Kapitel 52

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23. März

Die Tage sind ziemlich grau und wolkenverhangen. Die Ernte der Lichtkristalle wird immer weniger und bald ist Sonnenfinsternis. Die Leute werden unruhiger und fürchten das Schlimmste. Wenn wir nicht genug Lichtkristalle zusammen bekom men, wird es wieder Tote geben. Für jeden fehlenden Kristall ein Leben. Ich kann mal wieder nichts tun. Meine Kräfte dürfen nicht entdeckt werden, da ich fürchte, sie könnten mir Draco wegnehmen. Er ist ein wunderbarer Junge, aber er hat zurzeit eine schlimme Erkältung. Wie immer sehne ich mich nach dem Tag der Befreiung. Wenn der dritte Lichtbringer den Dämonenkönig besiegt und endlich wieder Frieden ins Land bringt. Ich werde das nicht miterleben. Meine Tage neigen sich dem Ende zu, doch ich wünsche Draco alles Gute in der Freiheit.

Schuldbewusst klappte ich das Tagebuch zu und schob es wieder unter das Kissen. Der letzte Tagebucheintrag lag vier Monate zurück. Verzweifelt versuchte ich nicht an Dragomira zu denken, wie sie hier saß und friedlich in dieses Buch schrieb und dann an dem schrecklichen Angriff vier Monate später starb. Mit einem dicken Kloß im Hals stand ich auf, strich die Decke auf dem Bett glatt und rückte das Kissen wieder auf den rechten Platz. Dann ging ich zur Tür, warf einen letzten Blick hinein und schloss dann das Zimmer vor neugierigen Blicken ab. Seufzend ging ich in den nächsten Raum. Bis jetzt hatte ich noch nichts bezüglich den Waffen gefunden. Keine Aufenthaltsorte, keine Karten, noch nicht mal irgendwelche Notizen. Frustiert stieß ich die Tür auf und lugte in das Zimmer. Es war eine kleine Kammer. Mit schrägen Wänden, staubigen Wandteppichen und knarrenden Dielen. Hier war es dunkel und ein muffiger Geruch wehte daraus hervor. Ich versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen und wagte mich vorsichtig vor. Hier gab es keine Möbel, nichts worüber man stolpern könnte, trotzdem lag ich zwei Sekunden später der Nase nach auf dem harten Boden. Ich unterdrückte einen Fluch, schnippte mit den Fingern und ließ die kleine Flamme größer werden. Sofort spürte ich die saugende Magie in mir, fühlte wie sie die kleine Flamme nährte. Mit brennenden Finger suchte ich nach dem Stolperstein und entdeckte eine lose Diele im Boden. Vorsichtig klemmte ich meine Finger darunter und zog die Diele heraus. Ich hielt das Feuer in die pechschwarze Öffnung und blinzelte verblüfft. Dort unten lag ein Raum, ein sehr großer, und er war leicht zu übersehen. Doch das Loch war zu klein für einen normal großen Menschen. Nachdenklich stemmte ich die nächste Diele hoch und war überrascht, wie leicht sie sich anheben ließ. Nach und nach legte ich eine hölzerne Leiter frei, die ins Innere der Dunkelheit führte. Ohne zu zögern ließ ich mich in die Öffnung fallen und stieg Stufe für Stufe die Leiter hinab. Das Holz knarzte unter meinem Gewicht verräterisch und die letzten zwei Dielen brachen auseinander, als ich unten war. Wachsam hielt ich das Feuer vor mir und schwenkte durch den Raum. Dutzende Bücher lagen überall verstreut auf dem Boden. Hölzerne Regale waren auseinander gebrochen und bildeten ein einziges Labyrinth in den Durcheinander. Staub wirbelte durch die Luft und reizte meine Augen und Nase. Hustend wagte ich mich voran und schob einige lose Blätter beiseite, bis ich eine kleine Laterne fand. Ich zündete sie an, stellte sie auf den Boden und begann die Bücher zu untersuchen. Viele Titel handelten von Liebesgeschichten und Weltfrieden, doch ich fand auch welche über die Vergangenheit und die Geheimnisse der Erde. Neugierig schlug ich ein dickes Taschenbuch auf und ließ es mit einem erstickten Aufschrei wieder fallen, als kleine totgepresste Insekten daraus rutschten. Ich seufzte, kickte es weg und stieg über mehrere umgefallene Bücherregale. Wie sollte ich hier in diesem Chaos etwas finden? Ein Schatten in der Dunkelheit erkämpfte sich meine Aufmerksamkeit und ich hielt die Lampe höher. Eine Gestalt war zu erkennen, die sich langsam auf mich zu bewegte. Wie versteinert blieb ich stehen.....und niemand rührte sich. Stirnrunzelnd kniff ich die Augen zusammen und trat einen Schritt zu Seite. Die Gestalt trat ebefalls einen Schritt zur Seite. Ich hob einen Arm, die Gestalt hob einen Arm. Fast so, als würde ich in einen....Es dauerte mehr als sechzig Sekunden bis mir klar wurde, dass ich meinem Spiegelbild entgegen blickte. Der zersplitterte wandhohe Spiegel hängte keine zwei Meter von mir entfernt an der Wand, doch in der Dunkelheit hatte ich die grauen Verzierungen mit denen er geschmückt war nicht wahrgenommen.
Vorsichtig strich ich mit der Hand die Täfelungen am Putz entlang und wischte Staub von den Scherben. Dann runzelte ich die Stirn, umfasste den Spiegel mit beiden Händen und zog ihn von der Wand.
"Alisha?"
Ich zuckte vor Schreck zusammen und ließ den Spiegel fallen. Er donnerte auf die Lampe und es wurde mit einem Mal stockdunkel. "Oh Draco!", fluchte ich genervt, schnippte mit den Fingern und hielt die Flamme höher. Draco stand an der Leiter, die eine Hand am Holz, die andere suchend ausgestreckt, und blickte betroffen über das Chaos.
"Was ist denn hier passiert?", fragte er kopfschüttelnd und seufzte traurig.
Ich schob den Spiegel von der Lampe, betrachtete das zerbrochene Holz und das zerlaufene Öl und trat die restlichen Glutstücke aus. "Kennst du diesen Ort?"
"Ja, ich habe als kleines Kind hier oft gespielt. Schade, dass....dass es so verwüstet wurde."
Er trat zu mir und deutete auf den zerbrochenen Spiegel. "Was hast du damit denn vor?"
Ich zuckte mit den Schultern. Aus irgendeinem Grund hatte ich gehofft, dahinter etwas zu finden. Eventuell sogar die Fundorte der Waffen. Doch die Wand war leer und bis auf einen Wasserschaden hellgelb gestrichen.
Die Scherben unter meinen Füßen knirschten, als ich darüber hinweg sprang und die Leiter hochkletterte. Draco folgte mir und schloss die Luke wieder, nachdem wir oben waren.
"Du, weshalb ich hier bin..", begann er und seine Stimme wurde aufgedrehter. "Samira und die anderen haben in den Minen einen Gefangenen. Einen Restanten."
Ich zuckte mit den Schultern und ging die Treppe hinunter. "Na und? Den haben wir auch. Danny, schon vergessen?"
Er schüttelte den Kopf. "Nein, was ich meine ist...Also...Samira weiß, wie wir den Restanten rausbekommen."

Das Mädchen war schlacksig und leicht. Lange dunkelbraune Haare fielen ihr in wilden Locken über den Rücken. Die Seile, die sie an den Stuhl banden, schnitten sich bei jeder ihrer Bewegungen in die blasse Haut. Schwarze Adern überzogen den gesamten Körper und in den dunkelgelben Pupillen stand Wahnsinn. Der Restant brüllte auf, als wir eintraten und bäumte sich heftig auf. Er knurrte und zeigte seine spitzen Zähne.
Samira trat ganz dicht an ihn heran und blickte in diese verrückten Augen. "Mila.", flüsterte sie und legte eine Hand auf die blasse Haut. Sofort verschwanden die Adern, Ruhe überfiel das befallene Mädchen und sie hing kränklich in ihren Fesseln. Ich blinzelte verblüfft und stieß die Luft hörbar aus. "Wie, zum Teufel, hast du das gemacht?", fragte ich Samira und blickte zu ihr hinüber.
Samira lachte und nahm die Hand von dem Mädchen. "Wir haben es zufällig herausgefunden. Vor, ich glaube einer Woche, kamen Soldaten in unser Dorf zu ihrem täglichen Untersuchungsrundgang, doch diesmal hatten sie das befallene Mädchen dabei. Irgendwie ist sie allerdings verrückt geworden und wollte die Soldaten in Stücke reißen. Es ist bloß einmal dieser Name gefallen und schon war der Restant wie betäubt."
Ich runzelte die Stirn. "Dann hat uns der Restant, der mich angegriffen hat, angelogen. Sein Name ist nicht Danny."
"Scheint so", murmelte Draco und verschränkte die Arme vor der Brust. "Wie bekommen wir jetzt den Restanten aus dem Mädchen?"
Samira nickte. "Wir haben ein Gespräch zwischen zwei Soldaten aufgeschnappt, die sich ziemlich ängstlich über diese wahnsinnigen Dämonen unterhalten haben. Sie waren sich ziemlich sicher, dass der Restant entfernt werden könne, wenn man sich in dessen Geist einklickt und ihn herauslockt."
"Und wie soll das gehen?"
Samiras Blick wanderte zu mir hinüber und ein freches Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. "Du könntest das tun, oder?"
Ich schaute auf das dünne Mädchen. Ihre Haut war kränklich blass, die Augen waren matt.
Wenn man sie wirklich retten könnte, dann würde ich es tun.

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So, das war das nächste Kapitel. Der Charakter Mila gehört BookMary. Sie hat ihn erstellt.

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