Erleichtert atmete ich aus als dünne Sonnenstrahlen sich durch mein kleines Fenster stahlen und den Tagesanbruch ankündigten. Die ganze Nacht über hatte ich halb wach halb im Traum gelegen und kaum eine ruhige Minute geschlafen. Umso besser, dass jetzt der Morgen angebrochen war. Obwohl mir die Müdigkeit noch in den Knochen steckte und mein ganzer Körper rebellierte als ich die Kälte und die Bewegung zuließ, die der Tag brachte, war ich froh endlich etwas tun zu können. Nur irgendetwas. Ich hatte in den vergangenen Monaten im Palast gelernt, dass es nur Ärger gab nachts draußen rumzuschleichen und so hatte ich bis zu den frühen Morgenstunden abgewartet. Ich stellte mich auf mein knarzendes Bett um einen Blick nach draußen zu werfen. Ein Nebel umschloss die Stadt und dämmte den Blick ein, doch durch einige Löcher schafften es wenige Sonnenstrahlen vereinzelte Teile Nordtors, des Palastes und des Waldes, den ich in der Ferne schwach erkennen konnte, zu beleuchten.
Rasch steckte ich in meiner gewohnten Kleidung, die vom gestrigen Abend hatte ich zur Wäsche gebracht wie um meine Seele zu reinigen und jetzt fühlte ich mich schlecht und dreckig für diesen Versuch. Die Kleider waren äußerlich kaum schmutzig gewesen, es war das Gefühl, das mich dazu veranlasst hatte. Wie um meine belastenden Gedanken zu überspielen beschleunigte ich meinen Schritt auf dem Weg zu den Gemächern der Prinzessin. Ich kannte die Wege dorthin sowie zur Küche, zu den am häufigsten genutzten Sälen, der Bibliothek, zu Lianes Räumen und auch denen von Ilan in und auswendig. Meine Füße trugen mich ohne, dass ich mir groß die Wände und Abzweigungen hätte anschauen müssen. Doch ausgerechnet heute zog mich etwas zu den Arbeitszimmern des Prinzen. Ich hatte gelernt, dass er in seinen Gemächern so gut wie nie aufzufinden war, er arbeitete immerfort, außer wenn er gerade zu wichtigen Besprechungen eingeladen da. Fast überraschte es mich, dass er überhaupt noch Zeit erübrigen konnte um in der Bibliothek seine Ruhe zu finden oder mit mir für ein paar Minuten zu reden. Meine Gedanken glitten zu seinem geheimen Raum, wo er nur noch so selten hingelangte, dass sich regelrecht Staub ansammelte. Er schien es nicht darauf anzulegen, mich unbedingt zu finden, sonst hätte er längst eine Wache am Eingang der Bibliothek abstellen können, die ihm über alles und jeden Bericht erstattete. Ich glaubte kaum, dass er es aus Angst nicht tat, sein einziger Rückzugsort könnte offenbart werden, nein, er wollte mich über die Rätsel finden, über den Weg, der ihn dazu veranlasst hatte einen Beraterposten für eine ihm völlig unbekannte Person ausschreiben zu lassen. Doch warum hatte er dann jede Information, die ich ihm über Annie aufgetischt hatte, so begierig aufgenommen anstatt sie selber kennenzulernen? Reue brachte mein Blut zum Kochen. Ich hätte das nicht tun sollen. Doch jetzt war es geschehen. Irgendetwas stimmte nicht. Er hatte doch nicht etwa aufgegeben...? Wenn ich jemals sein Berater werden würde, wäre meine erste Amtshandlung ihm mehr Schlaf zu verschreiben, den hatte er allemal nötig.
Ich kam ins Stolpern als ich mich tatsächlich in seine Richtung begeben hatte anstatt weiterhin zu den Räumlichkeiten der Prinzessin. In Ärger über mich selbst schüttelte ich den Kopf und konzentrierte mich nun auf den Weg, den ich vor mir hatte.
Nach dreifachem, höflichen Klopfen schlüpfte ich in die Gemächer der Prinzessin, doch Ivana war nicht auffindbar. Auch nicht in den Damensälen oder Arbeitsräumen, Gärten oder sonst wo. Panisch lief ich durch die Flure und die kalte Angst von gestern Abend kam erneut in mir hoch. Wenn tatsächlich jemand angegriffen wurde – wie hatte ich nur unbeirrt durch die Gänge des Palasts laufen können und denken alles würde bleiben wie es zuvor war? Dumm. Ich war so dumm gewesen.
„Amira", säuselte eine tiefe Stimme hinter mir, die mich erstarren ließ. Langsam drehte ich mich zu Zark um. Natürlich. Natürlich war er gekommen um mir Ergebnisse zu schildern und neue Pläne und Aufträge zu geben. Unwillkürlich machte ich einen Schritt rückwärts. Nur einen. Dann blickte ich ihm direkt in seine dunklen Augen, die Vergnügen ausstrahlten. Lass dich nicht unterkriegen, rief alles in mir, blieb standhaft, bleib du selbst, werde nicht zu seiner Marionette, lass die Maske nicht dein Gesicht werden.
Und ich hoffte diese Dinge immer noch als er mich in eines seiner Zimmer führte und die Tür hinter sich schloss. Hinter uns. Und er mich anlächelte als wir allein waren.
„Es scheint als hättest du deinen Job gut gemacht", begann er während ich versuchte ruhig zu bleiben und mir einen Punkt an der Wand zu suchen, den ich- „Der Prinz scheint Gefallen an dir gefunden zu haben." „Was?", fragte ich perplex und drehte mich zu ihm um. Er war um mich herum geschlichen und nun hinter mir stehen geblieben nur um weiterhin dieses ekelhafte, wissende Grinsen in seinem Gesicht zu tragen. Ich schlug mir die Hände vor den Mund, aber er hatte meinen Ausdruck gesehen, meine Überraschung und vielleicht auch... „Es ist nichts Verbotenes einen Prinzen zu begehren, Amira, das halbe Land tut das." Ich presste meine Lippen aufeinander, anstatt es abzustreiten. Zuviel Gefühlsregungen, das alles verriet ihm viel zu viel über mich, er sollte mich nicht kennen. „Wenn du ihm etwas bedeutest", fuhr er fort, „können wir besser mit dir arbeiten." „Wer ist wir?", fragte ich nun endlich und der kühne Mut diese Frage zu äußern wurde mir zum Verhängnis als er sich nun mir näherte und bedrohlich leise antwortete: „Meine Leute gehen dich nichts an, das sind meine Angelegenheiten. Habe ich dir erlaubt, Fragen zu stellen?" Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu und so schüttelte ich bloß den Kopf. Schlagartig wechselte er wieder zu dem Prinzen, der er war und fuhr in einem verführerischen Sprechen fort: „Wir planen schon Weiteres, aber ich werde dich einweihen, wenn es soweit ist. Deine Spionage kannst du jetzt als weniger wichtig einstufen, da es ohnehin nicht so scheint als wärst du sonderlich talentiert darin", er warf mir einen kalten, abschätzigen Blick zu, „ich habe nicht die Zeit und nicht die Geduld zu warten, bis du etwas herausfindest, aber wenn du doch etwas mithörst, dann fühle dich dennoch verpflichtet jederzeit hierher zu kommen und dich mit mir auszutauschen." Er zwinkerte mir zu und ich nickte nur ganz leicht, meinen Blick auf den Boden gerichtet.
„Wir werden einige Zeit warten müssen, jetzt da die Königin verletzt ist und alle in Aufruhr..." „Die Königin ist verletzt?", entfuhr es mir. Nein. Das durfte nicht sein. „Aber ja, hat dir das niemand gesagt?" Aus seinem Mund klang alles wie ein Tratsch, den er als lästigen Gesprächsstoff abtat. Geschockt schüttelte ich nur immer wieder den Kopf. Verletzt, nicht tot, redete ich mir ein. Aber mein schlechtes Gewissen nagte schon jetzt unaufhörlich und grub sich immer tiefer.
„Worüber denkst du nach?", fragte er nach einer Weile als ich seine Anwesenheit schon beinahe vergessen hatte und ich zuckte leicht zusammen, aber antwortete dann: „Dass sich jetzt alle eine Weile hier sehr unsicher fühlen werden, selbst wenn der Schutz erhöht wird, aber in einigen Monaten alles wieder vergessen sein wird." Er hatte ehrlich interessiert gewirkt und so hatte ich so ehrlich wie möglich geantwortet.
Tatsächlich blieb dieser Gedanke in meinem Kopf auch nachdem ich von Zark entlassen worden war und durch den verlassenen Palast lief, jetzt wo ich einen freien Tag hatte, da die Königsfamilie sich versammelt hatte um die Genesung der Königin zu beobachten und wahrscheinlich im engsten Kreise neue Bewachungspläne auszuarbeiten und sich um alle neu entstandenen Angelegenheiten zu kümmern.
Gegen Abend erreichte mich erneut eine Nachricht:
Ich habe deine Worte nicht vergessen. Ich finde dich morgen um Einzelheiten zu besprechen.
- Z
Ich fluchte leise und suchte noch vor Einbruch der Dunkelheit nach dem Kronprinzen, um ihn zu fragen, wann ich wieder nach draußen könnte. Vielleicht hatte sich durch das Attentat ja etwas an dem Zeitpunkt geändert, doch ich hielt es nicht mehr lange aus ohne Luft zum Atmen, besonders bei der Vorstellung Zark schon wieder gegenüber treten zu müssen. Und außerdem musste ich Ilan sehen, nicht nur wegen meines letztes Rätsels sondern wegen des vergangenen Tages, ich musste sehen was meine Taten mit ihm gemacht hatten, was immer das auch sein mochte.
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MIRA
FantasyEine Krankheit breitet sich in Alliera aus und bringt Mira dazu aus ihrer Heimatstadt Fiadah zu fliehen und sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen. Als sie endlich wieder Arbeit findet, führen viele seltsame Umstände zu einer Bekanntschaft, mi...