"Warum willst du das alles plötzlich wissen?", wollte Lars' Vater erstaunt wissen. Lars hatte Recht behalten. Schon nach einer Stunde war sein Papa wieder aufgetaucht und hatte ihn mit einem aufmunternden Lächeln empfangen. Gerade war Lars im Begriff zu antworten, als sein Vater seine Stimme erhob und meinte, auf all diese Fragen gäbe es keine ultimative Antwort. "Weißt du, fast jeder Mensch ist von einer anderen Sache überzeugt und wenn der Unterschied auch nur sehr klein ist. Darum kann man nicht sagen, dass es nur eine Wahrheit gibt, sonst würden sich sehr viele Menschen in ihrem Glauben angegriffen fühlen.", erklärte Lars' Papa sachte. Lars nickte stumm. Auch wenn er das verstehen konnte, wollte er sich noch nicht recht mit dieser Antwort zufrieden geben. "Aber...", setzte Lars eine neue Frage an, doch sein Vater unterbrach ihn. "Ich denke, für jeden ist es das Beste, wenn er das glaubt, was ihm hilft und Mut gibt und natürlich hat die Kultur und die Herkunft auch sehr viel damit zu tun, was man glaubt.", kam es von ihm und dann wechselte der Vater das Thema. Lars schien es, als wäre dieses Thema für seinen Papa nichts, worüber man lange reden sollte. Weshalb das so sein sollte, konnte er sich allerdings nicht erklären. Lars nahm sich vor, weiterhin über seine offenen Fragen, die sein Vater ihm nicht direkt beantwortet hatte, nachzudenken und sich nicht mit der schnellen Abspeisung seines väterlichen Elternteils zufrieden zu geben.
Am nächsten Tag wurde Lars von seinem Vater mit einer sehr guten Neuigkeit begrüßt. Mittlerweile war die letzte Chemo abgesetzt und man konnte sagen, dass Lars' Immunsystem auf null gestellt wurde, was bedeutete, dass Viren und Bakterien nun leichtes Spiel hätten. Leider musste man jedoch diesen Nebeneffekt in Kauf nehmen, denn ohne diese Maßnahme, würde Lars' Körper das neue Blut nicht aufnehmen. Der große Moment war gekommen, indem man sich fragte, ob sein eigener Körper selbst die lebensnotwendigen Blutkörperchen in ausreichender Menge produzieren würde und tatsächlich - die Zahl der roten und weißen Blutkörperchen und der Blutplättchen stieg. Dieser Fortschritt bedeutete allerdings nicht, dass er die Normalwerte schon erreicht hatte; die fehlende Menge bis dahin war immer noch groß. Trotzdem, es war sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung und gab Lars ein positives Gefühl.
Lars ging es die nächsten Tage wieder besser, was aber nicht hieß, das er etwas essen konnte und auch auf Trinken hatte er keine Lust, wurde aber regelmäßig von den Krankenschwestern darauf hingewiesen. Lars tastete an seinen Bauch. Früher waren dort harte Muskeln gewesen, jetzt fühlte er nur noch weiche Haut. Auch seine Beine waren erschlafft und würden ihm sicherlich nicht mehr so viel Kraft und Energie liefern wie früher. Lars wunderte sich, wie schnell der Körper sich seiner Betätigung anpasste. Gerade einmal zweieinhalb Wochen war er nun hier und schon traten derartige Veränderungen auf. Hoffentlich würde es anders herum genauso sein und er würde ruck zuck wieder fit sein. Mit einem leisen Seufzen schaltete Lars den Fernseher ein und schaltete wahllos und gelangweilt durch die Programme. Wie gern wäre er doch jetzt draußen in der Natur. Frische Luft! Das war es, was er brauchte. Wind, Sonne, Regen auf seiner Haut. All diese alltäglichen Dinge fing Lars an schrecklich zu vermissen und sich danach zu sehnen. Vorgestern hatte er sich dann doch dazu entschlossen, Ole anzurufen - keine gute Idee. Während Ole ihm ausführlich erzählt hatte, dass er gestern mit den Jungs im Freibad gewesen war und dort mit ihnen Wettschwimmen veranstaltet hatte, hatte Lars seine aufsteigenden Tränen fast nicht unterdrücken können. Die Sehnsucht bei ihnen zu sein und wieder aktiv zu werden, hatte ihn beinahe erdrückt. Schnell und mit wackelnder Stimme hatte er das Gespräch beendet und seine wahren Gefühle dabei erfolgreich unterdrückt. Erst als er aufgelegt hatte, war ihm eine Träne über seine Wange gerollt, die er jedoch wütend weggewischt hatte. Anschließend hatte er sich seine Bettdecke über den Kopf gezogen und war darunter verschwunden.
Gerade als Lars wieder an das einseitige Gespräch mit Ole dachte, kam Nadja herein. "Schau mal was ich hier habe.", lenkte sie die Aufmerksamkeit auf sich und schmunzelte. Lars wandte seinen starren Blick vom Fernseher ab und nahm ein großen Papierumschlag in den Augenschein, der für ihn bestimmt zu sein schien. Lars' Augen weiteten sich und er fing an zu lächeln. Von wem das wohl war? Und was steckte darin? Nadja überreichte ihm seine Post und ging dann lächelnd wieder nach draußen.
Voller Neugier riss Lars das Papier auf und holte ein zusammengefaltet Plakat heraus. Lars staunte nicht schlecht, als er sah, dass jeder Schüler seiner Klasse eine Nachricht auf ein gemaltes Bild geschrieben hatte. Sie hatten sich wirklich Mühe gegeben, jedoch konnte Lars sich denken, was davon die Mädchen und was die Jungs gestaltet hatten. Über die kleinen Ermunterungen und Wünsche freute er sich dennoch am meisten und las lächelnd alles durch. Thomas hatte geschrieben, er solle gefällingst gesund werden und nicht die Schule schwänzen, woraufhin Lars kurz auflachen musste. Er fand Ole's Bild und Nachricht gleich daneben. Sie war nur geringfügig länger als die der anderen und doch bedeutete sie Lars am meisten. Ole würde wohl immer sein bester Freund bleiben. Anscheinend sah dieser das auch so, denn etwas kleiner unter seinem Namen stand: Ich brauche dich noch, mein bester Freund.
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The kids at station 7
Short StoryEin ganz normaler Arztterim, dachte er. Schulfrei und eine entspannte Autofahrt nach Ulm, in der er auf dem Handy seiner Mutter ein Spiel spielen durfte. Man würde nur seine Fingernägel genauer unter die Lupe nehmen, mehr nicht. Die gehasste Doppels...