9) Kindergartenfreunde

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Heute steht mal wieder Training auf dem Programm, da alle mittrainieren oder eine Krafteinheit absolvieren sitze ich auf der Bank und schaue ihnen zu. Was in den letzten Wochen abging ist unfassbar. Meine Bewerbung bei den Bayern war eher so aus Interesse. Ich dachte mir immer nur ach die nehmen dich doch eh nicht. Und dann der Anruf vom DFB. Jetzt bin ich hier im Trainingslager mit der Nationalmannschaft.

Oft war ich kurz davor mir einen Ball zu schnappen und einfach ein paar Torschüsse zu machen. Irgendwie vermisse ich den Fußball einfach, aber ich habe mir geschworen nie wieder zu spielen. So eine Verletzung möchte ich nie wieder durchmachen.
Auf einmal rollt ein Ball vor meine Füße. Wie hypnotisiert starre ich ihn an. Soll ich? Ach scheiß drauf. Ich schieße und der Ball landet genau in Marios Armen. Das klappt ja noch besser als gedacht. "Alter der war gut" ruft er über den ganzen Platz. Manche Dinge verlernt man eben nie. Fühlt sich richtig gut an. Nach der Einheit kommt Joshua auf mich zu: "Was war das denn eben?" mit großen Augen schaut er mich an. "Lange Geschichte" sage ich. "In zwei Stunden in der Lobby" ohne eine Antwort abzuwarten geht er zusammen mit den anderen in Richtung Kabine.
Zwei Stunden später stehe ich am verabredeten Treffpunkt. Kurz drauf kommt auch Joshua. "Was hast du vor?" frage ich skeptisch. Doch anstatt zu antworten lächelt er nur. Wir verlassen das Hotel und gehen in Richtung Stadt. Nach fünfzehn Minuten Schweigen bleiben wir vor einem kleinen Cafè stehen. "Darf ich bitten?" sagt er während er mir die Tür aufhält. Wir setzten uns an einen abgelegenen Tisch in einer Ecke. "Geil hier gibt's Rhabarber Kuchen" schwärme ich. "Ih das ist so ziemlich das ekelhafteste, was es gibt" sagt Jo angewidert. "Das erinnert mich an einen Kindergartenfreund. Der mochte auch keinen Rhabarber, aber trotzdem hat er ihn immer mir zu liebe gegessen" lache ich. Joshua schaut mich nachdenkend an. Worüber er wohl nachdenkt. "Hab ich was falsches gesagt?" - "Nein nein. Nur irgendwie kommt mir diese Geschichte bekannt vor. Wo warst du denn im Kindergarten?" "Früher haben wir in der Nähe von Bösingen gewohnt, wahrscheinlich da in der Nähe" jetzt weitem sich seine Augen. "Krass! Ich auch" Heißt das wir kennen uns schon länger? Ich schaue ihn an und da fällt es mir ein: "Joshua Wend!! Mein bester Kindergarten Kumpel?" - "Ja. Krass. Ich dachte ich seh dich nie mehr, als ihr weggezogen seit"
Wir plaudern noch ein wenig und erzählen uns Geschichten, die wir noch von damals wissen. Ohaa! Krass.

"Aber wieso hast du jetzt einen anderen Nachnamen?" frage ich ihn nach einer Weile. "Meine Eltern haben dann doch noch geheiratet" er lächelt mich an. "Achsooo"
"Du hast früher immer mit den Jungs Fußball gespielt, oder? Und wie man heute gesehen hat, hast du es immer noch drauf" stellt er fest und nimmt einen Schluck von seinem Cappuccino, der gerade gebracht wurde. "Ja stimmt, aber mit 14 hab ich aufgehört" wenn ich daran zurück denke, werde ich immer traurig. "Wieso denn?" - "Kreuzbandriss. Drei Tage später hätte ich zum ersten Mal für die U15 Nationalmannschaft gespielt. Dannach habe ich keinen Ball mehr angerührt, bis heute" erzähle ich kurz und knapp. "Wow. Dann bist du ja richtig gut" staunt er. "Warst" korrigiere ich ihn. "Ach Quatsch. So etwas verlernt man nicht" sagt er mit voller Überzeugung. "Oh doch das tut man" - "Nein. Komm wir gehen jetzt zurück und dann kicken wir ne Runde. Nur du und ich, wie damals" darauf muss ich lachen. Wie sich das anhört. "Das deute ich mal als ja"
Nach einer fünf minütigen Diskussion darüber, wer bezahlt, verlassen wir das Cafè. Natürlich hat er bezahlt, was auch sonst.

Am Trainingsplatz angekommen schnappt er sich einen Ball und wirft ihn mir zu. "Los. Torschuss. Ich geh auch ins Tor"
Nach zehn Schüssen, die alle im Tor landen hat Joshua keine Lust mehr. Er wirft mir den Ball wieder zu und sagt: "Los versuch an mir vorbei zu kommen" Ich dribble auf ihn zu und ziehe mit einer leichten Körpertäuschung an ihm vorbei, war ja leichter als gedacht. Naja wahrscheinlich hat er mich mit Absicht vorbeikommen lassen. Er läuft mir hinterher und plötzlich spüre ich, wie er seine Arme um meine Hüfte legt. "Nicht so schnell" meinen Körper durchzuckt eine Gänsehaut. Er schiebt mich leicht zur Seite und schnappt sich den Ball. "Ey" rufe ich ihm hinterher. Er bleibt stehen, dreht sich um, stellt seinen Fuß auf den Ball und zuckt mit den Schultern. Er sieht aus wie ein kleiner Junge. Einfach nur süß. Moment süß?
Irgendwie macht es mich traurig zu sehen, dass ich es noch 'drauf habe', zumindest mehr oder weniger. Was wäre wenn ich damals wieder angefangen hätte? Hätte ich mein größtes Hobby, meine Leidenschaft zum Beruf machen können, oder wäre ich eh gescheitert? Das macht mich fertig, hätte, wäre, wenn und abee. Jetzt ist es so und damit muss ich leben, leider. Joshua steht immer noch zehn Meter vor mir und wartet. Jetzt kommt er langsam auf mich zu. "Alles okay?" fragt er besorgt. "Können wir zum See?" stelle ich die Gegenfrage. Er nickt und fünf Minuten später sitzen wir am Ufer.
"Es macht mich einfach fertig. Dieses wenn, hätte, wäre. Wenn ich wieder angefangen hätte, wo wäre ich dann. Es war damals mein ein und alles. Ich hätte alles dafür gegeben. Aber nach der Verletzung wollte ich mich nicht nochmal so schwer verletzten. Das war die schlimmste Zeit" meine Stimme stockt und ich versuche die Tränen hinunter zu schlucken, doch das gelingt mir nicht. Er nimmt mein Gesicht in seine weichen Hände und streicht mir vorsichtig die Tränen weg. "Hey nicht weinen. Dein Lächeln ist viel schöner" sagt er mit beruhigender Stimme. Er hält immer noch mein Gesicht in seinen Händen und wir schauen uns einfach nur in die Augen.
Irgendwann nimmt er seine Hand weg und schaut hinaus auf den See.

Als Teil der Mannschaft (Joshua Kimmich)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt