Kapitel 56

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In den Mienen war es nur spärlich beleuchtet. Die Lichter, die an den Decken angebracht waren, flackerten nervös hin und her und verliehen dem Ganzen eine gespenstische Atmosphäre. Genau wie die Stille, die sich über die Menge wie ein Teppich gelegt hatte, nachdem Mila zu erzählen begann. Ich lehnte an einem Fass in den hinteren Teilen der Miene und betrachtete aufmerksam die Leute, die entweder auf dem Boden knieten oder auf weiteren Fässern saßen. Überall schwebten kleine Staubpartikel in der sonst schon stickigen Luft und erschwerten das Atmen. Mein Blick glitt zu der kleinen Empore auf der Mila stand und ihre Geschichte erzählte. Seufzend betrachtete ich das Mädchen, das nicht älter als fünfzehn sein konnte. Ihre schwarzen Flügel hingen wie ein schwerer Schleier von ihren zarten Schultern. Sie tat mir Leid. Wie konnte das passieren? Konnten Dämonen normale Menschen einfach so in Monster verwandeln?
Nervös richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Worte des Harpyenmädchens.
"Es war, als ob jemand in meinen Körper eingedrungen wäre und meine Existenz einfach so zur Seite geschoben hätte. Zuerst sah ich und hörte ich überhaupt nichts. Dann vernahm ich einige Stimme und dann...."
Ich wusste nicht, ob sie eine Kunstpause machte oder einfach nur den Schrecken verarbeiten musste.
"...sah ich Nevarians Schloss. Es ist riesig, größer als es von außen scheint. Und überall waren diese schwebenden schwarzen Kreaturen. Sie sahen aus wie dunkle Seelen und hatten schreckliche Fratzen auf ihren verzerrten Gesichtern. Es war furchtbar. Nevarian hielt eine Ansprache. Er war größer, als ich dachte. Zwei, wenn nicht sogar drei Meter hoch."
Ich runzelte die Stirn. Drei Meter hoch? Als ich ihn zuletzt gesehen hatte, überragte er mich gerade mal einen halben Kopf. Er musste stärker geworden sein.
"Aber ich habe auch seine Stimme gehört. Sie war.."
Ich hörte ihr nicht mehr richtig zu. Mila hatte alles mitbekommen, was sich um sie herum in Nevarians Schloss abgespielt hatte. Sie konnte sich an alles erinnern. Vielleicht konnte sie uns auch etwas über die Standorte der Waffen sagen.
"Er trug einen großen schwarzen Umhang. Hinter ihm standen die hässlichsten Kreaturen, die ich je gesehen hatte. Er nannte sie Gorka oder so ähnlich..."

Meine Nervosität wuchs mit jeder Beschreibung über ihn. Nevarian war größer, besser, schneller. Er war der Stärkste, ein Monster, der Dämonenkönig, der Herrscher des Landes.
"....aber was mir am meisten Angst einjagte, war der große Stein, den er wie einen Talisman um den Hals trug. Darin war eine goldene Flüssigkeit. Und er redete dauernd von den Energien irgendwelcher Vorfahren."
Ihr Blick blieb bei mir hängen. Ich begann zu frieren und keuchte leicht.

Mila stieg von dem Podest herunter. Ich riss mich zusammen, ging zu ihr und bedeutete Draco und Mila mitzukommen.
Draußen war es deutlich kühler. Eine sanfte Brise wehte durch die kaputte Stadt und wirbelte Blätter auf.
Die Sonne drohte hinter den Hügeln zu versinken und dem runden Vollmond Platz zu machen.
Rasch drehte ich mich um.
Mila sah mich verwundert an. "Was gibt's?"
"Du kannst dich an alles erinnern, richtig?"
"Richtig."
"Du warst also jede Sekunde dabei, als Nevarian gesprochen hat?"

Draco ahnte worauf ich hinaus wollte und nickte langsam. "Dann weißt du auch, wohin er als nächstes wollte, Mila! Das ist verdammt nochmal fantastisch!"

Mila überlegte. Sie starrte eine Weile mit leerem Blick auf die untergehende Sonne, bevor sie antwortete: "Was genau meint ihr? Nevarian hat von vielen Orten gesprochen."

Ich tauschte mit Draco einen kurzen Blick aus. Sollten wir ihr erzählen, wonach wir suchten?
Draco zuckte mit den Schultern. "Ich glaube kaum, dass sie uns verrät", zischte er so leise, dass Mila es nicht hörte. Ich stimmte ihm zu. Wozu hatte ich sie sonst von dem Dämon befreit?
"Hör zu, Mila. Wir müssen Nevarian von seiner Macht herunterholen, ansonsten gibt es nicht mehr viel, auf diesem Land, dass noch uns gehört. Um dies aber zu schaffen, benötigen wir bestimmte Dinge. Waffen. Magische Artefakte. Eins haben wir bereits schon. Die anderen drei befinden sich allerdings an unbekannten Orten. Wenn wir wüssten, wo Nevarian als nächstes..."

"Höhlen!", unterbrach mich das Harpyenmädchen. "Er sprach von Höhlen und einem Stab! Dann von Schnee und einem Spiegel! Und dann...von Luft und einem Band."

"Das Zepter der Drachen, der Spiegel der Welten und das Band der Geister! Das sind sie!", rief ich aufgeregt und Erleichterung durchströmte meine Glieder. Wir hatten endlich wieder Anhaltspunkte. "Okay! Welche Höhlen meint er? Was meinst du, Draco?"

Draco legte den Kopf schräg. "Höhlen...das müssen viele Höhlen sein. Unterirdisch eventuell?"

"Was ist mit Schnee? Wo findet man hier Schnee?"

"Auf einem Berg!", antwortete Mila und wurde von unseren Ethusiasmus regelrecht angesteckt. "Aber was ist mit Luft? Im Himmel?"

"Nein, nein. Das kann er nicht meinen!", ich schüttelte den Kopf und lief ungeduldig auf und ab. "Luft...Luft...im Gebirge! Da ist es luftig. Wo ist das nächste Gebirge, Draco?"

"Auf einer Insel, nicht weit von hier.", erwiderte er genauso schnell.

"Nevarian wird zuerst zu den Höhlen reisen, schätze ich, da sie am nächsten sind. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Wir brechen morgen auf!"

"Und ich komm mit!"

Draco und ich blickten Mila stirnrunzelnd an. "Bist du sicher? Das könnte gefährlich werden."

Mila hob die Schultern und drückte die Brust raus. "Ich kann mich wehren! Nehmt mich mit! Ich bin vielleicht eine Hilfe."

Draco zuckte mit den Schultern. "Soll mir recht sein! Sieh zu, dass du bis morgen früh fliegen kannst! Alisha kann uns nicht beide tragen, verstanden?"

"Verstanden!"

Drachenseele - Hoffnungstod Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt