...den man im Leben...

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Der Regen lief an der Scheibe hinunter. Ich mochte ihn. Er versprach einen Neuanfang und Hoffnung. Die Tür hinter mir öffnete sich. Ich wendete meinen Blick zu meiner Mutter. Sie lächelte mich vorsichtig an. Ich erwiderte es scheu. Das ließ ihren Blick etwas strahlender werden.

"Du hast gekocht?", fragte sie befangen.

Unsicher strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und nickte. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Mutter, deren Lächeln immer größer wurde. Ich sah wieder raus und stieß zittrig Luft aus.

"Wir essen dann jetzt", teilte sie mir mit, bevor sie sich zurück zog.

Ich haderte mit mir selbst, bevor ich aufstand und ihr mit eingezogendem Kopf und hängenden Schultern folgte. In der Küche saßen meine zwei älteren Schwestern, mein Vater und meine Mutter am Tisch. Unsicher setzte ich mich auf einen freien Stuhl. In den letzten Tagen hatte ich beobachtet, dass jeder seinen Platz hatte. Verkrampft starrte ich auf meinen Teller, hatte Angst mir was vom Essen zu nehmen, das ich gekocht hatte. Das war verkorkst. Ich war verkorkst.

Befangen nahm ich mir ein wenig von dem Essen. Ich lauschte den Gesprächen. Alle erzählten von ihrem Tag. Es wurde gelacht. Zwanghaft hielt meine Familie die gute Laune aufrecht. Übermütig erzählten Lydia und Katja, meine Schwestern. Ich hörte nur mit halben Ohr zu bis Lydia mich ansprach.

"Gib mir mal bitte die Kartoffeln Bella."

Ich erstarrte. In mir hallte der Befehl wieder. Ich wusste er war nicht als Befehl gedacht, aber instinktiv kehrte die eiserne Regel von den letzten Monaten zurück. Weigerung ist Schmerz. Am Tisch war es still wegen meiner nicht Reaktion. Mit zitternden Händen gab ich ihr die Schüssel, den Blick gesenkt. Keiner sollte den Schmerz darin sehen.

"Tut mir leid. Bella?"

Lydia schaute mich verzagt an. Ich vergrub meine Hände im Schoß und versuchte zittrig meine Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Ängstlich krallte ich meine Fingernägel in meine Handfläche.

"Bella, Liebes es ist alles gut."

Mein Vater streckte seine Hand beruhigend nach mir aus. Ich zuckte zurück. Ich hatte gelernt das Vertrauen zu Verrat führte, auch wenn ich wollte, konnte ich das nicht vergessen. Ich sprang in Panik auf, stolperte ein paar Schritte zurück und sah kurz nach oben. Da war Schmerz, nur Schmerz in ihren Gesichtern.

Beruhigen, ich musste mich beruhigen, ich war sicher, niemand wollte mir was tun. Mit reiner Willenskraft lockerte ich meine Abwehrhaltung. Langsam ging ich Schritt für Schritt zu meinem Vater und nahm mit Überwindung seine Hand. Kurz blitzte Freude in seinen Augen auf. Ich drückte seine Hand, ließ sie dann aber wieder los. Zu mehr war ich nicht fähig.

Um der ohrenbetäubenden Stille zu entgehen, floh ich in mein Zimmer. Langsam ließ ich mich an der Wand hinunter gleiten. Geradeaus starrend saß ich ängstlich da und hoffte das dieses Verhalten keine Folgen mit sich ziehen würde. Eine Stimme ließ mich hoch schrecken.

"Bella, es war nicht deine Schuld, wenn dann unsere."

Katja stand in der Tür und sah mich an. Sie war größer geworden und schöner. Soweit ich wusste, arbeitete sie als Krankenschwester im Krankenhaus dieser Stadt. Es passte zu ihr. Sie hatte Heilkräfte genau wie Lydia. Allerdings würde Lydia einen Platz im Rat einnehmen. Der Rat war eine Vereinigung aller magischen Geschöpfe auf dieser Welt. Er sorgte für Ordnung, Gerechtigkeit und Schutz. Er war so etwas wie die Regierung und jede Familie hatte ein Mitglied dort zu sitzen. Ich hatte von der magischen Seite meiner Familie erst nach meiner..... . Ich stoppte in diesem Gedankengang. Ich hatte erst vor Kurzem darüber erfahren. Ich sah wieder zu Katja und lächelte kurz verkrampft. Sie ging wieder. Stimmen aus dem Wohnzimmer ließen mich aufhorchen.

"Geht nicht mehr."

"...braucht Hilfe!"

"Ich ruf ihn an."

Erstarrt saß ich da und hörte zu.

"Hallo, hier ist Sylvia West. Kann ich Julian Sandó sprechen?
Danke.
Es geht um Bella.
......spricht nicht mehr.
...Angst..... vor ....
Ich... nicht... .
Kannst du. ....?"

Mehr verstand ich nicht, denn meine Hände fingen an zu zittern. Ein gequältes Schluchzen entfuhr mir. Ich schlug die Hände vors Gesicht und zwang mich lautlos zu weinen. Was hatte ich falsch gemacht? Wie konnte ich sie wieder glücklich machen? Es klingelte. Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Aus dem Flur ertönte eine Stimme.

"Lydia, Liebes lange nicht mehr gesehen."

"Grandma was machst du hier?", fragte Lydia.

Auf der Stelle versiegten die Tränen. Grandma war momentan das Oberhaupt unserer Familie. Sie saß im Rat und war einen strenge und starke Frau. Sie hatte Katja und Lydia schon immer mehr gemocht als mich. Den Grund dafür wusste ich nie, bis jetzt. Ich hatte keine Heilmagie, in ihren Augen bin ich deshalb kein Teil der Familie. Ihr Sohn, mein Vater, hatte diese Gabe auch nicht, aber da die Heilmagie nur auf die weibliche Linie vererbt wird, war ihr das egal.

"Mutter was willst du hier?"

Der frostige Unterton in der Stimme meines Vaters war nicht zu überhören.

"Ich möchte reden. Mir wurde gesagt, dass Katja sich für eine Woche frei genommen hat, doch jetzt steht sie munter vor mir. Ich sehe keinen Grund, warum sie nicht gehen sollte."

Kurz war es still, dann ertönte die bebende Stimme meiner Mutter: "Raus aus meinem Haus!"

"Wie lange wollt ihr das noch machen? Wie lange wollt ihr noch warten, bis ihr wieder euren Pflichten nachgeht? Ihr verhätschelt Bella, als wäre sie der Mittelpunkt der Welt. Es gibt Leute auf dieser Welt, die weitaus schlimmeres erleben und trotzdem weitermachen."

Das hatte gesessen. Ein scharfer Stich fuhr durch mein Herz. Ich hatte gerade bestätigt bekommen, dass sie mich verabscheute und für schwach hielt. Verdenken konnte ich es ihr nicht. Wenn ich nur stärker gewesen wäre. Ich machte mich, wenn möglich noch kleiner, um den Schmerz zu entgehen, der in mir wütete.

"Ich gehe, aber als Oberhaupt dieser Familie werde ich veranlassen, dass euch die Verantwortung, die euch erdrückt, abgenommen wird."

Diese Ansage kam von Grandma, denn kurz darauf wurde die Tür zu geschlagen. Wütendes Gemurmel erhob sich darauf. Mit müden Knochen stand ich auf und ging in den Flur, wo meine Eltern und Geschwister lautstark diskutierten. Ich nahm Stift und Papier. Dann hielt ich ihnen das Geschriebende vor die Nase.

Es ist besser so.

Entgeistert schauten sie mich an. Kurz schenkte ich ihnen ein erschöpftes Lächeln. Tief in mir spürte ich Erleichterung. Abstand zu nehmen würde mir helfen, da war ich sicher. 

Geküsste der Dämmerung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt