Die Stadt am Fluss

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(Jenna POV)

Schweigen legte sich den restlichen Weg über die Soldaten, als sie endlich begriffen hatten, dass ich kein Wort mir ihnen wechseln würde. Wer mir blöd kam, den bestrafte ich eigentlich immer mit meinem Schweigen, sofern ich keinen guten und schlauen Spruch auf Lager hatte. Bei Caro war das immer der Fall gewesen, doch irgendwie gestaltete sich diese Situation ganz anders.
Die Krieger waren bis an die Zähne bewaffnet und würden nicht nur mit Händen und Füßen kämpfen. Danach sahen sie auch nicht aus, so wie sie mit ihren grimmigen Mienen in die Gegend starrten und die Umgebung inspizierten.

Wir durchquerten den Wald eine ganze Zeit lang, für mich selbst veränderte sich kaum etwas an der Umgebung. Bäumen folgten weitere Bäume, lediglich das Schreien der Möwen wurde häufiger und lauter. Je weiter wir durch den Wald gingen und in meinem Falle stolpern, desto häufiger beschlich mich das ungute Gefühl, dass wir beobachtet wurden. Aber auch wenn ich mich umsah und angestrengt in die grünen Blätter starrte, ich konnte beim besten Willen niemanden entdecken. Wenn sich dort jemand aufhalten sollte, dann war er sehr gut getarnt und wollte gar nicht gesehen werden.

„Wir machen einen kurzen Halt in der Stadt, bevor wir sie zum König bringen“, rief einer der Männer von vorne, ein Mann mit blondem Haar, dessen eines blaues Auge milchig trüb war. Eine lange Narbe zog sich quer durch sein Gesicht, von der Stirn, mittig durch das Auge und dann über den Nasenrücken bis zur gegenüber liegenden Wange.
Alle Männer waren vom Kampf gezeichnet, der Hüne hinter mir am Schlimmsten. Nicht nur Narben zogen sich über sein Gesicht.
Eines seiner Ohren war nicht mehr vollständig vorhanden, sein Haar war strähnig und fettig. Es hing ihm lediglich in ein paar wenigen Strähnen an der linken Seite seines Kopfes hinab. Der Rest war an dieser Kopfseite nicht mehr nachgewachsen  nach dem Ereignis, das seine Kopfhaut ausgerissen hatte. Ich sah die vernarbte Haut und wollte mir gar nicht ausmalen welche Qualen er durchlebt hatte.
Sichtbare Narben waren oft sehr schlimm, aber schlimmer waren die Narben, die man nicht sah. Die Narben im Inneren, mit denen ich persönlich immer noch einen Kampf ausfocht.

Als sich die Bäume langsam lichteten, gaben sie den Blick frei auf eine entfernte Stadt. Sie war nicht groß, lag aber direkt an einem Fluss, der sich durch die Stadt schlängelte. Auf eine bizarre Art und Weise kamen mir die weißen Häuser bekannt vor, aber im Moment wollte mir nicht einfallen, woher.
Andere Sorgen plagten mich, Ängste, dass diese Männer alles mit mir machen könnten. Jegliche Vorstellung verbannte ich aus meinem Kopf, denn die würden mich nur noch verrückter machen.
Mir schlug das Herz in dreifacher Geschwindigkeit, als wir die letzten Bäume passiert hatten und nun durch ein Feld aus Büschen und kleinen Pflanzen wanderten. Direkt auf die Stadt zu, die immer mehr vor uns in den Himmel ragte.

Als wir schließlich durch ein großes Tor die belebte Stadt betraten, wurden meine Knie weich. Tatsächlich war ich vollkommen anders gekleidet, als jeder, der hier seinen täglichen Beschäftigungen nachging. Frauen trugen Kleider, Männer lange Hemden und Hosen. Es erinnerte mich sehr stark an die Kleidung aus dem Mittelalter.
Wo bin ich hier nur gelandet?
Ich fühlte mich unwohl und seltsam nackt und ungeschützt in meinen kurzen Hosen und dem engen Top, das ich trug. Heute morgen war es mir noch so passend erschienen. Heute morgen. Der Morgen war schon so weit weg, so viel war geschehen, so viel hatte sich verändert.

Suchend blickte ich mich um, darauf hoffend doch noch eine Kamera oder sonst einen Hinweis auf meine Welt zu finden.
Wenn das hier nur ein übler Scherz war, dann ist er nicht gut!
Hoffte ich denn auf eine Kamera? Ja, denn alles war mir im Moment lieber, als die Aussicht in dieser fremden Zeit, bei diesen fremden Männern, die mir nicht sympathisch waren. Aber das war auch schwer. Es brauchte wirklich viel, dass mir jemand auf Anhieb sympathisch war. Bisher war Jasper der Einzige, dem das wahrlich gelungen war. Was mir selbst auch immer noch ein Rätsel war.
Sogar seiner Schwester war ich zu Anfang mit Argwohn begegnet, bis sie mir im Kampf gegen Caro geholfen hatte und wir festgestellt hatten, wie viele Interessen wir doch teilten.

„Wir bleiben über Nacht hier!“, rief der blonde vernarbte Hauptmann und wunk seine Kameraden hinter sich her in einen kleinen Hinterhof, den wir durch ein Tor erreichten. Von dort ging es für uns alle nach drinnen in eine dunkle Taverne. Stickige Luft umgab mich und nahm mir den Atem. Es roch nach Schweiß und Erbrochenem, aber auch nach Bier und Essen. Wenn mich vorher auch der Hunger geplagt hatte, so verging mir hier augenblicklich der Appetit.

Der Hüne hatte immer noch fest die Finger um meine Oberarme geschraubt und bugsierte mich zwischen den eng beieinander stehenden Tischen hindurch.
„He hübsches Mädchen! Komm doch auch einmal zu uns“, grölte ein Mann, dem der Alkohol schon zu Kopf gestiegen war. Doch leider war er nicht der Einzige, der mich mir solch einem lüsternen Blick betrachtete. Manch einem gelang es sogar nach meinem Handgelenk zu greifen oder die Hand auf meinen Hintern zu legen. Nicht selten baten sie mich zu sich. Doch zu meinem Glück schob mich der große Mann, der mich festhielt, weiter durch die Menge, bis wir einen separaten Raum erreichten. Erst dort, als die Tür geschlossen war, wurde ich endlich losgelassen.
Immer noch hatte ich nichts gesagt und das würde sich auch nicht so schnell ändern. Ich wusste weder wo ich war, noch in welcher Zeit ich mich befand. Bevor ich also etwas Falsches aussprach, beließ ich es lieber bei meinem Schweigen und beobachtete die Situation.

„Unsere süße Gefangene scheint es die Sprache verschlagen zu haben“, bemerkte ein Mann mittleren Alters lachend. Sie alle hatten sich einen Platz gesucht, auf Bänken oder auf Sesseln, die in der Nähe eines prasselndes Feuers standen. Mir war nicht die Wahl gelassen worden und so saß ich zwischen dem Hünen und dem Hauptmann auf einem langen, dreckigen Sofa, das wahrlich schon bessere Tage gesehen hatte.
Mir war die Anwesenheit dieser Männer unangenehm. Mir war die gesamte Situation nicht ganz geheuer. Ich wollte einfach nur noch nach Hause zurück und mich in mein Bett verkriechen.

„Bei einer so tollen Gesellschaft ja auch kein Wunder“, bemerkte ein junger Mann, der mir gegenüber saß und mir schon die ganze Zeit diese gewissen Blicke zuwarf. Die anderen stimmten ihm lachend zu.
„He Kleine bist du schon vergeben? Im heiratsfähigen Alter scheinst du ja schon länger zu sein“, fragend lehnte sich der Mann nach vorne, ein breites Grinsen umspielte seine Lippen.
Ich bedachte ihn nur mit einem wütenden Blick.
„Männer! Sie ist unsere Gefangene und nicht die Belustigung für den Abend“, bemerkte der Hüne. Sie murrten und grummelten, aber endlich ließen die blöden Sprüche und Kommentare nach.
Soll ich ihm jetzt etwa dankbar sein? Nein! Dankbarkeit wäre erst angebracht, wenn sie mich zurück in meine Zeit oder Welt bringen würden. Ob ich in einem Film gelandet bin?

„Aber die Kleine muss sich noch etwas anderes anziehen. So kann sie dem König nicht unter die Augen treten“, bemerkte der junge Mann, während er im Sessel hing und an einem Bier nippte, das eine Bedienung vor Kurzem vorbeigebracht hatte.
„Damit könntest du nicht ganz Unrecht haben. So kommt die auf jeden Fall nicht so gut an. Ihr kennt ja König Turgon“, lachte der Hauptmann und verschwand aus dem Raum. Kurz darauf kam er zurück, ein Stück Stoff in der Hand.
„Hier Kleine!“, er warf es mir zu und ich fing. Skeptisch faltete ich das Kleidungsstück auseinander und zog eine Augenbraue hoch, als ich ein schlichtes blaues Kleid in den Händen hielt. Um die Hüfte wand sich ein rotes Band, das sich verknoten ließ.

Schweigend legte ich das Kleid auf meinen Schoß und wartete. Auf was wusste ich auch nicht so genau. Vielleicht immer noch, dass jemand gleich aus dem nächsten Schrank sprang und den Scherz enthüllte.

Hey :)
Ein neues Kapitel, nachdem ich aus dem Urlaub zurück bin ^^

Laura

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