39.- Der letzte Flug

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"Ich möchte heute bei dir schlafen.", meinte ich auf dem Rückweg zu Aidans Wagen. Er nickte glücklich. "Gerne. Müssen wir noch bei dir zuhause was holen?" Ich schüttelte mit dem Kopf. "Hab schon alles eingepackt.", gab ich grinsend zu. Bei Aidan zuhause kam uns nur Batman entgegen, Xenia und Dean schienen nicht da zu sein. "Typisch. Seinen Köter überlässt er mir gern.", nörgelte Aidan und ging in die Küche, um uns etwas zu trinken zu holen. "Ich bin froh, dass Batman da ist, was?", fragte ich den blonden Mischling, der sich von mir genüsslich die Ohren kraulen ließ. Mit einem Glas Wasser in der Hand ging ich in Aidans Schlafzimmer, um mich bettfertig zu machen. Mit einem dicken Pulli und langer Hose kroch ich unter zwei Decken. Eine weitere, nervige Nebenwirkung - Müdigkeit und Kälte. Schließlich kam auch mein Freund ins Bett und legte seine Arme um mich. "Es war toll heute.", murmelte ich an seine Brust. Aidan atmete tief ein und gab mir einen Kuss auf den Scheitel. "Ja, fand ich auch." Und dann schloss ich die Augen und versuchte Schlaf zu finden. Was mir irgendwie nicht so recht gelingen wollte. Ich war zwar müde, aber ich konnte nicht einschlafen. Zuerst dachte ich, ich würde mir das Brennen in meinem Rücken nur einbilden und die Übelkeit käme von dem fettigen Essen. Doch als ich eine Stunde später auf die Uhr schaute und Aidan schnarchend neben mir lag, wollte ich aufstehen, um eine Tablette zu nehmen. Mit den Schmerzen konnte ich unmöglich vernünftig schlafen. Gerade als ich aufgestanden war, klappten meine Beine zusammen und ich fiel plump wieder auf das Bett. Das Brennen in meinem Rücken hatte sich dadurch nur verstärkt und ich hielt die Hand vor den Mund, um nicht aufschreien zu müssen. Davon wurde Aidan panisch wach und schlug mit den Händen vor lauter Schreck auf die Bettdecke. "Scar, oh Gott.", sagte er und lehnte sich zu mir, nachdem ich mich hin und her wälzte, versuchte das Feuer in meinem Rücken zu löschen und gleichzeitig meinen rebellierenden Magen unter Kontrolle bringen wollte. So bemerkte ich auch kaum, wie er zu meiner Tasche rannte, Tabletten rauszog und zurück kam. Erst als er mir das Medikament in den Mund schob und das Wasserglas an meine Lippen hielt, schien ich wieder bei halbwegs klarem Verstand zu sein. Tränen standen mir in den Augen, als ich große Schlucke von dem kühlen Nass nahm. Aidan streichelte mir beruhigend über die Haare und murmelte etwas unverständliches. Erschöpft ließ ich mich zurück in eines der Kissen sinken und starrte wie gelähmt an die weiße Decke, die gelb in dem Licht der Nachttischlampe schien. "Geht es dir besser? Soll ich den Arzt rufen?", fragte Aidan. Es war das Erste, das ich wieder richtig verstand. Schwach schüttelte ich den Kopf und brachte ein trockenes, fast lautloses "Nein. Jetzt geht es wieder." hervor. "Ich hab vergessen heute abend die Tabletten zu nehmen." Aidans Augen weiteten sich geschockt und er setzte sich neben mich. "Zum Glück hast du bei mir geschlafen. Ich will ja nicht wissen, was passiert wäre, wenn du allein gewesen wärst.", flüsterte er. "Wir wissen, was dann passiert wäre.", hauchte ich. Ich wäre an meinem Erbrochenen erstickt oder vorher in Ohnmacht gefallen. Doch das sagte ich natürlich nicht laut. Allein der Gedanke in den Köpfen von uns beiden war schmerzhaft und tödlich genug.

"Kannst du dich bitte wieder hinlegen?", bat ich ihn. "Es ist komisch, wenn du da nur neben mir sitzt." "Natürlich." Aidan machte es sich neben mir gemütlich.
"Come stop your crying, it will be alright. Just take my hand, hold it tight.", sang er. Es war mehr ein Summen, dennoch hatte es eine außergewöhnlich beruhigende Wirkung auf mich. "I will protect from all around it, I will be here, don't you cry. You will be in my heart." Ich legte meinen Kopf auf seine Brust, während er weiter sang. Sein Herz schlug schnell wegen der Aufregung und Panik von eben und mit Entsetzen musste ich feststellen, dass mein eigener Herzschlag ganz ruhig war.

Dean und Xenia waren am nächsten Morgen mit frischen Brötchen zu uns gekommen und begrüßten uns extrem gut gelaunt. Nur mit Mühe schaffte ich eine Hälfte und musste an den gestrigen Abend denken, an dem ich mich fast übergeben hätte. Das regte meinen geringen Appetit nicht gerade an; am liebsten wäre ich jetzt ins Bad geflüchtet und all das Essen wieder los geworden.
Der Krebs hatte mir alles geraubt.

Nachdem wir zu Ende gegessen hatten, fragte Dean, ob wir zusammen mit Batman rausgehen wollten. Freudig stimmte ich zu. So konnten wir nochmal zusammen rauskommen und das Wetter sah ausnahmsweise gut aus.
Aidan und die anderen zogen sich bereits im Flur die Schuhe an, als ich noch im Schlafzimmer war und in einer Kommode nach einem Schal suchte. Nachdem ich endlich einen gefunden hatte, sah ich mir das Bild auf der Kommode an.
Es war neu dort. Und es war ein Bild von mir. Ich musste lächeln und griff in meine Jackentasche. Das zusammengefaltete Bild, das sich darin befunden hatte, klemmte ich hinter den Rahmen. Es war Zeit.

"Scar? Bist du fertig?" Ich sah mir ein letztes Mal das Bild an und schloss die Augen. Erinnerungen spielten sich ab.
"Warte! Ich weiß gar nicht wie du heißt!"
"Aidan! Ich heiße Aidan."
-
Das Meer, die Klippen. Aidan neben mir, wie er mit einem kleinen Stein spielte.
"Malst du mich ab? "
"Vielleicht."
"Darf ich es denn sehen?"
"Irgendwann mal.", sagte ich und zeichnete weiter.
-
Er legte seine starken Arme um mich und ich sah mich auf dem kleinen Spielplatz um.
"Es ist mir auch egal wie die anderen Liebesgeschichten ausgehen.", seufzte er. "Ich will nur, dass unsere gut endet."
-
Seine warme, starke Hand um meine. Braune Augen. "Scarlett McClary, ich liebe dich."

Aidan.
Die Liebe meines Lebens.
Mein Held.

Es war ein wunderschöner Sommer gewesen. Der beste, den ich mir je hätte wünschen können. Die schönste Zeit. Er hatte mich gerettet.

Ich öffnete meine Augen.

"Ich komme!", rief ich und lief so leicht, wie schon lang nicht mehr hinaus, wo man mich sofort wieder in meinen Rollstuhl setzte.
Im Hydepark war Sonntags zu dieser Zeit recht viel los, doch wir fanden ein halbwegs abgeschiedenes Plätzchen auf einer großen Rasenfläche. Alte Eichen rahmten sie ein und am blauen Himmel flogen ein paar Spatzen wild umher. Aidan und ich saßen auf einer Parkbank, er hatte wärmend einen Arm um meine Schulter gelehnt und wir beobachten Xenia und Dean, wie sie mit Batman über die Wiese tobten.

"Du hast mich damals mal was gefragt.", sagte ich und Aidan zuckte erschrocken zusammen.
"Du hast mich gefragt, was ich werden will, in dem Pub bei unserem ersten Date. Ich habe gesagt 100 Jahre alt und glücklich. Hundert werde ich jetzt nicht, aber ich bin glücklich. Und das nur wegen dir."
"Scar...ich."
"Du musst gar nichts sagen, Aidan. Ich weiß, dass du mir das nicht glaubst. Aber es ist so. Du warst und bist mein Sonnenschein, auch wenn du dich als Regen siehst. Und ich will dir danken. Für alles."
"Ich muss dir danken, Scar. Weißt du, ich hab damals immer gedacht, das Leben wäre schwer. Dabei ist es doch genau anders rum. Man macht sich das Leben schwer. Aber mit dir da ist es,... ist es wie Fliegen."
"Vielleicht ist das Fliegen ja gar nicht so schwer. Man muss nur los lassen."
Aidan drehte sich zu mir und sah mich an. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen.
"Ich liebe dich, Scarlett."
"Und ich liebe dich, Aidan.", antwortete ich und küsste ihn sanft. Ich küsste ihn mit aller Liebe, die ich besaß, mit allem was ich hatte und geben konnte. Ich würde mich niemals bei ihm revanchieren können. Er hatte mir das Schönste geschenkt, was es gab.
Sich selbst. Seine Liebe.

Glücklich versteckte ich mich ein wenig in seinem Schal, der so wunderbar nach Aidan duftete und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Unsere Hände lagen verschränkt auf seinen Beinen und ich atmete leise aus, sah ihn ein letztes Mal an.

Und dann wurde es langsam immer dunkler, bis meine Augen schließlich zu fielen und ich feststellte, dass meine Mutter recht gehabt hatte. Das Leben hatte vielleicht grausame Dinge mit uns vor, doch der musste keins Tod davon sein. Ich musste nicht versuchen etwas aus meinem Leben zu machen- das hatte ich bereits geschafft. Nicht alles musste verwelken; die Zeit nicht zurück gedreht werden, um etwas gut zu machen.

Vögel brauchen niemanden, der ihnen zeigt, wie man fliegt. Sie versuchen es einfach. Sie heben ihre Flügen und wenn sie mutig genug sind, schweben sie mit dem Wind davon...

in my heaven... (Aidan Turner ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt