(Jenna POV)
Tavaro blieb verschwunden. Die Söhne Elronds fanden nie eine Spur oder einen Körper und so blieb ich in dem festen Glauben, dass er es überstanden hatte. Dass er nicht nach mir sah, konnte vielerlei Gründe haben. Er war froh, dass er mich endlich losgeworden war, er fürchtete sich nach Bruchtal zu kommen, schließlich hatten wir auch andere Dörfer stets gemieden oder er mochte womöglich denken, dass ich vielleicht sogar gestorben war. Letzteres bezweifelte ich jedoch stark, da er sich mir gegenüber immer sehr fürsorglich verhalten hatte. Er hatte mir ein paar Mal das Leben gerettet und gerne hätte ich mich dafür erkenntlich gezeigt.
So blieb ich nach meiner Genesung in Bruchtal, was mein Onkel sehr begrüßte. Er saß jeden Tag an meinem Krankenlager und erzählte mir von unserer gemeinsamen Zeit in der verborgenen Stadt. Mit der Zeit erinnerte ich mich an jede der Geschichten, wenn ich nicht bereits im Traum dorthin zurück gereist war. Meine Träume waren meine Vergangenheit, doch die düsteren Orte, die ich dort sah, bereiteten mir Angst. Die Narben an meinem Rücken stammten aus dieser Zeit, an die ich mich immer noch kaum erinnern konnte.
„Wird dir nicht langweilig, immer nur hier zu sitzen und zuzusehen? Mein Angebot dich mit meiner Schwester bekannt zu machen, steht noch", Elrohir gesellte sich zu mir auf die schmale Steinbank im Garten.
„Das ist wirklich sehr nett, aber braucht nicht. Ich schaue meinem Onkel gerne zu. Am liebsten würde ich selbst ja trainieren." Die paar Monate, die ich bisher hier war, hatte ich kaum mit anderen Elben gesprochen. Ich blieb zurückgezogen, auch wenn Elrohir, einer der Zwillingssöhne Elronds, mich stets dazu motivieren wollte Kontakte zu knüpfen. Danach stand mir jedoch nicht der Sinn. Die Elben waren mir zu andersartig, sie verstanden meine Gefühle nicht und meine Gedanken noch weniger. Auch wenn ich ja ebenfalls eine von ihnen war, so fühlte ich mich immer noch nicht so.
„Außerdem mag ich die frische Luft hier draußen und die Natur", murmelte ich und genoss weiterhin die warmen Strahlen der Herbstsonne. Bald würde es kälter werden und ich konnte mich nur noch in meinem Zimmer vollständig auskurieren. Was mich auch immer angegriffen hatte, ich spürte die Verletzung noch immer, wenn ich mich streckte oder zu stark bewegte. Meistens auch Abends nach einem langen Tag schmerzte mir der Rücken.Mein Onkel hatte seinen Kampf mit einem Sieg beendet und erklärte seinen Schülern noch einmal die richtige Herangehensweise bei einem Zweikampf. Als sich die beiden jungen Elben miteinander redend davon machten, steckte er sein Schwert in die Scheide und kam über den Rasen auf uns zu. Elrohir hatte neben mir gesessen und fasziniert dem Drachen beim Jagdtraining beobachtet. Er reichte mir mittlerweile bis zu den Waden, doch ob er noch weiter wachsen würde, war nicht bekannt. In dieser Größe konnte er noch perfekt auf meiner Schulter hocken, wie eine Katze. Würde er noch größer, dann wäre das komplizierter.
„Elrohir", nickte er dem braunhaarigen Elb zu.
„Glorfindel", erwiderte dieser ebenso höflich, sodass ich mir ein Augendrehen verkneifen musste.
„Jenna, wollen wir ein Stück gehen?", fragte Glorfindel nun an mich gewandt.
„Natürlich Fin", damit erhob ich mich, auch wenn sich mein Gesicht kurz vor Schmerz verzog. Mein Onkel hatte sich mit dem Namen von mir angefreundet, so wie ich ihn weiterhin mit Fin ansprach.„Hast du immer noch Schmerzen?", besorgt sah er mich von der Seite an.
„Ab und zu ja", gestand ich leise.
„Zum Abend hin wird es immer etwas schlimmer. Es braucht einfach noch etwas Zeit bis es vollständig geheilt ist."
„Und sonst? Vermisst du die andere Welt immer noch?" Wir durchquerten einen Torbogen, der im Sommer mit den schönsten roten Rosen übersät gewesen war. Damit betraten wir den Teil des Gartens, der von großen Bäumen umgeben war. Ein kleiner Bach plätscherte munter vor sich hin.„Ja", flüsterte ich. Nie hatte ich ihm bisher von meinem Leben in der anderen Welt erzählt. Niemand wusste davon, ich hatte es stets in mich hineingefressen. Doch das machte mich kaputt.
„Ich...", begann ich leise, doch meine Stimme stockte. Der große Kloß in meinem Hals hinderte mich daran weiter zusprechen. Mein Onkel schwieg geduldig. Er ging neben mir her, doch blieb dann plötzlich bei einer kleinen Laube stehen. Sie ließ den Blick frei auf die hohen Felswände, die das sichere Tal umgaben und auf einen Wasserfall, der sich in die Tiefe stürzte.
„Ich vermisse meine Eltern, ich vermisse sogar meine Schwester", brach es schließlich aus mir heraus.
„Irgendwie vermisse ich sogar Mutter, also meine wirkliche Mutter", schniefend wischte ich mir die ersten Tränen von der Wange. Dass ich weinte verwunderte mich nicht. Ich fand oft erst den Schlaf der Erschöpfung durch die Trauer. Immer mehr Tränen rollten über mein Gesicht, bis ich sie nicht mehr zurückhalten konnte.Glorfindel zog mich ohne ein Wort zu sagen in seine Arme, wo dann endgültig alle Dämme brachen. Schluchzend verbarg ich das Gesicht an seiner Schulter und ließ zu, dass er mir behutsam immer wieder über das Haar strich.
„Ich kann mich nicht erinnern wie ich zu meinen Eltern kam. Meine Mutter erzählte mir von dem Sohn, den sie verlor. Sie adoptierten mich als ich noch klein gewesen sein muss und liebten mich wie ihr eigenes Kind. Ich glaube, dass man mir den Körper eines Menschenbabys gab, als ich dorthin gebracht wurde." Ich schniefte ab und zu und holte zitternd nach Luft.
„Ich weiß es aber nicht genau. Sie waren tolle Eltern, auch wenn sie sich scheiden ließen. Mein Vater hatte eine neue Freundin, jünger als meine Mom. Ich mag sie nicht, aber meine Schwester, also eigentlich Halbschwester, ist ein Engel. Mom wird sich furchtbare Sorgen um mich machen", flüsterte ich und blickte in die Ferne. Die untergehende Sonne tauchte das Wasser in flammendes Gold. Vögel zogen kreischend am Himmel ihre Bahnen.„Ich hatte es nie leicht. Als Kind war ich ganz anders als jetzt. Ich war aufgeweckt, fröhlich, selbstsicher und vor allem selbstbewusst. Ich ließ mich von nichts und niemandem runter kriegen. Dann kam die weiterführende Schule. Man grenzte mich aus. Freunde hatte ich keine und wenn, dann nur falsche. Ich wurde geärgert, wo es nur ging. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich habe mich selbst abgeschottet." Unsicher geworden wand ich den Blick von meinem Onkel ab und zog die Beine an, auch wenn es für einen Augenblick schmerzhaft zog.
„Von allem. Ich wurde noch einsamer. Mein einziger Trost waren meine Eltern. Dann trennten sie sich. Als Entschädigung schenkte mein Vater mir ein Pferd, das half mir mehr als er geahnt hatte. Ich ging nicht mehr zur Schule, stattdessen reiste ich. Langsam finde ich endlich zu meinem alten Ich zurück, aber auch in der neuen Schule hatte ich wieder Probleme. Wieder ein Mädchen, das mich schikaniert hat mit..." Ich brach ab und schloss die Augen.
„Womit?", fragte Glorfindel sanft. Seine Hand ruhte auf meinem Rücken und das erste Mal hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass ich ihm wirklich vertrauen konnte.
„Sie hat Bilder von mir gemacht. Bilder auf denen ich nackt bin. Und die hat sie in der ganzen Schule verteilt, sodass alle sie sehen konnten. Solche Machenschaften geben mir dann doch wieder den Rest. Es ist schrecklich. Ich dachte immer, dass ich das alleine schaffen könnte, aber das ist eine Lüge, die ich mir so lange selbst erzählt habe. Ich habe mir selbst etwas vorgemacht und mich für stärker gehalten, als ich wirklich bin. Ich kann das nicht mehr", schluchzend verbarg ich den Kopf an meinen Knien. Meine Schultern bebten.„Du bist stark, meine Kleine. Stärker, als du glaubst. Wahrlich, vielleicht nicht stark in dem Sinne, dass du Bäume ausreißen kannst, doch stark im Geist. Du hast all das überstanden und ich denke, dass du dich auch gewehrt hast. Das zeigt deine Stärke. Du hast dich nicht unterkriegen lassen und du hast dich mir anvertraut. Dann kann ich dir helfen und ich werde dir helfen. Wenn dieses Mädchen dir noch einmal wehtun sollte, dann werde ich einmal mit ihr reden! Nein, wenn sie sich jemals in meiner Nähe befinden sollte, dann wird sie es zu spüren bekommen. Niemand verletzt meine Nichte", flüsterte er ernst und legte seine Arme um mich. Ohne Gegenwehr ließ ich mich in seine Umarmung ziehen. Meine Mutter hatte mich immer unterstützt, war mit mir zu Ärzten und Psychologen gefahren, hatte mit den Lehrern und den Eltern gesprochen. Sie hatte alles erdenkliche getan, dass ich wieder zur Schule gehen konnte, ohne schlecht behandelt zu werden. Dennoch hatte ich das unbeschreibliche Gefühl, dass mir mein Onkel mehr helfen könnte, als ich geahnt hatte. Vielleicht wollte er auch nur seine Fehler von damals gut machen und das Versprechen einlösen, welches er seiner Schwester gegeben hatte. Doch die Wärme, mit der er mich umarmte, zeugte von wahrem Beschützerinstinkt.
„Ich bin für dich da", versprach er und dieses Mal glaubte ich es ihm sogar. Kein Balrog oder Ork würde ihn jetzt noch von mir trennen können. Diesen Fehler beging er nicht ein zweites Mal.
„Danke Fin", flüsterte ich und schlang die Arme um seinen Oberkörper. Ich genoss seine Nähe. Ich erinnerte mich, dass ich auch damals oft bei ihm gewesen war, mit ihm gekuschelt hatte und des Öfteren sogar in seinen Armen eingenickt war. Niemand in der anderen Welt hatte je eine so tiefe Beziehung zu mir aufbauen können, einzig meine Mutter.„Komm lass uns zurückkehren. Es wird frisch und du brauchst Ruhe", bemutterte er mich besorgt. Ich lächelte schwach, denn er hatte Recht. Die Schmerzen im Rücken meldeten sich bereits, meine Beine fühlten sich schlapp und ausgepowert an und von dem Weinen begann mir der Kopf zu pochen.
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Who you truly are
FanfictionJenna ist eine junge Frau von gerade einmal 19 Jahren. Sie lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Karlsruhe. Mitten in den Bergen liegt ihr Zuhause, wo sie mit ihrer Mutter lebt. "Jenna, du bist nicht unsere leibliche Tochter!" Der Satz, der ih...