Kapitel 5

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Wenn ich ehrlich war, dann störte es mich wirklich, immer allein zu sein. Es verletzte mich, dass sich alle wegen meines Äußeren von mir abwandten.

Wenn ich ehrlich war, wollte ich wirklich eine Freundin haben. Jemanden, dem ich alles anvertraute. Jemanden, mit dem ich alles erleben konnte. Jemanden, der immer für mich da war und für den ich alles tun würde.

Wenn ich ehrlich war, tat es mir weh, keine beste Freundin und keinen besten Freund zu haben. Es tat weh, noch nie von jemandem geküsst worden zu sein.

Doch wenn ich in diesem Moment eines war, dann nicht ehrlich zu mir selbst.

Ich redete mir ein, dass ich allein sein wollte, dass niemand bei mir sein sollte und dass ich niemanden brauchte.

„Ich weiß es wirklich nicht!“, sagte ich erneut.

„Wir werden schon eine Lösung finden, Serena!“, erwiderte Mrs. Bolton und sah mich mitleidig an. „Du kannst nun gehen!“

Ich nickte, setzte ein leichtes Lächeln auf, was meine Zahnspange zum Vorschein brachte und verließ das Büro.

Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, drehte ich mich um und rannte volle Kanne in jemanden hinein, was mich auf meinen Hintern warf.

„Verdammt!“, keuchte ich und sah auf. Der Anblick traf mich wie ein Schlag.

Vor mir stand mein absoluter Albtraum! Und das war nun die Untertreibung des Jahrhunderts. Vor mir stand sie. Jessica Riverdale.

Sagte ich schon, dass mich für gewöhnlich niemand bemerkte? Hatte ich erwähnt, dass niemand von mir Notiz nahm und ich niemanden störte, wenn ich nicht gerade im Weg stand? Nun, so war es auch. Doch Jessica kannte ich seit der Grundschule. Sie war damals mit mir in einer Klasse gewesen, während Luke in der Parallelklasse war.

Nun denn, damals waren wir also noch kleine aufgedrehte Kinder, als wir uns das erste Mal begegneten. Doch so klein wir auch waren, ein riesengroßes Biest war sie schon immer.

Kennen gelernt hatte ich sie also gleich bei meiner Einschulung. Da war ihr erster Spruch schon eine abfällige Bemerkung über meine Brille gewesen. Das soll sich mal einer vorstellen. Es heißt immer, Kinder seien wesentlich umgänglicher als Erwachsene und normal trifft diese Aussage auch zu. Kinder interessierte es nicht, welche Hautfarbe man hatte, oder wie groß, klein, dick oder dünn man war. Es zählte nur, dass man nett zu ihnen war. Doch Jessica fällt aus jeder Statistik heraus.

Nachdem sie mich wegen meiner Brille ausgelacht hatte, beschloss ich, auf den Rat meiner Mutter zu hören und ihr einfach aus dem Weg zu gehen. Ich hatte schließlich noch dreiundzwanzig andere Klassenkameraden unter denen ich eine Freundin finden konnte.

Am dritten Schultag meines Lebens machte ich dann einen Fehler, den ich bis heute bereute. Ich lief unachtsam an Jessica vorbei, weil ich von Lukes Witzeleien, die er mit unseren neu gewonnenen Freunden machte, abgelenkt war. Und aufgrund dieser Unachtsamkeit trat ich auf einen Stein. Ja, ich trat auf einen Stein! Jeder würde nun sarkastisch sagen, welch ein großes Drama das war und lachen. Für Jessica jedoch war es tatsächlich ein großes Drama.

Sie hatte, wie ich danach direkt durch ihr überlautes Geschreie erfuhr, unter genau diesem Stein ihre kleine Puppe versteckt, weil sie darstellen wollte, dass sie bei einem Steinbruch begraben wurde und ihr Prinz sie dann rettete. Dass diese Vorstellung für eine sechsjährige bei einem Psychologen jede Alarmglocke läuten lassen würde, muss ich, denke ich, nicht erwähnen. Welche sechsjährige denkt denn bitte über solch grauenvolle Dinge nach? Andere spielen Traumhochzeiten nach, sie lässt ihre Puppen unter Steinen fast sterben. Aber nun denn, darum geht es ja nun nicht.

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