Der Beginn einer langen Reise

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(Jenna Pov)

Die einzige Reaktion, die ich daraufhin von ihm erhalten hatte, war ein kurzes Aufschauen in meine Richtung. Mehr nicht. Kein einziges Wort, keine Erklärung, nichts. Absolut gar nichts!

Ich wusste nicht einmal wo wir waren. Um uns herum wuchsen Bäume dem Himmel entgegen, ich sah Bäume, Büsche und noch mehr Sträucher. Kein Hinweis auf menschliches Leben, abgesehen von mir und meinem mysteriösen Retter, der mich, trotz alles Schweigens, vor einer Zwangsheirat bewahrt hatte.

Aber was wenn er...? Wenn er mich nicht aus Nächstenliebe befreit hat? Wenn er mehr von mir möchte?

Zitternd schlang ich die Arme um mich, versuchte mir irgendwie ein wenig das Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln, aber so sehr ich es auch versuchte. Die Angst hatte mich fest in ihren kalten Fingern. Skeptisch betrachtete ich den jungen Mann, er erschien mir nicht gewalttätig gegenüber einer wehrlosen, unbewaffneten Frau, so wie er sich verhielt.

Er würdigt mich nicht einmal einen Blickes!

Seine Äußeres hingegen, strahlte etwas ganz anderes aus. Etwas Bedrohliches. Besonders der Speer, dessen Spitze immer wieder gefährlich im Licht der aufgehenden Sonne aufblitzte.

Soll ich ihm vertrauen? Kann ich ihm überhaupt vertrauen? Habe ich eigentlich eine andere Wahl?

Wenn ich mich umsah und die Natur betrachtete, dann waren wir ganz alleine in der Wildnis. Es wäre alles andere als ratsam gewesen, alleine weiterzugehen. Die Umgebung war mir fremd, er war mir fremd, die Sprachen waren mir mehr oder weniger wahrscheinlich auch fremd.

Was wenn er meine Sprache nicht spricht?

Doch als ich es mit Englisch und kurz darauf auf Französisch und Spanisch versuchte, bekam ich nur einen fragwürdigen Blick von ihm.

Als die Sonne höher gestiegen war, kam Leben in den jungen Mann. Mit einer flinken Bewegungen steckte er den Sperr in eine Vorrichtung ab seinem Rücken. Er würdigte mich keinen Blickes während er mir ein Bündel aus Stoff zuwarf und auch ein paar Stiefel aus Leder vor mir auf den Boden stellte. Ich fragte mich erst gar nicht wo er die Kleidung versteckt hatte, griff mir das Bündel und verschwand hinter einem nahem großen Busch, um mich umzuziehen.

Es dauerte nicht lange, da trat ich zurück auf die Lichtung. Die Kleidung passte wie angegossen, was mich wunderte. Normalerweise war es immer schwer gewesen für meine Größe passende Kleidung zu finden, besonders bei den Schuhen war es jedes Mal ein Abenteuer.
Mein Oberkörper steckte in einem weißen Hemd mit langen Ärmeln. Darüber trug ich einen Art Korsett aus festem dunklen Leder. Die gleiche Machart wie meine kniehohen Stiefel. Das Korsett wurde hinten am Rücken zusammengebunden und war mir persönlich viel zu eng und freizügig, trotz der schmalen Träger über meinen Schultern. Aber ich gab keinen Laut von mir, als mein vermutlicher Retter mir die Schnüre wortlos fest zog.
Ich bevorzugte bequeme Kleidung, wie die enge hellbraune Stoffhose, die ich ebenfalls von ihm erhalten hatte. Das weiße Nachthemd ließ ich einfach unter dem großen Busch liegen, damit ich es nicht die ganze Zeit mir mir herumtragen musste. Er besaß keine Sachen, lediglich das was er am Körper tragen konnte und das war seine Waffe und seine Kleidung.

So folgte ich ihm schließlich in den Wald, der uns umgab. Ich musste ihm mein Vertrauen schenken, zumindest so weit, dass er den richtigen Weg finden würde und mich nicht in ein noch größeres Schlamassel führte. Eine andere Möglichkeit hatte ich nicht. Man sagte sich ja stets, dass man immer eine Wahl hatte, aber das bezweifelte ich gerade sehr. Ich hätte alleine bleiben können, aber welche Wahrscheinlichkeit des Überlebens versprach das. Ein zu großes Risiko! Da konnte ich genauso gut dem jungen Mann folgen und hoffen, dass er mich einfach in das nächste sichere Dorf brachte. Irgendwie würde ich mir dann schon zu helfen wissen. Anders war es mir in dem Jahr in Neuseeland ja auch nicht ergangen.

Ich bin stark! Ich bin das freche Mädchen mit den teuflisch roten Haaren von Früher! Ich habe dem Drummer aus der Band meines Vaters die Stirn geboten. Ich schaffe das!

Das redete ich mir Tag und Nacht ein, jeden Morgen, wenn ich noch vor Sonnenaufgang erwachte und jede Nacht, wenn ich weit nach Sonnenuntergang einschlief. Die Tage vergingen schnell, jeder Tag war gleich. Wir erhoben uns morgens und brachen auf. Erst mittags legten wir eine Pause ein, aßen und tranken schweigend. Abends, wenn die Sonnen sich dem Horizont entgegenschlich, suchte er einen Platz zur Rast und wir saßen an einem kleinen Feuer, um zu Essen. Wieder in Schweigen gehüllt.

Es war jeden Tag gleich. Er sprach kein Wort, reichte mir das Essen immer still und heimlich und lief voraus, um den Weg zu erkunden. Gar nichts wusste ich von ihm, nicht einmal seinen Namen, noch wo unser Ziel lag. Im Gegenzug versuchte ich es aber auch gar nicht mehr ihn zum Sprechen zu bewegen, es war sinnlos und so hing ich meinen trüben Gedanken nach, tagein, tagaus. Ich vermisste meine Mutter und meine kleine Schwester. Kathrin fehlte mir ebenso, ich hatte sie in den Tagen, die wir uns kannte, lieb gewonnen. Selbst mein Pferd fehlte mir.

Wer würde sich nur um sie kümmern? Sie reiten? Sie lässt doch niemanden außer mir auf ihren Rücken.

Mir war klar geworden, dass es sinnlos war zu überlegen wo genau ich mich gerade befand. Auch wenn mir die Gegend manches Mal sehr bekannt vorkam, wollte es mir nicht einfallen. Es war zwecklos!

Und dann erreichten wir das Wasser. Das Rauschen des Flusses hatte ich schon viele Tage lang gehört, erst leise in der Ferne, dann immer lauter werdend, je weiter wir nach Süden liefen.

Im Licht des beinahe vollen Mondes, der sich gerade hinter den Wolken hervorschob, schimmerte das Wasser, als wäre es mit Diamanten besetzt. Nicht weit von unserem Lager für diese Nacht traf ein breiter, aber flacher Fluss auf das Wasserband. In der Dunkelheit konnte ich nicht erkennen wie weit das Wasser reichte. War es das Meer oder nur ein weiterer großer Fluss?

Ich starrte in die Flammen des Lagerfeuers. Sie tanzten im lauen Wind dieser Sommernacht sachte hin und her. Mein Blick verlor sich in ihnen, sie spendeten mir Geborgenheit. Eine Wirkung, die das Feuer schon immer auf mich gehabt hatte. Irgendwie erinnerte es mich immer an mich, an mein Gemüt. Flammend rot war mein Haar. Hitzig meine Reaktion, wenn ich mich an früher erinnerte. Mein inneres Feuers war schwächer geworden, man hatte ihm das Holz zum Brennen entzogen. Jede Beleidigung, jede Erniedrigung hatte die Flammen schwächer werden lassen. Geblieben war ein Glimmen in der Asche, es brauchte neuen Zunder, um es erneut zum Brennen zu bringen. Aber ich wusste nicht, wer dieses Zunder sein sollte. Kathrin war es nicht gewesen, auch wenn ihr Beistand mir sehr gut getan hatte. Das Feuer blieb ein Glimmen.

Der Schlaf holte mich erst spät in der Nacht. Bis weit über Mitternacht lag ich auf der Wiese und betrachtete die dunklen Baumkronen. Erst das stetige Fließen des Flusses und die Erschöpfung ließen mich in einen tiefen Schlaf finden. In nur wenigen Stunden würde die Sonne am Horizont wieder aufgehen.

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