„Du bist aber früh auf." Wortlos hob ich meinen Stock. Darauf grinste er nur, wir verstanden uns.
Das Training hielt mich im Moment fest und ich war froh nicht über anderes nachdenken zu müssen. Immer wenn ich kurz mit den Gedanken abschweifte, holte mich ein dumpfer, schmerzhafter Aufprall auf meiner Haut zurück in das Jetzt. Will ließ diese Dinge unkommentiert, wir hatten beide unsere eigenen Probleme und waren nicht sehr oft einer Meinung. Wir sprachen nicht viel miteinander. Aber nachdem sich nach einigen Tagen meine Muskeln gestärkt hatten und meine Reaktionen nicht mehr nur aus Scheu und Abwehr, sondern aus Taktik und strategischen Ablenkungs- und Angriffsmanövern bestanden, bemerkte ich doch das ein oder andere anerkennende Nicken seinerseits. Wir waren in einem stillen Einverständnis, das uns beiden erlaubte Energie zu bündeln und loszuwerden.
Tage vergingen und ich erwischte mich immer wieder dabei wie ich zum Horizont sah, wartend. „Bestimmt kommt er bald", sprach Fine mit ihrer süßen Stimme. Ich zuckte zusammen und verbarg meine Gefühle hinter einer kühlen Maske. „Bestimmt. Ich wüsste nur gerne, was er dort macht." Ich trat mit meinem Fuß gegen einen Stein, der in der hart gefrorenen Erde steckte und ein wenig wackelte. Fine zuckte nur mit den Schultern, entweder sie konnte mir nichts verraten oder sie wollte es nicht. „Will ist oft schon weg gegangen ohne große Erklärungen. Zuerst dachte ich, es war, weil er dachte ich verstünde nichts davon. Aber eigentlich will er mich nur beschützen. Je weniger ich weiß, desto weniger kann mir passieren." Empört über diese Sicht schnaubte ich. „Und das lässt du dir gefallen?" „Was meinst du?" Diese Unschuld machte mich rasend vor Wut, ich wusste nicht einmal warum. „Wir haben jeden Grund hundertprozentig mit einbezogen zu werden. Du und ich, wir sind genauso wichtig für die Gemeinschaft wie die Männer, wir können auch kämpfen und uns verteidigen und ich weiß nicht - die Welt retten." Als ich Fine wieder ins Gesicht sah, war sie verstummt. Ich war laut geworden, hatte meinen Frust heraus geschrien. „Niemand hält dich davon ab zu kämpfen, Will trainiert dich ja sogar", versuchte sie mir leise, ruhig und bedacht zu erklären als wäre ich zu dumm, es zu verstehen. „Aber ihr seht mich an als wäre ich nicht normal, es ist die reinste Seltenheit, dass Frauen etwas tun wollen, ich bin in diesem Lager eine Kuriosität, eine Irre." Das war es also. Verlegen schüttelte Fine nur den Kopf. „Das ist es nicht." „Du siehst mich doch nicht einmal an. Warum lässt du dir das gefallen? Warum wehrst du dich nicht?" Ich hatte gar nicht bemerkt wie ich ergriffen ihre Schultern gepackt hatte. „Mira", sagte sie in einem beängstigten, aber seltsam beruhigenden Ton und ich erstarrte, „sie sehen dich so an, weil du anders bist", dann senkte sie die Stimme. „Manche hier verachten dich, weil du für die Prinzessin gearbeitet hast und den Prinzen verteidigst, das gefällt ihnen nicht. Aber die Frauen hier bewundern dich, dafür, dass du immer wieder aufstehst, wenn du fällst, dafür, dass du dich verteidigen willst und für deine Werte einstehst. Du bist den meisten von uns immer noch fremd, deine roten Haare, deine Stille, wenn niemand weiß, was du denkst, deine Geheimnisse. Aber niemand verachtet dich, weil du eine Frau bist. Ganz bestimmt nicht." Ich riss mich von ihr los, stolperte zurück und sah sie abschätzend an. „Niemand bewundert mich", sagte ich ein wenig zu laut und verwirrt. So etwas wollte ich nicht hören. „Wenn ich dir doch sage, dass es so ist." „Ist es nicht", wiederholte ich mich, drehte ihr den Rücken zu und ging.
Ich fühlte mich verloren, einsam, vergessen. Hier war niemand, der mich verstehen konnte. Ich war ganz allein. Am liebsten wäre ich weggelaufen, weit weg, soweit wie mich meine Beine getragen hätten und dann hätte ich geschrien bis zu Heiserkeit, geweint bis meine Tränen versiegten und dann geschlafen bis ich nicht mehr aufgewacht wäre. Doch ständig musste ich an Rahilas Worte denken, daran hier zu bleiben und mir meinen Ort zu bauen, an den ich immer würde zurückkehren können. Also lief ich wohin mich meine Beine trugen, ich hatte nichts, keine Habseligkeiten, keine Person, die bei mir sein wollte, keine Liebe, keine Wärme, ich wurde panisch, wühlte in der Kiste in meinem Zelt blind nach irgendetwas, an dem ich hätte festhalten können - irgendetwas.
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MIRA
FantasyEine Krankheit breitet sich in Alliera aus und bringt Mira dazu aus ihrer Heimatstadt Fiadah zu fliehen und sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen. Als sie endlich wieder Arbeit findet, führen viele seltsame Umstände zu einer Bekanntschaft, mi...