Kapitel 6

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Ich fühlte mich, wie im Himmel. Nachdem wir uns eine Weile angeschwiegen hatten, erzählte Chris mir, dass er mit seinem Bruder und dessen Frau und Kinder in dem Haus wohnte. Seine Lippen zogen mich in ihren Bann. Wie er sie bewegte. Himmel. „Leonie?" Erschrocken sah ich auf. „Ja?" Mit rotem Gesicht wandte ich meinen Blick zu Chris' Augen. Sie waren genauso schön, wie der Rest an diesem Mann. „Wie ist es denn an der Ostsee gewesen?", wiederholte er seine Frage grinsend. „Sehr schön. Man ist mit dem Rauschen des Meeres eingeschlafen und mit dem Kreischen der Möwen aufgewacht. Jeden Tag war ich am Strand, bin förmlich dort aufgewachsen." Chris hörte mir gespannt zu. Als ich endlich fertig war, sagte er nichts, sondern sah mich nur fasziniert an. Verwirrt knuffte ich ihm in die Seite, woraufhin er aufschreckte. „Mein Bruder und ich waren vor ein paar Monaten auch an der Ostsee, in Rostock.", sagte er, ein klein wenig wehmütig. „Und wie hat es dir gefallen?" Ich lächelte ihn an. „Es war sehr schön, aber wir haben leider nicht viel vom Meer gesehen, weil wir beruflich beschäftigt waren." „Als was arbeitet ihr denn?", fragte ich neugierig und knetete aufgeregt meine Hände ineinander. Chris biss sich auf die Unterlippe. „Tut mir leid, ich wollte nicht neugierig sein.", murmelte ich leicht beschämt. Auf Chris' Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Schon okay, ist ja eigentlich die normalste Frage auf der Welt." Damit war das Thema vergessen und ich fragte nicht nochmal nach. Er hatte bestimmt seine Gründe, warum er nichts dazu sagte. Nach einer gefühlten Ewigkeit erklärte Chris mir, dass er leider gehen musste. Er umarmte mich zum Abschied kurz, aber innig. Ich atmete seinen Geruch ein und schloss die Augen. „Wenn was ist, du weißt ja wo ich wohne.", sagte er grinsend. Ich nickte lachend. „Ich finde alleine raus." Er zwinkerte mir zu. Dann verließ er mein Zimmer. Etwas niedergeschlagen legte ich mich hin und vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Warum musste mir dieser Kerl nur so den Kopf verdrehen? Nach unserem Gespräch wusste ich nun mehr über ihn, aber irgendwie fühlte es sich so komisch an. Vielleicht lag das noch an den Nachwirkungen vom Unfall. Ich wusste es nicht und je mehr ich darüber nachdachte, umso müder wurde ich. Letztendlich fiel ich in einen tiefen Schlaf und träumte...von Chris.

Als ich aufwachte, war es draußen bereits am Dämmern. Gähnend streckte ich meine Arme in die Luft. Zuhause schlief es sich bedeutend besser, als in dem harten Krankenhausbett. Vorsichtig setzte ich mich auf und griff nach den Krücken, die neben meinem Bett standen. Dann humpelte ich langsam aus meinem Zimmer die Treppen hinunter ins Wohnzimmer. Meine Mutter war noch immer nicht da. So allmählich ging mir das auf die Nerven. Wir wohnten seit einer Woche hier und seit dem Unfall hatte ich kein Wort mehr von ihr gehört, geschweige denn sie gesehen. Tolle Mutter hatte ich. Ich lehnte die Krücken an die Wand und hüpfte auf einem Bein zum Fernseher, welchen ich einschaltete. Dann setzte ich mich auf das helle Ledersofa. Gelangweilt zappte ich durch die verschiedenen Sender. Ich blieb bei RTL hängen, wo gerade Werbung lief. „Lassen Sie sich verzaubern..." Es ertönte eine tiefe Männerstimme und zwei Gesichter wurden eingeblendet. Das Bild wechselte so schnell, dass ich sie nicht detailliert erkennen konnte und nur die Umrisse wahrnahm. Die Stimme fuhr fort: „..von der preisgekrönten Show der Ehrlich Brothers." Das Bild wechselte zu einem Mann, der auf einem Tisch stand und mit tosendem Applaus begrüßt wurde. Plötzlich fuhr ein weiterer Mann aus einer Art Riesen-Tablet mit einem Motorrad heraus, welches von einem dritten Mann auf Höhe des Tisches gehalten wurde. Ehe ich jedoch sein Gesicht erkennen konnte, wechselte das Bild zum Publikum, welches begeistert jubelte. Ich war so fasziniert von der Werbesendung, dass ich kaum mitbekam, wie meine Mutter den Raum betrat. Ich drehte mich zur Wohnzimmertür. Sie kam auf mich zu und umarmte mich kurz und flüchtig. Ich sagte nichts, da ich in Gedanken immer noch bei der Werbesendung war. Ehrlich Brothers. Ich hatte von denen vorher noch nie etwas gehört. Ich stand auf, schaltete den Fernseher aus und wollte nach draußen gehen. „Wo willst du hin? Es gibt gleich Abendbrot." Das Gesicht meiner Mutter erschien im Türrahmen. „Ich muss kurz frische Luft schnappen.", murmelte ich und schnappte mir meine Strickjacke. Dann ließ ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen. Achtsam humpelte ich Richtung Gartentor. Diese Krücken waren so belastend. Auf dem Kies rutschten sie immer wieder weg und es kostete mich Mühe, die Balance zu behalten. Endlich hatte ich es geschafft. Ich atmete tief durch und sah die Straße hinunter. Es war ruhig, nur das Zwitschern der Vögel drang von den Bäumen und Büschen in mein Ohr. Ich wandte meinen Blick zu Chris' Haus. Was er wohl gerade machte? Kopfschüttelnd drehte ich mich um und humpelte weiter. Es war so nervig, nicht normal laufen zu können. Dieser doofe Klotz an meinem Fuß. Am liebsten hätte ich ihn abgemacht und in den Müll geworfen. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis ich das Ende der Straße erreicht hatte. Vor mir lag ein kleiner Park mit den verschiedensten Pflanzen und Sträuchern. Ich erblickte eine Bank. Nachdem ich sie erreicht hatte, setzte ich mich auf die braungestrichenen Holzbretter und schloss die Augen. Es war immer noch warm, angenehm warm. Die Wärme prickelte auf meiner Haut und ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Noch vor einer Woche hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als wieder Nachhause zu fahren, an die Ostsee. Und jetzt saß ich hier und es fühlte sich so schön an. Klar, das Rauschen des Meeres fehlte, aber das Rascheln der Bäume war ebenso angenehm und beruhigend. „Na, wen haben wir denn da?" Eine warme Stimme drang an mein Ohr. Ich blinzelte und sah in zwei wunderschöne, rehbraune Augen.

Falls ihr euch jetzt wundert: "Hä, das Kapitel kam doch gestern schon?!" Ja, ich habe es gestern schon mal hochgeladen, war allerdings sehr unzufrieden damit. Also habe ich es kurzerhand umgeschrieben. Mir fehlte an einer Stelle ein wenig die Spannung. Ist keine große Veränderung für das Kapitel, aber eine sehr große für die gesamte Story. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. :p

Das Leben ist eine IllusionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt