Kapitel 216 - Wertloser Bastard

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Wieso tue ich Harry so was eigentlich an? Ich bin ein grausamer Mensch.

Harry

Kurz vor zehn Uhr abends komme ich am Londoner Flughafen an. Ich habe meine Mutter bereits angerufen und ihr Bescheid gegeben, dass ich heute nicht mehr kommen werde, weil ich diese Nacht nicht komplett durch fahren möchte, bis ich in Holmes Chapel ankomme. Und ob mein Tank das mitmacht, weiß ich auch nicht.

Ich hatte erst mit dem Gedanken gespielt Liam anzurufen und zu fragen, ob ich bei ihm schlafen könnte, doch mir ist meine Lage momentan einfach zu unangenehm, um einen von Niall, Cate oder den anderen unter die Augen zu treten. Man sieht mir von der ersten Sekunde an, dass etwas nicht ganz stimmt und mir mindestens zehn Stunden Schlaf fehlen und ich möchte nicht erklären müssen, warum das so ist. Cate würde ausrasten, wenn sie erfährt, dass Raven sich von mir getrennt hat und der Grund würde ihr erst Recht zu Kopf steigen.

Deswegen habe ich Susan angerufen. Sie hat mir natürlich sofort einen Schlafplatz angeboten, immerhin ist sie quasi meine Stiefmutter. Ich bin nur froh, dass ich gleich zu meinem Vater fahren werde, ohne dass er sturzbetrunken sein wird. Susan hat mich während ich in Amerika war, ständig auf dem Laufenden gehalten und mich darüber informiert, wie seine Therapie seines Alkoholproblems verläuft. Er soll große Fortschritte machen.

Mir bleiben noch genau sechsundsiebzig Pfund übrig, nachdem ich das Taxi zu meinem Vater bezahlt habe. Sechsundsiebzig verschissene Pfund! Ohne Stevens Geld wäre ich nicht mal so weit gekommen.

Ich klingle an der Haustür meines Vaters und hoffe einfach nur, gleich Schlaf zu finden. Meine Glieder sind extrem geschwächt und mein Magen knurrt. Das Essen im Flugzeug konnte ich nicht essen, es war einfach zu widerlich und ich konnte es mir nicht erlauben mir am Flughafen etwas zu essen zu kaufen, weil es viel zu überteuert war. Ich komme mir so jämmerlich vor.

„Da bist du ja", grüßt mich Susan im Schlafanzug lächelnd.

Ich nicke nur und trotte an ihre vorbei ins Haus, als sie einen Schritt zur Seite geht.

„Du siehst ja wirklich müde aus", stellt sie fest und schließt die Tür hinter uns. „Geh am besten gleich schlafen, ich habe dir das Gästezimmer hergerichtet."

Ich stelle meine große Tasche und meinen Rucksack auf dem Boden ab. „Eigentlich wollte ich noch Dad begrüßen."

Sie zieht mir den Mantel von den Schultern und hängt ihn auf. „Ach, das kannst du doch auch morgen machen. Geh doch einfach erst mal schlafen und ruh dich aus, ja?"

Ich lasse meinen Blick in die Küche wandern, um zu sehen, ob er dort ist. Er ist nicht da. „Nein, ich würde ihn gerne sehen. Ich habe ihn jetzt fast drei Monate nicht gesehen. Wo ist er?"

Susan drückt mich lächelnd zur Tür. „Er schläft bestimmt schon, was du jetzt auch tun solltest. Komm schon, Harry, du brauchst den Schlaf."

Ich runzle die Stirn und betrachte sie skeptisch. Doch noch bevor ich was sagen kann, höre ich ihn aus dem Wohnzimmer rufen.

Susan beißt sich unsicher auf den Lippen rum. „Harry, bitte geh einfach ins Bett, okay? Morgen kannst du mit –"

„Susan!", schreit mein Vater wieder laut. Man hört sofort raus, dass er getrunken hat.

Als Susan bemerkt, dass es mir nicht entgangen ist, lässt sie die Schultern hängen.

„Sagtest du nicht, er wäre in Therapie und es würde alles bestens laufen?", frage ich sie vorwurfsvoll. „Es hört sich nämlich nicht so an, als würde alles bestens laufen."

Sie lässt den Kopf hängen. „Ich ... Ich wollte einfach nicht, dass du dir Gedanken machst. Du warst in New York und so glücklich mit Raven, ich wollte dir nicht mit den Problemen deines Vaters zur Last fallen."

Ich atme tief ein und aus. „Egal. Ich bin jetzt wieder da und ich möchte ab sofort ständig darüber informiert werden, wenn etwas nicht stimmt. Okay?"

Schuldbewusst nickt sie. „Er ist im Wohnzimmer ... Vielleicht schaffst du es wieder ihn zu beruhigen."

Nickend gehe ich an ihr vorbei durch den Flur ins Wohnzimmer. Und dort sitzt er. Hin und her schwankend und blutunterlaufenen Augen, sein Blick auf den laufenden Fernseher gerichtet. Vor ihm ein Glas auf dem Tisch mit dazugehöriger Whiskeyflasche.

Sein Blick fällt auf mich. Er sieht sehr gleichgültig aus.

Doch genauso gleichgültig gehe ich auch auf ihn zu und setze mich zu ihm auf die Couch, betrachte den Fernseher. Es läuft Fußball. „Drei Pfund, dass Manchester verliert."

Dad geht nicht darauf ein. Er starrt nur weiter auf den flackernden Bildschirm. Nach einer Weile sagt er lallend: „Du hast das Geld für den Grabstein deiner Schwester genommen."

„Ja, das habe ich."

Er sieht mich mit roten und kaputten Augen an. „Wieso?"

„Ich habe es benötigt."

Verbittert lacht er auf, sieht wieder nach vorne zum Fernseher. Sein vernebelter Gleichgewichtssinn bringt ihn wieder zum Schwanken. „Was ist so wichtig, dass du das hart ersparte Geld für deine Schwester nehmen musst?"

Ich sehe auf die Flasche vor ihm. Sie ist noch dreiviertel voll, das bedeutet, er ist zwar noch ganz da, gleichzeitig sagt er aber Dinge, die er im nüchternen Kopf niemals sagen würde. „Ich werde das Geld zurückzahlen", lasse ich ihn ruhig wissen.

„Bist du nicht irgendwie reich oder so?", lallt er. „Wieso zur Hölle brauchst du überhaupt dieses Geld?"

„Ich habe all mein Geld durch eine Geldstrafe in Amerika verloren", sage ich wahrheitsgemäß. „Mir haben neuntausend gefehlt, sonst hätte ich ins Gefängnis gehen müssen."

„Was?" Mein Vater blickt mich vernichtend an. Seine Augen sind so verdammt rot und seine Fahne ist enorm.

Ich richte mich etwas mehr auf, denn ich spüre den folgenden Disput schon in den Fingerspitzen. „Ja. Ich habe das Büro meines Vorgesetzten zerstört und bin vertragsbrüchig geworden. Ich musste über 400.000 Dollar bezahlen."

Die Augen meines Vaters verengen sich und er beginnt zu schnaufen, seine Fäuste ballen sich. „Deine Schwester bekommt keinen Grabstein, weil du ..." – Er beginnt laut zu schreien – „Weil du zu blöd warst dich in Amerika ordentlich zu verhalten!"

Ich bleibe ruhig. „Hör auf zu schreien. Susan möchte schlafen."

„Ich scheiß drauf, ob Susan schlafen will!", schreit er laut und schmeißt sein Glas fest an die Wand, worauf es in tausend kleine Teile zerspringt. Ein dunkelgrauer Fleck ist jetzt an der Wand, durch die Flüssigkeit. „Deine Schwester hat dir doch nie was bedeutet! Ich müsste dich rausschmeißen dafür, dass du so ein wertloser Bastard bist! Du hättest es verdient ins Gefängnis zu kommen, dafür dass du so respektlos bist!"

Ich schweige. Es macht keinen Sinn mit ihm einen Konflikt einzugehen. Er weiß nicht, was er tut und ich werde diese Diskussion nicht weiter vertiefen, um mich zu rechtfertigen, denn ich bin mir nicht mal sicher, ob ich das Recht habe, etwas für mich sprechendes zu behaupten. Eigentlich hat er Recht. Ich habe das Geld genommen, weil ich einen verdammten Fehler getan habe, weil ich zu abgefuckt bin, damit umzugehen, dass Raven mich verlassen hat.

Schließlich stehe ich auf und gehe zu einem Glasschrank neben dem Fernseher. Ich hole zwei Whiskeygläser heraus und stelle sie vor Dad und mich, während er jede Bewegung von mir verwirrt beobachtet.

„Was soll das werden?", raunt er, als ich den Deckel des Whiskeys öffne und uns beiden etwas einschenke.

„Ich möchte mit dir einen Whiskey trinken", erkläre ich. „Kann das ein Sohn nicht mal mit seinem Vater tun?"

„Du willst nicht, dass ich Alkohol trinke."

„Das stimmt." Ich schließe die Flasche wieder und reiche ihm das Glas. „Aber es muss einen Grund haben, wieso du trinkst, weil du Probleme hast. Ich habe auch Probleme. Vielleicht fange ich ja dann an dich zu verstehen."

Argwöhnisch nimmt er mir das Glas aus der Hand. „Du hast keine Probleme."

Unbelustigt lache ich auf. Wenn er nur wüsste. Wenn er nur von Tammy wüsste, von Raven, von Black Poe, von meinem verlorenen Buch, von meiner ganzen beschissenen Situation. „Wahrscheinlich hast du Recht", sage ich deshalb nur und halte ihm mein Glas hin, damit er anstoßen kann. „Trinken wir darauf, dass ich ein wertloser Bastard bin."

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