Kapitel 11

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Ich seufzte und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Auspacken konnte ich vergessen. Ich wusste ja nicht einmal, welcher Schrank für mich bestimmt war. Geschweige denn, welche der beiden freien Hälften des Zimmers.

Ich kramte meinen Zeichenblock und einen Bleistift aus einem der Kartons und begann, wie am Mittag geplant, Alex zu zeichnen.

Doch dieses Mal gelang es mir absolut nicht. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass zu viele Emotionen vorhanden waren, die ich einfach nicht zeichnen konnte, oder daran, dass ich immer wieder mit den Gedanken zu Lukes seltsamen Verhalten wanderte. Oder einfach an meiner Aufregung. Immerhin wusste ich noch immer nicht, mit wem ich hier zusammenleben sollte. Es gab auch keinen Hinweis darauf. Kein privates Foto an der Wand. Kein Bilderrahmen auf dem Schreibtisch. Nichts. Nicht einmal einen Namen konnte ich finden, wenn ich nicht in ihren privaten Sachen schnüffeln wollte.

Eine geschlagene Stunde lang versuchte ich auch nur ansatzweise das Erlebte aufs Papier zu bekommen. Doch egal was ich versuchte, es war gut gezeichnet, mehr aber auch nicht. Es fehlte das Gefühl. Es war einfach ein Junge, der die Hand eines Mädchens mit seinen Fingerspitzen berührte. Es war Alex, der meine Hand berührte. Aber es war keine Magie auf dem Bild. Da hätte ich genauso gut Alex als Pflaume zeichnen können und hätte wahrscheinlich genauso viel Gefühl beim Betrachten des Bildes empfunden, wenn nicht mehr.

Was war denn das bloß für ein seltsamer Tag?

Alles, wirklich alles, lief seltsam!

Doch darüber brauchte ich mir nicht länger Gedanken machen, denn in dem Moment hörte ich, wie sich von der anderen Seite der Tür, ein Schlüssel in das Schlüsselloch bohrte. Und mit einem Schlag vergaß ich alles.

Alle Gedanken und Gefühle, die ich zuvor hatte, waren wie weggeblasen. Als wäre einfach ein Orkan durch meinen Körper gefegt und hätte mein komplettes Gedankenhaus inklusive des Gefühlsgartens weggerissen und nur das Fundament und der Keller waren übrig geblieben. Der Keller, bestehend aus meinem Körper, und das Fundament der Nervosität.

Mit einem Schlag war nur noch meine Aufregung geblieben. Und in den paar Sekunden, in denen sich die Tür öffnete, schien sie sich um das Hundertfache zu steigern. Wie passte denn bitte so viel Nervosität und Aufregung in nur einen kleinen Menschen?

Und dann stand sie vor mir.

Das ungefähr schönste Mädchen, das ich je gesehen hatte.

Verboten schön!

Mit ihren großen braunen Teddyaugen starrte sie mich an. Lange, schwarze, gewellte Haare machten sich ihren Weg lässig über ihre Schultern. Und dann registrierte sie mich zu hundert Prozent. Denn auf ihrem Gesicht bildete sich ein Ausdruck der Überraschung.

Na wunderbar. Sie dachte wie all die anderen im Voraus, dass ich total irre war.

„Wer bist denn du?“, schoss es aus ihr heraus, noch während sie im Türrahmen stand.

Hey, ich bin Serena Fray, deine neue Mitbewohnerin. Das konnte doch wohl nicht so schwer sein, es auszusprechen.

Aber es war noch viel schwerer.

In Gedanken hieß ich den Kloß in meinem Hals willkommen. Ich hatte ihn ja schon vermisst und sehnsüchtig erwartet.

Wie sollte es auch anders sein? Ich hatte mit nichts anderem gerechnet. Ganz im Gegenteil. Ich wusste ja im Voraus schon, dass ich wie immer nicht den Mund aufkriegen würde. Doch jetzt, wo ich wusste, mit wem ich es zu tun hatte, konnte ich das erstrecht knicken.

Sie passte perfekt in die Kategorie jener, mit denen ich noch in dreißig Jahren nicht sprechen können würde.

Jung und umwerfend schön.

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