dreizehn.

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Dreizehn.





Elizabeth || „Nur noch eine Woche. Dann ist es soweit", erzähle ich meiner kleinen Schwester und umarme sie zum Abschied.

Sie hüpft fröhlich auf und ab, während ich sie an mich drücke.

„Geh doch schon einmal zu dir ins Zimmer und fange an, aufzuräumen. Ich komme gleich nach", bittet Lisa Jette.

Lächelnd sehe ich ihr dabei zu, wie sie durch den Flur flitzt und dann die Treppe hochrennt.

„Jette hat schon wieder nach eurer Mutter gefragt. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch schaffe, ihr nichts zu erzählen. Sie wird langsam misstrauisch", erzählt Lisa mir und lehnt sich an den Türrahmen.

Ich seufze. „Ich weiß. Mich hat sie vorhin auch gefragt, ob Mum zu ihrer Einschulung mitkommen wird."

„Meinst du nicht, dass es an der Zeit wäre, ihr die Wahrheit zu erzählen?", hakt Lisa vorsichtig nach.

Sie hat jedes Recht dazu und ich bin ihr nicht im Geringsten böse. Ich weiß, dass sie sich nur um Jette sorgt.

Vielmehr verärgern würde es mich, wenn es Lisa nicht interessieren würde. Denn so weiß ich wenigstens, dass meine kleine Schwester sich in guten Händen befindet.

„Ich weiß es nicht. Ich bin vollkommen überfordert", gebe ich zu, wobei es mir einiges abverlangt, die Worte auszusprechen.

„Du könntest es ihr schonend beibringen. Vielleicht besucht ihr eure Mum mal gemeinsam, wenn sie einen ihrer guten Tage hat. Du musst es ihr ja nicht direkt erzählen. Es reicht vielleicht erst einmal, wenn sie sie überhaupt sehen könnte", meint Lisa.

„Vielleicht." Ich streiche mir eine Strähne aus dem Haar. „Nur weiß ich nicht, ob es je wieder einen guten Tag geben wird."

Lisa sieht mich mit traurigen Augen an. „Ist das Alzheimer so schlimm geworden?"

Ich schlucke. „Es wird immer schlimmer. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann sie für ein paar Stunden klar im Kopf gewesen ist, wenn ich sie besucht habe."

Als mir die Tränen kommen, schließt Lisa mich wortlos in ihre Arme. Zuerst ist diese Umarmung ungewohnt, erinnert sie mich doch viel zu sehr an eine mütterliche. Aber dann lasse ich mich dankbar fallen.

„Vielleicht besuche ich sie auch einfach viel zu selten. Vielleicht besuche ich sie beide viel zu selten", schluchze ich. „Vielleicht mache ich alles falsch."

Beruhigend streicht Lisa mir über die Haare.

„Das tust du nicht, Liz. Du zerreißt dich für die beiden. Du tust alles, was du kannst. Mehr kann keiner von dir verlangen", murmelt sie in sanften Tonfall. „Deine Mutter wäre stolz auf dich."

„Glaubst du wirklich?", frage ich mit tränenerstickter Stimme nach.

„Ich glaube es nicht nur. Ich weiß es", erwidert Lisa und klingt so sicher, dass ich ihr sofort glaube. Jedenfalls für einen Moment.

Minutenlang stehen wir schweigend da, während sie mich festhält, bevor ich mich schließlich räuspernd aus der Umarmung löse.

„Danke. Das hat gut getan", meine ich verlegen.

Lisa schenkt mir ein warmes Lächeln. „Jederzeit wieder, Liz."

„Ich muss dann jetzt los. Heute ist Besuchstag von drei bis fünf. Wir sehen uns spätestens am Dienstag bei der Einschulung", entgegne ich und wische mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Oblivion || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt