Kapitel 3: Der letzte Auftrag

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Der Abend hatte damit geändert, dass Bella die Verantwortung für unsere Mutter übernommen hatte und die halbe Nacht mit ihr geredet hatte ohne mich einzubeziehen. Ich habe im Gegenzug den Tisch abgeräumt und mich schlafen gelegt. Die Wut in mir wurde durch meine Gedanken befeuert, doch ich versuchte mir einzureden, dass ich ihr auch nicht besser helfen könnte als Bella. Ich konnte nichts tun. Irgendwann fiel ich endlich in einen unruhigen Schlaf. Als ich wieder wach wurde dämmerte es draußen bereits. Ich fand meine Mutter und Schwester schlafend beisammen liegen und schlich mich nach draußen. Manchmal frage ich mich, ob sie Bella ein Stück mehr liebt als mich. Sie würde es niemals zugeben, aber tief in meinem Inneren wissen wir es beide. Wir wissen es alle drei und das macht es noch schlimmer.

Die Luft war kühl an diesem Morgen und ich wanderte durch die einsamen Straßen unserer Stadt. Die Schule, auf die Isabella ging, stand noch. Wie immer hob sich der graue Schriftzug nur schwach von der kontrastlosen Fassade ab. Ich war früh dran, zu früh, doch das Licht brannte bereits also trat ich ein in das T & Z. In einem kleinen hellen Licht sah ich Jane die täglichen Abrechnungen des Vortags machen. Die Liste kam mir erstaunlich kurz vor als ich einen Blick darauf warf, bevor sie mich bemerkte. „Mira!" Ich sah die Freude in ihren Augen mich zu sehen, einen Freund in schweren Zeiten. Doch nur kurz danach verschwand diese und eine Trauer breitete sich aus. Sie hatte etwas auf dem Herzen, etwas was ihr nicht leicht fiel zu sagen. „Wie geht es dir?", fragte ich und sie zuckte mit den Schultern. „Die Einkommen sinken immer mehr, ich weiß nicht wie lange wir noch öffnen können. Die Elektronik für Licht und Küche ist kaum gerade noch bezahlbar, von den Heizungskosten gar nicht erst zu reden. Wir werden unsere wenigen Gäste noch mit kalten Stühlen und halber Beleuchtung empfangen müssen, wenn das so weiter geht."

Ich setzte mich zu ihr, überflog ihre Hochrechnungen für die nächsten Wochen, die sie aus einem Ordner geholt hatte. Doch mir fiel keine Lösung ein. Es ist noch lang hin bis zum Sommer und die Stadt ist abgeschnitten von allem, was gute Ware ist. Ich neige mich zu ihr und flüstere die Worte, die für mich immer die letzte Lösung waren. Ich habe es nie getan, aber wenn alle Stricke reißen, dann ist es die letzte Chance: „Ihr könntet weggehen von hier. Fliehen. In eine entfernte Stadt und dort einen neuen Laden eröffnen. Neu anfangen. Dann hättet ihr wieder so viele Kunden wie ihn alten Zeiten." Doch ich sah an ihrem mitleidigen Blick, dass es für sie keine Überlegung wert war. „Mira, das ist illegal. Und außerdem, was wären wir schon außerhalb von Fiadah? Wir haben kein Geld um ein neues Haus zu mieten und uns alles neu aufzubauen. Und außerdem, was wenn wir erwischt werden?" Sie schüttelte nur den Kopf und etwas in mir zerbrach. Ein kleines Stück Hoffnung, dass am Ende jeder Geschichte alles gut werden könnte.

Dann wechselte Jane ihre Stimmlage und sprach als stellvertretende Geschäftsführerin zu mir: „Es ist gut, dass du so früh da bist. Du weißt, dass unser Gasthaus Probleme mit dem weitern Bestand hat, dennoch habe ich eine Aufgabe für dich. Die Sache ist die", ein Stück der Freundin Jane schimmert durch diese Worte und ihr Blick wirkt plötzlich trüb, „es wird deine letzte Aufgabe im Dienste des Trink & Zahle. Wir können es uns nicht mehr leisten, weitere Angestellte zu bezahlen. Doch zum Lohn erhalten Sie einen Ersatz eines Gehaltes für die kurzfristige Kündigung und die damit verbundene nicht ausreichende Zeit zur neuen Arbeitsfindung." Ich blinzle. „Es tut mir so leid, Mira", fügte Jane hinzu, doch meine Gedanken drifteten bereits ab. Was bedeutete das nun für uns? Meine Freundin und ex-Chefin nahm ihren Faden wieder auf: „Der letzte Auftrag ist die Abholung von Servierten, sowie von einer Anzahl an Weingläsern, ein Set kleine Teller", sie holte eine Liste hervor und las die Sachen laut ab, doch ich hörte gar nicht mehr zu. „-bei Misses Pirtna im Geschäft" „Tischdecken, Servierten, Besteck und Geschirr sowie alles andere für die Küche unter der Leitung von Herrn Lepricht, ich weiß", beendete ich ihren Satz. Sie lächelte mich traurig an und ich lächlte zurück. Dann fielen wir uns in die Arme.

„Komm beim Abgeben nochmal zum Büro, dann zahle ich dir den Restbetrag aus", rief Jane mir noch hinterher. Ich nickte und winkte zum Abschied.

Der Laden, von dem Jane gesprochen hat liegt am anderen Ende der Stadt. Ich bin diesen Weg schon hunderte Male gegangen, ich kenne ihn in und auswendig. Langsam füllten sich die Straßen, doch belebt wirkte meine Heimat schon lange nicht mehr. Ich dachte darüber nach, ob ich den Gehalt wirklich annehmen sollte, da das T & Z es sich ja kaum leisten konnte, doch andererseits, jetzt, da ich meinen Job los war, brauchten wir jede Münze dringender denn je.

Ich versuchte meinen letzten Auftrag so gut wie möglich auszuführen, ich beobachtete alles ganz genau und gab auf jedes Teil der Bestellung Acht. Es war mir wichtig, mit Würde abzutreten. Bei meinem Rückweg, hatte sich die Sonne bereits über die Dächer gekämpft und erleuchtete die eisige Luft mit hellem Licht. Mein Bauch knurrte vor Hunger, doch vor dem Abend durfte ich nicht mit Essen rechnen, geschweige denn daran denken. Vor allem jetzt müssten wir uns jeden Vorrat gut einteilen.

Ich verplemperte enorm viel Zeit damit die Sachen an ihre Plätze zu räumen, doch irgendwann war ich trotzdem fertig und das Herz wurde mir schwer. Als ich am Büro klopfte öffnete mir nicht Jane, sondern der Chef, zu dem ich niemals eine Verbindung aufgebaut hatte. Er ließ sich nicht viel dort blicken, wo ich meistens gearbeitet habe und gab sich auch nicht übermäßig viel mit meiner Schicht ab. „Amira Fiona Dornia?" „Ja, das bin ich." Er nickte, holte einen Umschlag und reichte ihn mir. „Einen schönen Tag noch und viel Glück", wünschte er mir mit einem Lächeln, dass unmöglich von Herzen kommen konnte und schloss die Tür vor mir. Das war's also.

Ich blinzelte die Tränen weg und ließ mich draußen auf einen Stein nieder. Dreiundzwanzig. Das ist zu wenig. In dem Umschlag befand sich das letzte Geld, was ich meiner Familie bringen konnte. Nicht viel, aber etwas. Doch lange würde es nicht reichen. Ich stecke es ihn in meine Tasche und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

MIRAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt