Kapitel 50

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Der Rucksack stand bereit. Karte, Kompass, Proviant....alles dabei.
Ich stand auf dem Vorplatz der Halle und verteilte finstere Blicke, während die Zwerge den Sattel auf meinen Schuppen festzurrten. Draco und Philo standen nebendran und lachten sich schlapp. Ein Gürtel wurde um meinen Bauch geschnallt und ich fletschte die Zähne, als er an meinem Hals befestigt wurde.
"Ach komm schon, Alisha", versuchte Nelio mich aufzumuntern. "Es ist doch nur ein Flug und du musst ihn ja nicht für immer tragen!"
Ich knurrte und schlug schnaubend mit den Flügeln, nachdem der Sattel fest saß. Er lag wie eine Platte auf meinen Rücken, passte sich meinen Bewegungen an. Und kaum war er drauf, saß Draco schon auf meinen Schultern und lachte aufgeregt.
"Los geht's!",rief er und schnappte sich den Rucksack.
Nelio, Dako, Philo und die Zwerge traten einen Schritt zurück.
Milorem nickte uns zu. "Ihr fliegt in das Dorf, sucht diese Standorte und kehrt sofort wieder zurück. Viel Glück bei eurer Reise. Wir erwarten euch in spätestens einer Woche wieder wohlbehalten und hoffentlich mit den richtigen Informationen hier. Fliegt jetzt los."  Er deutete auf die große Öffnung über unseren Köpfen aus der strahlend blaues Licht schien. Meine Schuppen warfen den hellen Sonnenschein zurück. Adrenalin schoss durch meine Glieder, verstärkte den aufkommenden Drang nach oben zu fliegen und den wirbelnde Wind auf meinen Flügeln zu spüren. Ich spannte meine Muskeln an, stieß mich dann mit aller Kraft ab und lenkte auf die Öffnung des Vulkans zu.
Überwältigende Gefühle stürzten auf mich ein, als ich endlich seit Tagen wieder den  Himmel sah. Die Wolken zerrissen unter meinen Flügen, als ich sie durchbrach. Ich schloss die Augen und ließ mich seufzend zur Seite fallen. Genau das hatte ich vermisst. Seit Wochen.
Draco verstärkte den Griff um meine Zacken, beugte sich nach vorne und riss die Augen auf, als ich hinunter schoss. Die grüne Landschaft raste auf uns zu. "Aaaalliiiishaaa!",brüllte er vor Lachen und zog die Beine an. Ich drehte mich, breitete die Flügel aus und wirbelte erneut nach oben. Die Luft wurde ruhiger, sie trug mich über die Wolken, ließ mich auf ihr gleiten. Draco schnaufte und lockerte seinen Griff. "Wahnsinn. Wahnsinn! Das war Hammer!", murmelte er immer wieder vor sich hin und seufzte theatralisch. Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl von Ruhe und den Wind zwischen meinen Flügeln zu spüren. Zwei Minuten, drei Minuten. Dann begann Draco zu reden. Unaufhörlich.
"Wir fliegen drei Tage. Vielleicht auch vier. Oder zwei. Je nachdem wie viele Pausen wir machen. Wie viele Pausen machen wir, denkst du? Fünf oder mehr an einem Tag? Vielleicht auch weniger. Auf jeden Fall müssen wir, wenn wir im Dorf sind, sofort in mein Haus. Wie es wohl dort aussieht? Wie das ganze Dorf wohl aussieht? Sind alle weg? Oder tot? Ich weiß es nicht."

Seine Stimme wurde traurig und er war für ein paar Sekunden still. Aber nur für ein paar. Dann plapperte er munter weiter. "Ich bin so aufgeregt. Glaubst du, wir begegnen irgendjemandem? Vielleicht Nevarians Soldaten? Oder Falco? Hey, was ist eigentlich aus ihm geworden?"

Ich verzog das Gesicht. "Tot"

"Tot? Oh.." Ich sah ihn nicht, doch ich könnte schwören, dass er nachdachte.

"Wer hat ihn umgebracht?", fragte er neugierig.

Wieder verzog ich das Gesicht. "Ich."

"Du?" Diese Ungläubigkeit in seiner Stimme war kaum zu überhören. "Wie?"

"Habe ihn über die Klippe bei Rakaki geworfen. Er hat mich geärgert!"

Draco nickte. "Verstehe. Was ist sonst noch passiert, nachdem du ihn umgebracht hast?"

Eigentlich wollte ich darüber nicht reden. "Dragomira hat mich zu einer Lichtung mitgenommen. Dort stand eine alte Hütte und dort hat sie mir eine Magie....technik beigebracht. Himmelsstrahl nennt sie sich.
Ganz schön cool. Wusstest du von der Hütte oder der Lichtung?", fragte ich, weil es mich echt interessierte.
Draco schüttelte den Kopf. "Nein. Dass sie einen geheimen Platz besaß, wusste ich nicht!"
Er seufzte und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. "Wie...wie ist sie....Du weißt schon....gestorben? Ich weiß, dass sie dich beschützt hat und so, aber wann genau, ist es passiert?"

Ich schwenkte leicht nach links und ließ mir verdammt viel Zeit zum Antworten. "Wir waren unterwegs und...wir sind direkt in die Arme dieser Mistkerle gerannt. Sie waren eindeutig in der Überzahl, aber ich wollte trotzdem kämpfen. Dragomia hat mich zurückgehalten und gesagt, sie würde sie ablenken und dann zu mir stoßen. Ich habe nichts getan um sie aufzuhalten. Es ist meine Schuld, dass sie tot ist und ich bereue es wirklich. Das Schlimme ist, dass ich nichts anderes tun kann, als mich zu entschuldigen. Es tut mir Leid, Draco, wirklich!"
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich ließ es zu, dass die Schuldgefühle auf mich niedergingen.
Draco seufzte bloß. "Es ist nicht deine Schuld. Irgendwann musste es so kommen. Ganz ehrlich, ich bin froh, dass sie so gestorben ist und ich nicht dabei war. Ich weiß nicht, was ich getan hätte. Vermutlich hätte ich dir doch die ganze Schuld gegeben und wäre womöglich noch auf dich losgegangen vor Wut."

Ich biss mir auf die Lippe und war froh, dass er das nicht sah. "Na, was ein Glück.", versuchte ich die Stimmung etwas aufzuheitern und tauchte unter den Wolken durch. "Wohin muss ich fliegen? Zum See oder Richtung Berge?"

Der Junge beugte sich nach vorne und warf einen Blick in die Karte, dann deutete er nach links, in die Richtung, in der der glitzernde See lag und den dunkelblauen Himmel spiegelte.
Ich schlug kräftiger mit den Flügel, sodass der Wind uns um die Ohren rauschte.
"Was wird das?", fragte Draco krampfhaft, während der See mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu raste. Ich stieß ein aufgeregtes Brüllen aus und durchstieß die Wasseroberfläche. Eiskaltes Wasser drückte meine Flügel nieder und erfrischte sie. Ich öffnete die Augen, lächelte unwirkürlich, als ich die vielen Fische sah, die verängstigt vor mir flohen, und strampelte mit den Beinen. Draco begann mit den Armen hin und her zu rudern und zerrte an meinen Zacken. Fröhlich schoss ich aus den sanften Wellen und glitt über die Wasseroberfläche. Er schnappte heftig nach Luft und hielt sich mehr schlecht als recht auf meinem Rücken. "Bist du wahnsinnig?", keuchte er und wuschelte sich mit der Hand durch die nassen Haare. Ich schnaubte gelassen und stieg wieder in den Himmel auf. Die Wassertropfen perlten von meinen Schuppen. Die Sonne trocknete sie bereits. Das war einer der schönsten Momente in meinem Leben. Diese Ruhe, diese Freiheit, diese Gelassenheit. Wie schade, dass er schon so schnell wieder vorbei sein würde.

Drachenseele - Hoffnungstod Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt