Neue, alte Familie

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(Jenna POV)

Dunkelheit. Mehr sah ich nicht, egal wie weit ich meinen Kopf auch drehen mochte. Ich sah nach rechts. Nichts. Ich blickte nach links. Wieder nichts. Und doch, als ich meine Arme bewegte und meine Beine, um aufzustehen, da rasselten die schweren Ketten. Kalt lag das schwere Metall auf meiner dreckigen Haut. Verzweiflung packte mich und brachte mich dazu noch fester an meinen Armen zu ziehen. Resolut hielten mich die eisigen Schlingen in ihrem kalten, toten Griff. Ich wusste nicht wo ich mich befand. Noch welchen Tag wir hatten, noch welches Jahr.

In mir wütete die Trauer, der Verlust meiner Mutter wog noch immer schwer. Tief in mir vermisste ich sie, doch ich wusste auch, dass sie bei Mandos auf mich warten würde. Und mein Onkel? Gerüchte waren aufgekommen, dass er es geschafft hatte. Zusammen mit vielen anderen war ihnen die Flucht gelungen. Genauso auch mir. Bilder tauchten auf. Ich, noch jung und unschuldig, wurde von einem jungen Mann an seine Brust gepresst. Dann konnte ich nichts mehr sehen. Meine Erinnerungen verblassten.
Ich kannte nur noch diese kalten Mauern. Das Sonnenlicht hatte ich seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. Tagelang rührte sich nichts, niemand kam und besuchte mich. Niemand richtete ein Wort an mich.

Quietschend öffnete sich mit einem Mal die große Eisentür, die mein dunkles Verlies verschloss. Ein Lichtstreifen wanderte über den mit Stroh bedeckten Boden. Hastig zog ich die nackten Füße an mich und kauerte mich in die hinterste Ecke des Raumes.
„Und bist du nun zur Vernunft gekommen, Elbling?“, zischelnd wie die Stimme einer Schlange sprach er zu mir. Mein Verstand sagte mir, dass er nicht gut zu mir sein würde, nicht so gut, wie er es einst war. Er hatte mich hier eingesperrt, nachdem er mich bei sich aufgenommen hatte. Er brachte mir das Essen und Trinken. Er sorgte sich um mein Wohlergehen, erschlich sich so mein Vertrauen. Doch dann nahm er mir alles. Das Licht, die Gemütlichkeit, meine letzte Erinnerung an meine Mutter. Das kleine Kuscheltier, das sich seit ich denken konnte in meinem Besitz befand. Von da an vertraute ich niemandem mehr und zog mich immer weiter zurück.

Er kam näher, seine schweren Schritte auf dem Steinboden hallten an den Wänden wider. Ich zuckte ängstlich zusammen.
„Vielleicht lasse ich dich gehen, wenn du mir verrätst was ich wissen möchte. Meine Kleine“, seine langen Finger berührten meine Wange. Als ich den Kopf von ihm abwenden wollte, gruben sich seine Fingernägel in mein Kinn und zwangen mich dazu ihn anzusehen.
„Wo sind sie? Wo sind sie alle?“, zischte er giftig. Seine glühend roten Augen bohrten sich in mein Gehirn. Doch meine zitternden Lippen presste ich fest zusammen. Von mir würde er keine Antwort erhalten.
„Dann eben auf eine andere Art und Weise. Aber du kennst sie ja schon“, seufzte er.

Ich schrie auf. Von Schmerzen geplagt fiel ich zurück zu Boden, wurde jedoch gleich wieder auf meine Knie gezwungen. Immer wieder und wieder zischte es in der Luft. Die Peitsche traf meinen unbedeckten Rücken, riss die frisch verheilten Wunden auf ein Neues auf. Eigentlich sollte ich beinahe schon an die Schmerzen gewöhnt sein und doch schrie und klagte ich. Viele Narben überzogen meinen Rücken bereits und doch wollte sich keine Linderung einstellen.

Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen.
„Rede und dein Leid hat ein Ende“, lockte er mich. Tränen tropften zu Boden und das warme Blut rann über meinen Rücken. Meine zitternden Finger klammerten sich an einige kleine Steinchen am Boden.
„Ich werde nicht zögern deinem elendigen Sein ein Ende zu bereiten. Ich habe deinen erbärmlichen Vater getötet, ich habe deine Mutter getötet, deine Stadt, all jene, die dir etwas bedeuten. Deine Mutter. Sie hat so sehr gelitten, ihre Schmerzensschreie klangen wie Musik in meinen Ohren. Oh wie gerne würde ich sie noch einmal ermorden lassen und du sollst noch einmal zusehen müssen.“

Who you truly areWo Geschichten leben. Entdecke jetzt