Kapitel 38

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Der Lichtgeist fiel in sich zusammen und verblasste. Übrig blieb ein kleines silbernes Ding, eine Flöte.
Ich hob die Flöte auf und betrachtete sie nachdenklich.
Auf dem silbrigen Rohr glänzten fünf grüne Blaslöcher. Ein funkelnder aus klarem Titan gefertigter Drachenkopf saß am Ende des Instruments und bleckte seine grauen Zähne.
Vorsichtig betrachtete ich die Flöte von allen Seiten und die kleine geschwungene Schrift sprang mir sofort ins Auge.

"Zeitsprung" hatte dort jemand säuberlich und mit der Absicht es versteckt zu halten eingraviert. Ich runzelte verwirrt die Stirn und blickte auf die Stelle, auf der der Lichtgeist verschwunden ist. Zu spielen wagte ich nicht, noch zu gut waren mir Dragomiras Worte in Erinnerung. Benutze niemals das Instrument, wenn du nicht in Lebensgefahr schwebst. Auch wenn deine Neugier noch so groß ist.

Sie hatte Recht. Ohne mir weitere Gedanken zu machen, steckte ich die Flöte in meine Tasche und kletterte den Hang hinauf zum felsigen Eingang der Höhle. Draußen war die Sonne bereits hoch am Himmel und strahlte warm auf mich herunter. Ich spürte die sanfte Wärme auf meiner Haut und erschauderte. Ein brennendes Gefühl machte sich in mir breit und kroch meine Seele entlang. Tränen sammelten sich in meinen Augen.

Die Sonne erinnerte mich an Dragomira. Sie hatte sich für mich geopfert. Sie war tot, ich allein. Alle hatte ich verloren. Meine Familie, meine Freunde, nicht mal mein Gewissen blieb mir erhalten.

Ich taumelte und stolperte gegen die äußere Höhlenwand. Kälte kroch meine Seele hinauf und biss sich ein mein Herz. Ich schluckte. Meine Sicht verschwamm, ich sank auf den Boden, mein Kopf sackte auf meine Arme. Strähnen fielen mir ins Gesicht.
Eine ganze Weile saß ich so da, versunken in Selbstmittleid und Trauer.

Bis ich auf einmal eine Stimme hörte, und aufsah. Eine kleine Gestalt schwebte vor mir. Ihre langen braunen Haare wirkten gespenstisch schön, die Haut unnatürlich jung. Ich blinzelte.

"Dragomira?", murmelte ich, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Dragomira war tot, die Gestalt vor mir, bloß ein Bild meiner Fantasie und Wunschdenken.

Trotzdem lächelte das Ebenbild und sprach: "Gib nicht auf, Alisha. Ende nicht so wie ich"

Tränen tropften mir von der Wange. Die Pflanzen um mich herum verblassten.

"Aber was soll ich tun?", jammerte ich schon fast verzweifelt. Die Ungewissheit nagte an mir wie eine Maus an einem Stück Käse.

Der Geist schaute mir tief in die Augen. "Gewinnen"

Meine Kopf krachte gegen die Wand, als ich in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde. Ich schüttelte den Kopf um die miesen Gedanken zu vertreiben und raufte mir die Haare. Dragomira hatte Recht. Ich würde es schaffen. Der erste Schritt galt nun Dako und die anderen zu finden. Allein der Gedanke versetzte mir einen Stich.

Ich ging hinüber zu meinem Pferd, das ruhig in dem warmen Licht döste und wühlte in den Satteltaschen. Viel war nicht drin. Der Proviant hielt höchstens für zwei Tage, vorausgesetzt ich teilte es mir gut ein. Mein Magen knurrte und Wasser täte einer ausgetrockneten Kehle auch ganz gut. Während ich aß, zeichnete ich in den staubigen Sand eine Karte von meinem jetzigen Standort. Daneben malte ich das Meer und das Dorf, auf der anderen Seite den riesigen Dschungel. Mit einem Kreis markierte ich mich, den Tatort von Dragomiras Tod und meine vier verloren gegangenen Freunde. Ich seufzte und packte das Essen weg. Der Appetit war mir vergangen und ein riesengroßer Klos steckte mir im Hals. Ich beschloss nicht mehr zu reiten sondern zu fliegen und schickte mein Pferd in die Wildnis. Von nun an war es frei, ich wünschte das von mir behaupten zu können.

Eine lange Zeit saß ich einfach nur da und trauerte um einfach alles. Um Dragomira, um meine Freunde, um mich.

So vieles war schief gegangen, was garantierte mir also, dass es nicht so weiterging? Wer passte auf, dass ich nicht einfach hier sitzen blieb und auf meinen Tod wartete?
Dennoch tat ich es nicht. Irgendetwas hielt mich davon ab einfach zu sterben.

Und das Gefühl verstärkte sich auf einmal. Ich zuckte und spannte mich an, während meine Augen durch die Büsche glitten. Ein Vogel suchte eilig das Weite und die Blätter raschelten, knackten.

Ich verspürte Dunkelheit und Angst. Mein Herz schlug schneller. Jemand stand hinter mir. Ich konnte den Schatten deutlich sehen. Den Atem in meinem Nacken fühlen. Das Messer in seiner erhoben Hand betrachten. Mir wurde schlecht. Langsam drehte ich mich um und sah in das blutverschmierte schwarze Gesicht des Kommandanten. Er war mir tatsächlich bis hierhin gefolgt und hatte jetzt die weiß glänzenden Zähne zu einem schaurig gierigen Grinsen verzogen.
Den Arm, indem er eine scharf blitzende Klinge hielt, hoch erhoben. Ich wagte nicht mich zu bewegen, starrte ausdruckslos in die trockenen Augen.

Und dann ging alles sehr schnell. Der Kommandant ließ das Messer herunter sausen und genauso hatte er eins im Bauch stecken. Ein zweites durchbohrte seinen Hals. Blut sprudelte aus den offenen Wunden auf die Erde und bildete eine blutige Lache. Der Mann blickte mich an. In seinen Augen konnte ich sehen, wie sehr er mich verabscheute, dann kippte er nach vorne und färbte das Gras dunkelrot.

Fassungslos schaute ich auf ihn herab. Er war eines brutalen Todes gestorben, auch wenn er es verdient hätte.

Das Messer wurde hart aus seinem Hals gezogen. Ich blickte auf und beobachtete eine Gestalt,die um mich herum schlich. Mit ihrem dunklen Kapuzenmantel und der blutigen Klinge in der Hand sah sie zum Fürchten aus.

Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. "Was willst du von mir?", fragte ich und fühlte mich verletzlich, so wie sie um mich herum kreiste.

Die Gestalt rückte näher und wechselte das Messer von der einen in die andere Hand.
Mit einem geschickten Ruck zog sie den silbernen Rapir aus dem Bauch des Toten, bewegte sich katzenartig hinter mich und drückte ihn mir an den Hals.

"Versprichst du mir, dass du mir nichts tust?", zischte sie mit einer klaren Stimme und verstärkte den Griff des kalten Metalls.

Ich knurrte. "Soll das ein Scherz sein?! Wer drückt hier denn wem eine Klinge an den Hals?"

Trotzdem hob ich die Hände.

Der Rapir verschwand und wurde zurück in den Gürtel gesteckt. Ich drehte mich ruckartig um, hielt die Gestalt an der Schulter fest und schnippte mit den Fingern. Der Feuerball flammte direkt unter ihrer Kapuze auf. Sie wimmerte. "Du hast mir versprochen, dass du mir nichts tust."

"Woher weiß ich, dass du mir nichts tust!", wisperte ich

"Du bist der Lichtbringer! Außerdem bringt es dir nichts, wenn du mich tötest. Dann erfährst du niemals wo deine Freunde sind.", lockte eine weibliche Stimme.

Ich hielt den Feuerball direkt unter ihre Augen. "Sag mir was du weißt!"

Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Nur wenn du mich freilässt und versprichst mir nichts anzutun!"

Ich knurrte."Sag mir was du weißt! Dann werde ich entscheiden!"

Die Gestalt blieb stumm. Ich seufzte und ließ sie gehen." Wer bist du? "

Sie antwortete nicht, sondern streifte sich die Kapuze vom Haar.

Ich stolperte zwei Schritte zurück und blinzelte vor Überraschung, als ich sie erkannte. " Du?! "

Drachenseele - Hoffnungstod Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt