Wir hatten eine Menge zu besprechen, aber alles was mir einfiel als wir in ein Zelt kamen war: „Das ist dein Zelt?" Er zuckte die Schultern. „Zuerst hattest du mit anderen Frauen in einem geschlafen, aber dann- habe ich dich zu mir geholt." Er sagte nichts zu dem Ereignis, das sich vor wenigen Tagen abgespielt hatte. Ich betrachtete den Innenraum nun mit neuen Augen. „Aber hier steht nur ein Bett..." „Ich habe auf dem Boden geschlafen." Es schien nicht so als ob er eine große Sache daraus machen wollen würde. Aber ich war dennoch dankbar dafür. „Wir haben wochenlang auf einem viel härteren Boden gelegen", sagte er dann irgendwann. Die Zeit im Gefängnis schien mir jetzt ganz unreal weit entfernt. Ich setzte mich und er sich neben mich und dann begann er zu erzählen. Seinen Teil der Geschichte.
Er hatte einige der Wachen aufgehalten, um mir einen Vorsprung zu verschaffen und war dann über einen anderen Weg in höhere Stockwerke gelangt. Eine Gruppe von Rebellen hatte es in den Palast geschafft, das hatte er bemerkt - es hatte Aufruhr in den Fluren des Palastes gegeben - doch er hatte sie nicht getroffen. Immer wieder war er umgekehrt und hatte seine Route geändert, da es alleine, unbewaffnet nicht gerade gut für ihn gegenüber einer Patrouille ausgebildeter Männer stand. Und draußen hatte er mich gesucht. War genauso blind wie ich durch die Stadt gelaufen. Er war kaum bei Sinnen gewesen und hatte doppelt so lange wie gewohnt gebraucht um zu einem der versteckten Rebellentreffpunkte zu kommen. Dort hatte er etwas gegessen und war vor Erschöpfung eingeschlafen, allerdings nur für wenige Stunden. Als er erfuhr, dass weder ich noch die Gruppe der ausgesandten Rebellen bisher verhaftet oder gefunden wurden waren, lief er wieder los durch die nun dunkelnde Stadt. Er hatte sich Sorgen um mich gemacht, ob ich es raus geschafft hatte, wo ich sein könnte und dann hatten wir uns gefunden. Den Rest kannte ich soweit.
Ich erzählte auch von meiner Flucht, aber das Thema mit Will ließen wir unberührt. Ich wurde müde und wollte nicht darüber sprechen. Ein andermal vielleicht, später, morgen, irgendwann. Ich wickelte mich in die Decke ein und Jeremy machte es sich auf dem Boden bequem. In der Dunkelheit erzählte ich ihm noch von Rahila und von den seltsamen Dingen, die sie über uns erzählt hatte, aber der Schlaf holte mich schnell und ich hörte keine Antworten darauf mehr. Morgen, wir würden morgen über alles andere reden. Jetzt wollte ich schlafen. Und in meinen Träumen hörte ich den Jungen auf der anderen Seite der Zelle ein Versprechen flüstern. Wir würden es beide hinaus schaffen. Und ich lächelte immer wieder über das Schicksal, das uns auseinander und zusammen geführt hatte. Wieder und wieder.
Ich schlief schlecht in dieser Nacht. Die letzten Nächte hatte mein Körper den Schlaf so dringend gebraucht, dass alles weitere zweitrangig geworden war. Doch jetzt hielten mich Alpträume und das Gefühl niemals zur Ruhe zu kommen wach. Ich starrte den festen Stoff des Zeltes solange an, bis ich mir sicher war, ich würde nicht wieder einschlafen können. Die Bilder einer Zelle, die mich einsperrte, der Hunger, die Kälte, die Krankheit, die über das Land herfiel, nichts davon ließ mich los und ich wollte nicht zurück an diese Orte. Vorsichtig schlug ich die Decke beiseite und stieg über Jeremys Körper, der im Schlaf ruhig atmete und mit dem Gesicht zum Zeltausgang lag wie um ihn immer im Blick zu behalten. Ich zog mir einen Pullover über, der auf der Holztruhe lag, jetzt wo ich wusste, dass diese Dinge überwiegend Jeremy gehörten, kam es mir nicht schlimm vor, mich daran zu bedienen. In dem Stoff hing noch sein Geruch, aber ich ignorierte diese Tatsache. Das Lager war still, aber es gab immer Posten, die wachten. Das große Feuer vom gestrigen Abend glühte noch und ich war dankbar für die Schuhe und die Kleidung, die ich bekommen hatte. Mein Atem verursachte kleine weiße Wolken in der Luft. Plötzlich musste ich an die genauso ruhigen Straßen Fiadahs denken, die ich im letzten Winter passiert hatte auf meinem täglichen Weg zum T & Z. Ich beschloss, dass ich ein paar ruhige Stunden für mich allein gut gebrauchen konnte und schlich mich unbemerkt davon.
Vielleicht konnte ich nicht kämpfen, aber ich konnte überall hingelangen ohne dass es jemand bemerkte. Niemand hatte mich gesehen. Ich war in Richtung des Waldes ein Stück gegangen und hatte dann eine Kurve eingeschlagen. Jetzt stand ich auf einer kleinen Anhöhe, versteckt vor dem Lager der Rebellen, sicher nicht zufällig, und atmete die kalte Luft. Von hier konnte ich die Hauptstadt sehen, auf dem Berg, in einer strategisch guten Lage, mit ihren Mauern und Türmen. Etwas zog meinen Blick immer wieder dorthin. Es war die Stadt, von der ich schon als Kind immer Geschichten gehört hatte. Ich wollte dorthin zurück,stellte ich irgendwann fest. Aber nicht nur auf Grund seiner schönen, königlichen Erhabenheit. Der eigentliche Grund dafür lag viel tiefer. Es war absurd, aber eine Trauer erfasste mich, wenn ich an diese Stadt zurückdachte mit seinen Märkten und dem regen Treiben, dem Leben, das dort immer noch geherrscht hatte. Vielleicht vermisste ich nur meine eigene Heimat. Doch in meinem Kopf tauchte immer wieder ein junger Prinz auf, der mir ein Versprechen gegeben hatte, der mich hatte retten wollen und der mich hatte gehen lassen. Obwohl ich wusste, dass es verrückt und dumm war, vermisste ich Ilan. Aber es war zu spät und jetzt würde ich mir hier mein neues Leben aufbauen müssen.
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MIRA
FantasyEine Krankheit breitet sich in Alliera aus und bringt Mira dazu aus ihrer Heimatstadt Fiadah zu fliehen und sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen. Als sie endlich wieder Arbeit findet, führen viele seltsame Umstände zu einer Bekanntschaft, mi...