Störrische Tiere

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Zwei Wochen später

(Jenna POV)

„Jenna kommst du bitte schnell her!“, schallte die Stimme meiner Chefin durch das Tierheim. Sie klang besorgt und auch verzweifelt. Augenblicklich ließ ich alles stehen und liegen, was sich gerade in meinen Händen befunden hatte. Auch in der Hand meines verletzten Armes. Nur noch selten spürte ich Schmerzen und lediglich ein Pflaster klebte noch an der Stelle.
Schnellstmöglich eilte ich zu meiner Chefin.
Ein empörtes Kreischen und Krächzen drang bereits von Weitem an mein Ohr. Fragend zogen sich meine Augenbrauen in die Höhe und als ich meine Chefin aufstöhnen hörte, runzelte ich die Stirn.
Was bei den Valar ist dort los? Befindet sich dort nicht die Voliere für die Vögel?

Mit meiner Vermutung traf ich genau ins Schwarze. Als ich die Tür öffnete, ertönte ein ganzer Schwall an Geräuschen, der auf mich herabstürzte. Beinahe drohte er mich unter sich zu begraben, doch ich war noch in der Lage alle neuen Sinneseindrücke zu sortieren und einen einigermaßen klaren Kopf zu bewahren.
Federn segelten zu Boden, Schwingen waren ausgebreitet worden und flatterten um die Wette. Ein Chor aus Vogelstimmen hatte sich erhoben. Und inmitten dieses Chaos stand meine Chefin. Ihre Haare zierten ein paar blaue Federn und auch rote.
Empört krächzte ein kleiner blauer Wellensittich in ihrer Hand, als ginge es um sein Leben. Ein Biss mit dem Schnabel, ein überraschter Schrei, dann trugen ihn seine Flügel wieder empor in die Freiheit.

„Wie du siehst sind uns einige der Vögel aus der großen Voliere entkommen. Jenna ich brauche deine Hilfe. Dort oben sitzen noch ein paar Wellensittiche, die ich nacheinander mit dem Kescher einfange, aber traust du dir zu den großen Ara dort drüben zu fangen?“, fragte sie, ihre Finger verwiesen auf einen bunten Ara, der mit aufgeplusterten Federn ganz oben auf einer eisernen Stange thronte. Missbilligend blickte er auf uns herab, wenn ein Vogel denn dazu in der Lage war derartig zu schauen.

„Ich werde es versuchen“, murmelte ich und trat ein paar Schritte in seine Nähe. Er saß weit oben, musterte mich mit seinen runden schwarzen Augen und neigte keck den Kopf zur Seite.
Ein schwaches Gefühl machte sich in mir breit. Die Vermutung, dass er mich provozierte, dass er sich über mich lustig machte.
Ach was Jenna! Das ist doch irrsinnig!

Und doch blieb das Gefühl. Schnell hatte ich es jedoch in den hintersten Teil meines Kopfes verbannt und widmete mich dem großen Vogel, der verärgert seine roten Federn aufplusterte.
„Komm mein Großer. Na komm schon“, lockte ich ihn prompt, er rührte sich natürlich nicht. Stattdessen begann er seelenruhig sein Gefieder zu putzen.
„Nun komm schon her!“, rief ich lauter und streckte ihm auffordernd meinen Arm entgegen. Langsam hob er den Kopf und musterte mich intensiv.

„Jenna ich glaube das hat keinen Sinn. Oscar ist und bleibt ein störrischer Vogel. Ich rufe den Tierarzt. Er muss ihn betäuben, sonst bringt das nichts“, informierte mich meine Chefin. Seufzend und zugleich kopfschüttelnd verließ sie blitzschnell den Raum. Mein Blick wanderte zurück zu dem rebellischen Oscar. Ich musterte ihn, er musterte mich. So standen wir einige Minuten dort.
Sein Kopf wanderte leicht in Schräglage und ein schwacher Schimmer durchzog seine Augen.

"Du magst es nicht betäubt zu werden. Du hast Angst, aber wenn du Angst hast, Oscar, dann komm zu mir herunter. Dort oben bleibt nur der Tierarzt. Ich tue dir kein Leid an, Oscar“, versprach ich leise und hob noch einmal den Arm.
Nach einem kurzen Zögern breitete er dann doch die Flügel aus und segelte die paar Meter hinab. Mich traf der Wind, der durch seine Feder pfiff, dann spürte ich die Krallen um mein Handgelenk.
„Siehst du, kein Problem. Ich tue dir wirklich nichts. Du bist ein wunderschöner Ara“, flüsterte ich lächelnd und legte vorsichtig die schmalen Finger auf seinen Kopf. Die kleinen Federn waren ganz weich, ich streichelte ihn.
Als wenn er mich verstanden hätte...

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