Hast du mich verstanden?"

Sie nickte, so gut sie es im Griff der Hexe konnte.

Kurz darauf spürte sie, wie sich das Eis wieder zurückzog, bis es komplett wieder verschwunden war. Ihre Lippen waren jedoch immer noch taub vor Kälte.

Icy ließ sie los und trat wieder zurück, machte Platz für Alastair, der sich direkt vor die Prinzessin stellte und sie mit einem selbstgefälligem Lächeln musterte. „Es ist wirklich ganz einfach, Prinzessin: Ich frage und Ihr antwortet. Dann wird Euch auch nichts geschehen."

Wieder nickte sie und überlegte fieberhaft, wie sie sich aus dieser Situation, ohne weitere Verletzungen, befreien könnte.

Unterdessen fuhr Alastair fort: „Gut, dann beantwortet mir meine erste Frage: Wo befindet sich das Diadem der Rabenprinzessin?"

Ihre Augenbrauen zuckten überrascht. Erst Valtor und jetzt dieser Mann. Was wollten sie mit dem Diadem? „Es ist nicht hier", antwortete sie wahrheitsgemäß.

Sein Lächeln verschwand. „Ich sehe, wir müssen doch zu härteren Maßnahmen greifen. Darcy?"

Wortlos trat die dunkelblonde Hexe an sie heran, packte sie am Kopf und zwang sie dazu in ihre leuchtend violetten Augen zu blicken. Instinktiv wollte sich die Prinzessin aus ihrem Griff befreien, doch mit einem mal war ihr Körper bleischwer und sie konnte nicht einen Muskel rühren. Ihr Blick war gefangen im violetten Licht der Augen ihres Gegenübers.

„Also, wo befindet sich das Diadem der Rabenprinzessin?", wiederholte diesmal die Hexe Alastairs Frage und ihre Stimme schien bis in die Tiefen ihres Gedächtnisses vorzudringen.

„Es ist nicht hier", antwortete Prinzessin Cyan abermals ohne zu zögern.

„Oh, wow, sie hat tatsächlich die Wahrheit gesagt", hörte sie dumpf am Rande ihres Bewusstseins eine andere Frauenstimme sagen.

Darcy zeigte darauf keine Reaktion. „Wenn nicht hier, wo ist es dann?"

„Ich weiß es nicht." Auch wenn sie sich nicht gegen die Magie der Hexe wehren konnte, so war sie immer noch bei Bewusstsein. Sie musste vorsichtig sein, um nicht preiszugeben, dass Bloom und Valtor hier gewesen waren. Was mit Valtor geschah, war ihr gleich, doch sie wollte unter keinen Umständen, dass der jungen Prinzessin von Domino etwas zustieß.

Sie hörte Alastairs Stimme etwas leise sagen.

„Weißt du wer im Besitz des Diadems ist?", wiederholte die Hexe seine Frage.

Prinzessin Cyan schluckte, kämpfte gegen den Impuls an, die volle Wahrheit auszusprechen. Valtor mochte zwar das Diadem entwendet haben, aber sie hatte keine Ahnung, ob er es noch bei sich trug, oder es bereits an jemand anderes weitergegeben hatte.

„Nein", würgte sie beinahe hervor.

Mit einem Mal ließ die Hexe von ihr ab, aber nur weil Alastair sie zur Seite gestoßen hatte. Stattdessen bohrten sich seine Finger in ihre Schultern, während er an ihr rüttelte. „Du lügst! Es kann nicht sein, dass du nichts über deine eigene Krone weißt!"

„Mein Zauber ist effektiv, Alastair", gab Darcy giftig von sich. „Er hat mich bisher nie getäuscht."

„Ein Lügendetektor kann noch lange nicht die gesamte Wahrheit aufdecken", spie er ihr entgegen, ohne seinen zornigen Blick von der Prinzessin zu wenden. Auf einmal schien etwas anderes seine Aufmerksamkeit zu erwecken und er hielt inne. „Was ist das für ein Schlüssel im Kettenanhänger?"

Ohne ihre Antwort abzuwarten, ließ er sie los und riss die Kette von ihrem Hals. Mit geweiteten Augen starrte er den Rabenanhänger an, der einen Schlüssel in seiner Mitte umschloss. „»Von Rabenschwingen umgeben eröffnet es das Versteck«...", murmelte er vor sich hin.

Diesen Moment nutzte sie, um ihn von sich zu stoßen. Alastair war so sehr in seiner eigenen Welt gefangen gewesen, dass er doch tatsächlich ein paar Schritte zurück stolperte. Mit einem markerschütternden Schrei stürzte sie sich auf den Tisch, der neben ihrem Fenster stand, und behielt ihn zwischen sich und den Hexen, die kurz darauf zu ihr vorgeschnellt waren. Hastig warf sie das Geschirr in ihre Richtung und ihr war es egal, dass sie gerade sehr kostbares Porzellan einfach so kaputt machte.

„Zur Hilfe, Eindringlinge! Wachen! Irgendjemand! Hilfe, Eindringlinge!", schrie sie.
Ihre Stimme ging noch eine Oktave höher, als Icy sie fast schon zu fassen bekam.

Genau in diesem Moment wurde ihre Zimmertür aufgestoßen und drei Männer stürzten mit gezogenen Schwertern herein - zwei ihrer Wachen und ein Unbekannter.

„Weg hier!", hörte sie Alastair rufen.

„Aber-", fing die Hexe mit dem wolkenförmigem Haar an, brachte ihren Satz jedoch nicht zu Ende ehe ein helles Licht im Raum aufleuchtete. Kurz darauf war es verschwunden. Und mit ihm die Eindringlinge auch.

Der Fremde eilte zu ihr. „Prinzessin! Alles in Ordnung? Seid Ihr verletzt?" Sachte berührte er ihren Arm und drehte sie zu sich um. Schnell wanderte sein Blick über sie, stellte sicher, dass sie unversehrt war.

Unterdessen wurde ihr klar, dass sie den Fremden schon einmal irgendwo gesehen hatte. Auf Bildern. Auf Porträts.

„Prinz Asmani...", ihr stockte der Atem, als er wieder zu ihr aufblickte. Cyanblaue Augen schauten sie erwartungsvoll an und bildeten einen starken Kontrast zu ihrer grauen Umgebung.

Unmöglich!

Genau in dem Moment weiteten sich seine Augen ebenfalls. „Eure Augen-"

„Cyanblau", hauchte sie.

Wie die ihren.


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Und cut!

Ich weiß, das Kapi ist nicht besonders lang, aber ich wollte euch einfach nicht so lange warten lassen^^

Dankeschön für eure Votes und eure lieben Kommentare! Ich bin euch wirklich sehr dankbar ^-^



Blooms dunkles GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt