sechsundzwanzig.

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Harry || Es fühlt sich beinahe real an, was dem heutigen Tag eine bittersüße Note verleiht.

Schon seit heute Morgen habe ich gemerkt, wie ich immer nervöser werde. Je näher wir uns der dritten Stunde des Nachmittags nähern, desto mehr fangen meine Handflächen an zu schwitzen.

Innerlich verfluche ich mich dafür, denn nichts davon ist echt. Ich sollte nicht nervös sein. Ich habe nicht einmal ein wirkliches Date. Ich habe ein Treffen mit einer Mitarbeiterin von Modest Management, welches nichts weiter ist als eine riesengroße Lüge.

Aber Liz ist diese Mitarbeiterin. Und das ändert alles.

„Harry? Bist du noch da?", dröhnt die Stimme meiner Mutter durch die Freisprechanlage meines Audis.

Ich setze den Blinker und konzentriere mich auf den Spurwechsel, bevor ich ihr antworte. Selbst um zwei Uhr ist der Verkehr Londons unerträglich. In Momenten wie diesen vermisse ich Los Angeles. Das ist wahrlich ebenfalls kein Paradies für Autofahrer, aber immerhin kommt man sich so nicht wie eine Nacktschnecke vor, die durch die Gegend schleicht und dabei eine ekelige Abgasspur hinterlässt.

„Entschuldige. Ich bin in Gedanken gewesen. Was hattest du gesagt?", entgegne ich und versuche, mich auf die Stimme meiner Mutter zu konzentrieren. Sie hat von klein auf etwas Besänftigendes an sich gehabt.

Sie lacht herzhaft. „Du bist immer schon mein kleiner Träumer gewesen. Ich erinnere mich noch an all diese Tage, an denen du davon geträumt hast, irgendwann einmal auf der Bühne zu stehen", erzählt sie mir. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, doch ich weiß auch so, dass ein breites Lächeln auf ihren Lippen sieht. „Und nun schau dir an, wo du gelandet bist."

„Meine Welt ist nicht so traumhaft, wie ich es mir immer vorgestellt hatte", erinnere ich sie.

„Das weiß ich doch, Schatz. Aber du hast es geschafft, deinen Traum zu verwirklichen. Und das macht mich so unglaublich stolz", erwidert meine Mum.

Bei ihren Worten schleicht sich ein Lächeln in mein Gesicht. Weltstar zu sein, kann auch noch so schön sein. Nichts übertrifft das Gefühl, dass einen durchfährt, wenn die eigenen Eltern stolz auf einen sind. Dieses warme Kribbeln im Bauch ist schöner als alles andere.

„Wie geht es den Jungs?", erkundigt sich meine Mutter.

Im Hintergrund höre ich meinen Stiefvater fluchen, was nur noch durch das Geräusch des Mixers überdeckt wird.

„Den Jungs geht es gut", berichte ich ihr.

Ein weiterer, lautstarker Fluch dringt durch die Freisprechanlage.

„Was genau versucht Robin dieses Mal zu kochen?"

„Frag erst gar nicht. Du verpasst nichts", berichtet mir meine Mutter.

„Das habe ich gehört!", dringt die dröhnende Stimme meines Stiefvaters zu mir durch. „Ich bin mir sehr sicher, dass H sich nicht so anstellen würde, meine Köstlichkeiten zu essen wie du es tust, Anne!"

„Seine Kochkünste sind nicht vorhanden", flüstert Mum gequält ins Telefon. „Gestern Abend hat er sich an einem Braten versucht, der allerdings so hart geworden ist, dass er sich nicht einmal mehr durchschneiden ließ."

„Kochen ist nicht seine größte Begabung", stimme ich ihr lachend zu. „Aber er meint es wirklich nur gut mit dir, Mum."

„Das weiß ich doch. Dafür liebe ich ihn ja auch", kommentiert sie. „Aber ich kann es trotzdem nicht erwarten, dass du endlich mal wieder nach Hause kommst und wir etwas Ordentliches zu Essen auf den Tisch bekommen."

Oblivion || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt