Kapitel 53

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Der Körper des Mädchens lag schwer und leblos auf dem Tisch. Ihre blassen Lieder waren geschlossen, nur ein stetiges Zucken durch ihren Leib verriet, dass sie noch lebte. Außer mir war niemand in diesem Zimmer. Die Fenster waren allesamt abgedunkelt worden, die Tür fest verschlossen. Falls feindliche Soldaten beschlossen, uns einen Besuch abzustatten, würden sie uns wenigstens nicht sofort bemerken. Draco, Samira und die anderen verblienen Bewohner waren sicher in den Mienen unterhalb der Stadt versteckt und würden erst wieder zur Abendsonne herauskommen.
Ich betrachtete das befallene Mädchen namens Mila und ergriff ihre Hand. Sie fühlte sich kalt und tot an. Mithilfe ihres wahren Namens konnten wir sie in einen Schlaf versetzten, der dem Tod ziemlich nahe kam. Bald würde sie allerdings wieder aufwachen und das Monster sein, zu dem sie gemacht wurde.
"Ich versuche, dich zu retten",flüsterte ich in die düstere Stille, kniete mich neben den blassen Kopf und legte eine Hand auf die strohigen Haare. Ein eisiger Schauer durchfuhr meinen Körper, als ich meine Seele öffnete und die Magie in das Mädchen fließen ließ. Wie ein Faustschlag trafen mich die unterdrückten Gefühle. Bösartigkeit und Verzweiflung überfluteten meine Seele und Geist, rissen mich mit, zogen mich tief in den Körper des Mädchens. 

Als ich die Augen öffnete, war es sehr still. Langsam hob ich den Kopf. Sanftes Licht umgab meine Umgebung, tauchte die dunklen Wände in einen blassen Schimmer. Doch mein Körper warf keine Schatten. Ich fühlte mich seltsam leer und einsam. Wo bin ich?
Ein Lufthauch streifte mich und wirbelte mich herum. Ich besaß hier keinen Körper, ich strahlte das bläuliche Licht aus. Mein Körper war meine Seele.
An meiner Hose hing meine Flöte, doch meine Finger griffen ins Leere. Meine Füße berührten den Boden nicht, mit Armen und Beinen kämpfte ich mich durch die Luft, die auf einmal tonnenschwer erschien und das Fortbewegen schwer machte. Ein Windhauch kam auf, streifte meine schwebenden Glieder, trieb mich vorwärts. Die Korridore veränderten sich, nahmen eine andere Gestalt und Größe, tauschten die Plätze. Es war wie in einem unwirklichen Traum.
Ein weiterer Gang tat sich auf und zog mich hinein. Ich kämpfte nicht dagegen an. Meine körperlose Seele war viel zu müde. Meine Hände sanken kraftlos nach unten. Die Lieder meiner Augen wurden bleischwer.
Das Licht wurde schwächer und schwächer, bis es schließlich erlosch. Eingehüllt in sanfter Dunkelheit, hing ich in der Luft, den Kopf schlaff zu Boden gerichtet.
Ein Geruch von Schwefel umwirbelte meine Nase, trübte meine Sinne, schlich sich in meine Gedanken.
"Gib auf. Lass dich fallen. Bleib hier. Vergiss alles. Wirf deine Erinnerungen fort. Hör auf, dich zu wehren. Siehst du ,wie befreiend es ist?"
Ich blinzelte leicht und sah in der Dunkelheit eine verschwommene Gestalt auf mich zukommen. Alles in mir schrie: GEFAHR. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Meine Augen fielen wieder zu, ich sackte zusammen wie ein abgestorbener Haufen Blätter und die Gestalt verschwand in dem Schwefelgeruch und setzte sich in meinem Kopf fest. Schwefel. Ich hatte das Gefühl, diesen Geruch zu kennen und ich klammerte mich mit aller Kraft an dieses Gefühl, um nicht darin zu versinken. Etwas löste sich aus meiner Erinnerung und tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ein Schatten. Ein Wesen. Ein Ding mit gelben Augen und dunkler Haut und noch dunkleren Adern. Ein Dämon.
Ich zwang mich den Kopf zu heben und diese gelben Pupillen nicht mehr zu vergessen. Der Schatten nahm Gestalt an. Das Flimmern wurde zu Bewegungen, die Schwärze in seinem Gesicht zu einer grässlichen Fratze.
Ich starrte auf die grauen Lippen. Wie ein kaputter Plattenspieler formten sie immer wieder dieselben Laute.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich begriff, dass es sich um Buchstaben handelte.
Wie gebannt fixierte ich die Lippen und versuchte in dem Durcheinander in meinem Kopf Ordnung einzubringen.
Der Dämon lächelte und verzog erneut den Mund.

R

Ich klammerte mich an den Buchstaben und schloss ihn in meine Erinnerungen.

E

Wie eine Nadel stach der Schwefelgeruch in meinem Kopf herum, doch ich konzentrierte mich weiterhin auf die Lippen.

T

Der Dämon schluckte, seine raue Zunge rollte über die spitzen Zähne.

T

Der Laut wurde wiederholt und langsam reimte sich ein Wort in meinem Kopf zusammen.

E

Die Bewegungen wurden unkontrollierter. Er machte eine Pause.

M

Er zuckte und ballte die Hände zur Faust.

I

Er riss die Augen weit auf und....

C

...umklammerte seine Kehle.....

H

..... sackte in sich zusammen.

Rette mich.......

Mein Kopf knallte auf den Tisch, als ich aufwachte. Stöhnend rieb ich mir den Nacken und die Stirn und sank erschöpft auf den Stuhl neben der Liege. Auf der Liege lag Mila. Ihre Hände waren rot, die Adern waren größtenteils verschwunden und ihr Körper lag still. Doch etwas störte. Ich war so irritiert, dass ich es erst nicht bemerkte. Doch als ich es bemerkte, glitt ein eisiger Schauer über meine Haut und mein ganzer Körper erstarrte.
Milas Augen.
Sie waren zwar immernoch gelb und gruselig, aber diesmal waren sie geöffnet und blickten mich direkt an. Folgten jede meiner Bewegungen. Ich schnippte mit den Fingern, bereit mich zu verteidigen. Doch Mila lag einfach nur da. Und beobachtete mich.

Zwei Minuten.
Fünf Minuten.
Zehn Minuten.

Sie hätte mich angreifen können, hätte mir den Kopf abreißen oder zu Nevarian schleppen können, aber sie rührte sich nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit bewegte sie sich dann. Nicht viel. Aber sie bewegte sich. Sie blinzelte. Einmal. Zweimal. Dann starrte sie wieder. Und das war der Moment, als ich näher trat und sie vorsichtig mit einem Finger anstupste. Sie reagierte nicht. Ich tippte ihr auf die Nase und sie blinzelte wieder. Ich lächelte leicht. "Hi....ähm....wie geht's?"
Mila blinzelte.
"Du sprichst nicht viel, oder?"
Mila blinzelte.
"Bist du....wieder...du selbst?"
Mila blinzelte nicht.
Sie fauchte.
Adern traten hervor.
Aber sie lag still.
Rette mich.


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