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Das Gespräch war vorbei und doch wusste man nicht, um welche Krankheit es sich handelte. Man hatte Mutter und Sohn angewiesen in die Kinderklinik, weinge Kilometer entfernt, zu fahren, um dort weitere Untersuchungen vorzunehmen. Lars konnte es nicht glauben, wie der Tag verlaufen war. Noch an diesen Morgen hatte er sich wie ein ganz normaler zehnjähriger Junge gefühlt und sich nie ausgemalt, was bei diesen harmlos wirkenden Arzttermin herauskommen würde. War er nicht eigentlich wegen seiner Fingernägel hergekommen? Und plötzlich sprach man von nichts anderem mehr, als seinem Blut. Das Verhalten seiner Mutter lastete schwer auf ihm. Sie war sehr wortkarg und schien den Schock immer noch nicht verdaut zu haben.

Auf dem Weg zum Auto nahm sie ihn an die Hand. Ihre Hände waren eiskalt. Lars wollte unbedingt wissen, was mit dieser Chemotherapie genau gemeint war. Irgendwoher hatte er diesen Begriff schon einmal gehört, konnte ihn aber mit nichts in Verbindung bringen. In Gedanken überlegte er, wie er seine Mutter möglichst sanft fragen konnte, was es damit auf sich hatte. "Du Mama?", sprach er sie leise an und wartete auf eine Reaktion. Ein paar Sekunden lang sagte sie nichts und starrte weiterhin geradeaus. Erst dann schien sie ihn wahrgenommen haben und antwortete mit einem schwachen "Ja". "Was ist denn eine Chemotherapie?", rückte er nun mit seiner Frage heraus. Sie seufzte und ihr war anzusehen, wie ungern sie darüber sprechen wollte. Doch dann blieb sie auf einmal aprupt stehen, drehte sich ihm völlig zu und nahm ihn an beiden Händen. "Hör zu, du musst jetzt tapfer sein, okay?", sagte sie mit ernster Stimme und glänzenden Augen. Lars nickte und schluckte einen plötzlich aufkommenden Klos in seinem Hals herunter. "Eine Chemotherapie ist kein Spaß. Das Ziel dabei ist, dass dein Immunsystem ganz heruntergefahren wird, damit dein Körper sich nicht mehr vor Einflüssen von außen wehren kann. Das neue Blut das du bekommen sollst, darf schließlich nicht abgestoßen werden, das hast du vielleicht schon mitbekommen. Du wirst mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate im Krankenhaus verbringen müssen und nicht heraus dürfen. Durch die Chemo fallen dir deine Haare aus und dir wird es oft nicht gutgehen. Es tut mir so leid Schatz.", schluchzte Lars' Mutter wischte sich die Tränen vom Gesicht. Das kleine Detail, dass ihr Sohn dabei auch sterben konnte, hatte sie ausgespart. Lars stand wie eine Statue vor ihr und konnte sich nicht rühren. Das was er gerade gehört hatte, konnte nicht wahr sein. Es war übel, mehr als übel.
Seine Mutter nahm ihn in den Arm und versuchte ihn zu trösten, obwohl sie selbst schon ganz am Boden war. Es war ein Bild des Jammers, wie eine tränenüberströmte Mutter ihren Sohn umarmte, dem gerade ein tonnenschwerer Rucksack aufgebürdet wurde.

Sie waren allein auf dem Gehweg, der zum Parkplatz führte, wo ihr Auto stand. Dunkel Wolken hingen am Himmel und passten damit perfekt zu der Stimmung. Nachdem Sohn und Mutter wieder weitergelaufen waren, fing es auch schon an zu tröpfeln. Sie waren gerade eingestiegen, da schüttete es auch schon wie aus Eimern. Lars saß vorne auf einem Kindersitz neben seiner Mutter, die sich mit einem Taschentuch die Augen abwischte. Sie versuchte sich zusammenzureißen und für ihren Sohn stark zu sein. Wie durch ein Wunder brachte sie sogar ein Lächeln zustande und streichelte ein paar Mal über Lars seinen Kopf. "Mach dir keine Sorgen, wir bekommen das hin, wir werden das ganz bestimmt schaffen.", sagte sie zu ihm und gab auch sich selbst damit ein wenig Sicherheit und das Gefühl, alles wäre gar nicht so schlimm. "Möchtest du Schokolade?", fragte sie ihn, worauf Lars nun lächelnd "JA!" erwiderte und sich ein großes Stück in den Mund schob. Auch seine Mutter brach ein Stück der großen Vollmilchtafel ab und aß es blitzschnell auf. Gleich darauf warf sie ein zweites hinterher und startete dann den Motor.

The kids at station 7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt