"I think I am dangerous now."

357 24 21
                                    

Vor Schreck lockerte Palle seinen Griff um Michas Arm, wodurch dieser zuvor auf den Beinen gehalten worden war und ließ ihn auf den Boden stürzen. Manu sank mit Micha zu Boden und strich ihm immer wieder beruhigend über den Rücken, während Micha Rotz und Wasser heulte. Paluten sah starr auf die beiden herab. Er verstand Michas Worte nicht. Er wollte sie nicht verstehen.
"Hey, Micha. Ist schon gut. Du hast niemanden umgebracht." säuselte Manu leise und Micha, unter ihm, verkrampfte sich sofort.
"Doch." Seine Stimme klang gebrochen. Er sprach sehr leise. Der Tränenfluss war gestoppt, doch er schluchzte weiterhin. "Sieh es dir an. Sieh dir ihn an." Sein linker Arm hob sich und zitternd deutete er auf den Krankenwagen ewas weiter neben sich. Palle schluckte. Auch Manu hatte sich wieder aufgerichtet und Zombey nun vollends auf den Boden kauern lassen. Alle Sanitäter und Ärzte hatten sich unter Aufsicht einiger Polizisten um einen am Boden liegenden, jungen Mann gedrängt. Palle erhaschte kaum einen Blick auf den Körper; nur die ungesund verdrehten Beine des Mannes waren durch das Getümmel der Helfer zu sehen. Paluten wurde allein bei diesem Anblick schlecht. Zombey hatte also jemanden angefahren. Wie hatte das passieren können? Soweit Palle wusste, hatte Micha seinen Führerschein noch nicht allzu lange, was aber nach Palles Ansicht nicht der springende Punkt sein konnte. Es war alles natürlich nicht seine Absicht gewesen, soviel war klar. Ein Blick zu Manu reichte, um dessen Gedanken zu erahnen. Manu verzog das Gesicht. Er war anscheinend mehr angewidert, als traurig, über den Unfall. Sofort sah Palle wieder auf das Getümmel. Vielleicht war es ja das Blut, welches Teile der Straße in ein tiefes Rot färbte, dass Manu anwiderte. Aufgrund der Hektik und des Trubels um den Schwerverletzten am Boden, vermutete Palle, dass dieser noch nicht tot war, wie Zombey es behauptet hatte. Noch nicht. Der Gedanke gerade jemanden sterben zu sehen und nichts machen zu können, löste in Palle eine unangenehme Gänsehaut aus. Noch nie hatte er sich so nutzlos gefühlt, wie in diesem Moment.
"Angehörige also?" fragte plötzlich ein Polizist, der neben Palle aufgetaucht war und nervös etwas auf ein Blatt Papier kritzelte. "Ich kann ihnen leider nichts über den Stand der Dinge erzählen. Er befindet sich weiterhin in einem sehr kritischen Zustand. Vermutlich wird der junge Mann, wenn er überlebt, nie wieder laufen können. Seine Beine hat's ziemlich mies erwischt. Ich kann ihnen nichts versprechen. Es tut mir Leid." Wahrscheinlich lag es an Palles verwirrten Ausdruck und seiner generellen Verwirrung darűber, dass er überhaupt kein Angehöriger des Opfers war, denn der Polizist sah ihn plötzlich skeptisch an.
"Sie sind doch der Angehörige? Oder hat mein Kollege etwas falsch verstanden?"
"Ähm...nein. Ich meine ja!" stotterte Palle, "Ich bin ein Angehöriger des Fahrers. Er wollte, dass ich komme."
"Ach, der Fahrer..." Der Polizist ließ seinen Blick zu dem am Boden kauernden Micha wandern, "Ihn nimmt der Unfall stark mit. Er braucht vermutlich ihre Unterstützung, also kűmmern sie sich gut um ihn." Seufzend kehrte der Polizist zu seinen Kollegen zurück. Paluten beobachtete wieder das Getummel. Er wollte helfen, doch er hatte keine Ahnung, wie er hätte helfen können. In der Hoffnung einen Blick auf den Kopf des Mannes zu erhaschen, blieb Palle weiterhin starrend stehen. Tatsächlich trat kurz darauf ein Sanitäter, der zuvor den Kopf des Angefahrenen verdeckt hatte, zur Seite um eine Trage zu holen. Sofort stießen Palle die blonden, in Blut gebadeten, Haare des Mannes ins Auge. Es fiel Palle schwer den Blick nicht sofort wieder abzuwenden, doch gleichzeitig brachte ihn sein Mitgefühl dazu, den Verlauf der Dinge weiter zu beobachten. Alle Helfer begannen von dem Verletzten zurűckzutreten, um ihn ein wenig später auf die Trage zu hiefen, was Palle schließlich eine fast komplett freie Sicht gewährte. Der Verletzte schien ohnmächtig, lag vermutlich im Sterben oder wurde gerade aus dem Übergang zwischen Leben und Tod gerettet. Paluten hoffte, ohne den Mann zu kennen, dass er die Fahrt im Krankenwagen überleben würde.
"Hey!" rief plötzlich einer der Ärzte, als die Trage im Krankenwagen verschwunden war und rannte auf Paluten zu. "Sie können jetzt ruhig gehen. Wir werden ihn..." er deutete auf den wimmernd aufblickenden Zombey, "...schon noch benachrichtigen."
"Nein!" sagte Micha plötzlich und versuchte sich zu erheben, wobei Manu ihm sofort half. "Ich komme mit. Ich habe das getan und ich werde dafür geradestehen." Der Arzt wollte ihn unterbrechen, doch Micha redete einfach weiter, "Wenn ich diesen Menschen töte, ohne ihm wenigstens zu helfen versucht habe..." Er schüttelte nur schweigend den Kopf. Seufzend nickte der Arzt.
"Dann kommen sie mit. Und sie beide..." er sah zu Palle und Manu und runzelte die Stirn, "Passen sie bitte auf ihren Freund auf, ja?"

Die verschiedensten Gefühle tummelten sich in Palles Kopf. Er war teils aufgeregt wie ein kleines Kind, da er das erste, und hoffentlich einzige Mal, mit einem Krankenwagen im Dienst fuhr. In ihm regte sich allerdings auch Angst. Angst davor, dass dieser unschuldige, junge Mann, der vor ihm auf seiner Trage lag und sich bei jeder Kurve leicht hin und her bewegte, während er auf erschreckende Weise von unterschiedlichen Apparaturen am Leben gehalten wurde, starb. Micha hatte sich direkt neben den Kopf des Schwerverletzten gekniet und strich ihm eher zu seiner eigenen Beruhigung immer wieder durch das von Blut verkrustete, blonde Haar. Manu saß mit dem Rücken zum Führerhaus auf einem Sitz und hielt einen grünen Rucksack vor sich in den Händen. Unablässig starrte er geradeaus. Er schien gerade tief in seinen Gedanken versunken. Der Rucksack gehörte dem Unfallopfer. Was sich in dem Rucksack befand, wussten die drei nicht. Die Polizisten hatten ihnen vorerst verboten hineinzusehen. "Er ist so gut wie tot." flüsterte Micha leise und vergoss eine einzelne Träne. Palle rümpfte die Nase. Wenigstens hatte Micha eingesehen, dass er noch kein Mörder war. Wenistens das.
"Er wird nicht sterben." sagte Palle ruhig, betrachtete dabei allerdings die Beine des Mannes. Allmählich begann er zu verstehen, warum der Mann wahrscheinlich, im Falle seines Überlebens, nicht mehr laufen können würde. Offensichtlich waren die Beine überfahren worden und vermutlich bereits tot. Paluten konnte sich nicht vorstellen, wie solch eine schreckliche Verletzung, wie er sie hier vor sich hatte, jemals wieder geheilt werden konnte.
"Micha?" Manu meldete sich erstaunlicherweise zu Wort, "Du musst es uns nicht erzählen, aber wie ist das eigentlich passiert?" Mit Mühe hielt Zombey weitere Tränen zurück und atmete tief durch, bevor er kurz wimmerte und sich anschließend wieder beruhigte.
"Ich war auf dem Weg zu euch." begann er, doch das Schluchzen in seiner Stimme war unüberhörbar, "Plötzlich tauchte wie aus dem nichts ein Fahrradfaher auf." Fahrradfahrer? Wo war das Fahrrad gewesen? "Alles ging so schnell. Ich kann mich nicht einmal mehr richtig erinnern. Irgendwann kam die Polizei und hat das Fahrrad konfisziert. Dann haben sich Ärzte um ihn gekümmert. Ich dachte wirklich, dass er bereits tot wäre." Er schluckte und vergrub sein Gesicht in den Haaren des Verunglückten. Manu begann den Rucksack in seinen Händen nervös zu drehen. Er fühlte sich anscheinend unwohl. Genau wie Palle. Er hatte sich diesen ganzen Tag so anders vorgestellt.

Irgendwann stoppten sie am Krankenhaus und die Ärzte eilten herbei um den Verletzten in das große Gebäude zu bringen. Palle, Manu und Micha wurden drei Plätze im Wartezimmer zugewiesen. Ihnen wurde gesagt, man würde sie rufen, sobald klar wäre, wie es weiterging. Die drei saßen im Wartezimmer bis um 22:20 Uhr, als dann ein freundlich aussehender Arzt zu ihnen kam und sie anlächelte.
"Sie sind die drei, denen ich den Bericht von dem frischen Fahrradunfall von heute geben soll, richtig?" Die drei nickten heftig.
"Nun ja, noch kann ich ihnen  nichts mit Sicherheit versprechen. Er ist noch nicht aufgewacht, aber ich denke er schafft das." Erleichtert atmete Palle aus. Solange der Junge lebte, war alles ok.
"Wollen sie ihn vielleicht sehen?" fragte der Arzt mit einem freundlichen Lächeln, woraufhin Micha sofort nickend aufstand.
Manu und Palle folgten dem Arzt und Zombey auf wenigen Meter Abstand. Als sie durch das Krankenzimmer traten, sah Palle sofort, dass der zuvor noch so hilflose Mann sorgfältig verarztet wurde und seine Beine verdeckt worden waren. Sofort ging Zombey zum Bett, kniete sich wie zuvor im Krankenwagen neben den Kopf des Verletzten und strich diesem durch das Haar. Bevor der Arzt ging, deutete er noch auf einen Stuhl, auf welchem der grüne Rucksack stand.
"Wenn ihr noch etwas helfen wollt, könnt ihr den Rucksack hier ausräumen. Soweit ich weiß sind alle Gegenstände dort drin erstaunlicher Weise unbeschadet geblieben." Palle nickte dem Arzt zu, woraufhin dieser den Raum verließ und Micha sich wieder von dem jungen Mann entfernte und auf den Rucksack zuging. Palle wollte plötzlich unbedingt Maudado von der ganzen Sache erzählen. Vielleicht sehnte er sich auch einfach nur nach dessen Stimme.
"Ich muss sofort Dado anrufen." murmelte er daher und zückte sein Handy. Manu nickte nur stumm und setzte sich auf einen Stuhl des Krankenzimmers, während Micha begann den Rucksack des Verletzten auszuräumen. Er fand ein Handy, welches er auf den Nachttisch neben das Bett legte, wenige Klamotten, die er in den Schrank des Zimmers legte und eine Geldbörse, welche neben dem Handy des Fremden plaziert wurde. Palle beobachete das ganze lächelnd, während er sich sein Handy ans Ohr zu heben begann und lauschte. Aus seinem Handy drang gerade das erste monotone Piepen, als plötzlich das Handy auf dem Nachttisch des Krankenbettes zu vibrieren begann.

Ich wollte das schon so lange schreiben...Endlich :D

GLPalle ~~ Heimliches VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt