19. Kapitel

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Mir wird noch schlechter als mir sowieso schon ist, als wir auf den Parkplatz vor der Kirche fahren.

Mom und ich haben heute noch so gut wie kein Wort miteinander gewechselt. Na ja, abgesehen von einem Satz den sie zu mir gesagt hat: „Iss etwas, Nico."

Doch ich konnte nicht. Ich konnte den ganzen Tag schon nichts essen. Irgendwie habe ich es schließlich geschafft einen halben Toast zu essen und ein Glas mit Wasser zu trinken. Das war es aber auch schon. Auch geschlafen habe ich letzte Nacht nicht. Immer wieder musste ich anfangen zu weinen, wie aus dem nichts. Ich habe mich nach jemanden gesehnt an den ich mich festhalten könnte. Doch es war niemand da. Also habe ich mich einfach an Will's T-Shirt aus dem Ferienhaus am See geklammert, auch wenn sein Geruch schon längst verblasst war.

Mein ganzer Körper fühlt sich taub und wackelig an, als ich aus dem Auto steige. Ich atme tief durch, als Mom und ich, Seite an Seite zur Kirche laufen. Die Beerdigung beginnt in ungefähr 20 Minuten. Drinnen wartet schon der Pastor, der gleich auf uns zu kommt. Fragt mich nicht nach seinem Namen, er hat einen total komplizierten den ich mir einfach nicht merken kann.

Das Gespräch das meine Mutter nun mit dem Pastor führt ist für mich wie ein Rauschen im Hintergrund. Ich lasse meinen Blick durch die Kirche schweifen. Es ist kalt hier drinnen, man könnte meinen schmecken zu können wie abgestanden die Luft hier drinnen ist. Die Steinwände wirken nicht sehr einladend, genauso wie die Holzbänke auf denen nicht einmal Polster sind. Ich vergrabe mein Gesicht tiefer in dem Kragen meiner Jacke. Ich will nicht hier sein.

Dann sehe ich ihn also. Den hölzernen, hellbraunen Sarg der in der Nähe vom Altar steht. Ein Gesteck aus Roten Rosen liegt darauf. Daneben ein Bild von einer lächelnden, glücklichen und vor allem lebendigen Bianca. Schlagartig wird mir noch kälter als es mir sowieso schon ist. Nie wieder wird sie Lächeln können. Nie wieder werden ihre Augen so glücklich strahlen können wie auf diesem Bild.

Ich habe das Gefühl mich übergeben zu müssen, doch ich habe nichts im Magen, also würde das sowieso nichts bringen.

Plötzlich wird mir bewusst wie still es ist. Das Rauschen im Hintergrund ist verstummt. Ich schaue zu Mom und dem Pastor, beide schauen mich an. Man sieht dem Pastor ganz deutlich das Mitleid in den Augen an. Wann anders wäre ich wütend geworden, doch im Moment habe ich einfach nicht die Kraft dazu. Meine Mutter mustert mich bloß mit einem müden Blick, den gleichen den ich wahrscheinlich gerade auch habe. Sie ist blass, genauso wie ich.

Der Pastor tritt einen Schritt auf mich zu und legt mir eine Hand auf die Schulter. Sofort habe ich den Drang sie weg zu schieben, doch ich bleibe einfach starr stehen.

„Solch ein Tag ist nicht leicht mein Junge, ich weiß. Doch deine Schwester ist immer noch hier. Gott hat sie zu sich geholt, auch wenn das in deinen Augen vielleicht nicht gerecht erscheint. Er hat sie von ihrem Leid erlöst."

Vielleicht denkt er mir damit etwas Trost zu spenden. Meine Mutter hat mir in den letzten Tagen erzählt, dass selbst wenn sie die ganzen Verletzungen von dem Autounfall überlebt hätte, sie vielleicht nicht mehr die Alte wäre. Sie vielleicht rund um die Uhr pflegebedürftig wäre und eventuell im Rollstuhl hätte sitzen müssen. Bianca hätte vielleicht jeden Tag Schmerzen erleiden müssen. Da war es doch so einfacher und besser für sie, oder nicht? Doch das alles hätte auch nicht passieren müssen. Warum ist sie mit Alkohol im Blut Auto gefahren? Die Ärzte haben Mom zwar gesagt, dass sie, im Vergleich zu den Freunden mit denen sie im Auto war, wenig getrunken hatte, doch sie war trotzdem gefahren.

Die Bianca die ich vor dem College kannte hätte so was nie getan.

Und außerdem glaube ich nicht daran. Ich glaube nicht daran, dass es einen Gott gibt. Es gibt so viele verschiedene Religionen, doch so wirklich wissen tun sie alle nichts.

~~~

Der meiner Schwester gewidmete Gottesdienst zieht an mir vorbei wie Nebel.

Die Kirche ist, meiner Meinung nach, überraschend voll. Der Großteil unserer Familie ist da, Onkel, Tanten, Omas, Opas.. die ganze Dröhnung eben. Leute die bei uns in der Straße wohnen sind hier, Freunde die Biancas Leben ab dem Kindergarten geteilt haben. Und eine relativ große Menge aus Leuten die mit ihr auf das College gegangen sind. Auch Lehrer und sogar der Direktor ist dabei. Jason und Piper sind auch da und später entdecke ich noch einen blonden Haarschopf in der schwarzen Menge. Es ist Will mit seiner Mutter. Ich sehe ihn nur kurz, er lächelt mir, ich denke es sollte zuversichtlich sein, zu und winkt leicht. Am liebsten wollte ich ihn rufen, er sollte sich zu mir setzen und mich in den Arm nehmen. Mich von der Predigt über Biancas Leben von dem Pastor abschirmen und mich einfach nur festhalten. Doch natürlich tue ich das nicht.

Schließlich wird also Biancas Sarg aus der Kirche gefahren. Der Pastor voraus, Mom und ich hinterher. Der Rest folgt uns, teilweise jedoch nur schweigend. Ich nehme nur halb wahr, dass es auch Getuschel auf dem Weg zum Friedhof gegenüber von der Kirche gibt. Dass es auch Leute gibt, die schon wieder leise über irgendetwas Lachen was ihnen gerade eben erzählt wird oder so. Doch ich bin immer noch so antriebslos, müde und einfach nur leer, dass ich immer noch nicht die Kraft besitze wütend auf sie zu werden.

Wir platzieren und also schließlich alle um das zukünftige Grab von Bianca. Der Sarg steht neben dem dunklem Loch das ausgehoben wurde. Später wird sie darin verschwinden. Für immer. Ich versuche den Gedanken, was da unten mit ihrem Körper passiert weg zu schieben.

Nun werden also Reden gehalten. Reden von der Familie, von Freunden.. einfach mit vielen Leuten mit denen Bianca etwas zu tun hatte. Mom hat mir vorgeschlagen auch ein paar Worte zu sagen. Und ich war fest entschlossen dies zu tun. Stundenlang saß ich die letzte Woche an meinem Schreibtisch, habe versucht irgendwelche Worte auf das Papier vor mir zu bringen. Doch es gibt keine. Es gibt einfach keine Worte die Bianca so beschreiben wie sie ist. Also habe ich es aufgegeben. Selbst wenn ich heute die richtigen Worte parat hätte, könnte ich es ebenfalls nicht tun. Meine Beine fühlen sich total weich an, mir ist kalt und ich zittere leicht. Zwar zeigt sich die Sonne immer wieder, doch ich spüre davon nichts.

Dann scheint es so weit zu sein. Vier Männer in schwarzen Anzügen beginnen damit Bianca mit der Hilfe von zwei Seilen hinunter in die Erde zu lassen. Ich habe erwartet nun weinen zu müssen, wie meine Mutter neben mir. Doch es kommt einfach nichts aus mir heraus. In mir steigt nur das Gefühl gleich umzukippen und ebenfalls mit hinunter in das Loch zu fallen, obwohl ich drei Meter von dem Loch entfernt bin. Ich schließe meine Augen und öffne sie erst wieder als meine Mutter nach meinem Arm greift. Biancas Sarg ist verschwunden, die Männer haben sich etwas entfernt und beobachten uns schweigend. Ich atme tief durch, stütze Mom etwas, die gerade sehr zerbrechlich wirkt, und laufe langsam los zu Biancas Grab. Ja, nun ist es ihr Grab. Erst war sie Bianca. Dann war sie die tote Bianca. Dann war da Biancas Sarg und nun ist dort ihr Grab. Ich schlucke, nun rollen mir doch warme Tränen über die Wangen. Ein Vogel fliegt über uns vorbei und zwitschert ein fröhliches Lied. Nun stehen wir also vor dem Grab, meine Mutter wirft eine einzelne rote Rose hinein. Ich hin gegen nehme die kleine Schaufel, tu etwas Sand darauf und lasse diesen dann in das Loch rieseln.

„Leb wohl.."

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Heyho, hier ist (etwas verspätet) das neue Kapitel!

Ich hatte es gestern eigentlich fertig, aber es hat mir nicht gefallen also habe ich alles noch einmal gelöscht und noch einmal von vorne angefangen xD

Durch diese kleine Änderung musste ich das was ich eig in ein Kapitel packen wollte in zwei packen.. also hab ich noch Kapitel 20 auf Lager... soll ich es Heute posten oder Morgen erst? ^^ Es liegt bei euch..

LG

And then something changedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt