Will reichte mir nicht seine Hand als ich im Dreck lag. Es hatte eine Weile gedauert bis er mehr getan hatte als zu blocken und mich ein wenig herum zu schupsen. Mir ging nicht ganz auf, warum er ein Problem damit hatte gegen mich zu kämpfen, wo er doch wenige Wochen zuvor bereitwillig auf mich eingeschlagen hatte. Doch vielleicht hatten ihm einige meiner Worte mehr zugesetzt, als ich es für möglich hielt. Vielleicht erinnerte ich ihn plötzlich an alle Mädchen und Frauen dieser Welt, die wehrlos fliehen und sich auf die Stärke der Männer verlassen mussten. Vielleicht tat er das hier nicht wirklich für mich, sondern für Fine. Was es auch war - es war genau das Richtige, denn nachdem er seine Zurückhaltung abgelegt hatte zeigte er kein Erbarmen mehr, er verletzte mich nicht ernsthaft, aber er zeigte auch keine Gnade bis ich am Boden lag und Tränen in meinen Augen glänzten. Zwischen uns fehlte immer noch das Vertrauen, sobald ich seine Klinge auf mich zufahren sah, beschleunigte sich mein Herzschlag und ich hoffte im Stillen, er würde mich nicht töten. Denn seine Augen verrieten nichts als das kalte Kriegerherz, das Krankheit und Verlust mit sich gebracht hatten und das allein Fine zu durchbrechen vermochte. Doch seine Klinge schnitt mir an diesem Tag nicht die Kehle durch, ich behielt meine Gliedmaßen, mein Gedärme und meine heilen Knochen. Ich atmete die Prellungen und kleineren Blutergüsse, Schrammen und Schnitte weg und stand wieder auf, ein ums andere Mal.
Kaum stand ich wieder halbwegs auf meinen Füßen, da fuhr erneut Wills Schwert auf mich herab, die Wucht war so groß, dass ich Angst hatte er würde mein behelfsmäßiges Schwert zweiteilen und mich gleich mit. Ich versuchte einen sicheren Stand einzunehmen und mich gleichzeitig leichtfüßig zu bewegen, um- Erneut holte William aus, doch diesmal war ich bereit. Ich drehte mich, bog meinen Oberkörper ausweichend nach hinten und wollte ihm gerade meinen Stock in den Bauch rammen - doch ich zögerte. Keine Sekunde später traf mich etwas Dumpfes am Hinterkopf und erneut landete ich am Boden. „Das hattest du verdient. Es war dumm von dir, naiv und dumm." Ich stöhnte. Meine Kräfte verließen mich langsam. Ich wollte schlafen, ruhen. „Jetzt steh schon auf." Nur noch einen Moment ruhig atmen. „Auf dem Schlachtfeld hast du auch keine Zeit zu ruhen." Wir trainierten schon seit Stunden, beinahe den ganzen Tag. Ich wusste, dass er recht hatte. Und ich wusste, dass ich nicht in der Position war mich zu beklagen. Also ließ ich mein Leiden unausgesprochen und stemmte mich mit meinen zitternden Armen hoch. Er sah mich an und ich atmete schwer. Zum ersten Mal an diesem Tag, erlaubte er mir etwas, das Freundlichkeit nahekam. „Na los, heb den Stock schon an, wenn du nicht mehr zuschlagen kannst, dann halte wenigstens die einzige Verteidigung hoch, die dein Leben noch beschützt." Ich hörte ein wenig Weiche in seiner Stimme, biss die Zähne zusammen und ignorierte die schmerzenden Muskeln meiner Arme. „Höher", dirigierte er mich. Ich gehorchte. Doch schon als er wieder sein Schwert bewegte, die Abwehrhaltung hatte er nicht einmal verlassen, wusste ich, dass meine Kräfte versagten. Ich hatte erst vor wenigen Tagen mit einer derartigen Ausbildung angefangen. Von wem hatte William wohl das Kämpfen erlernt, den Rebellen? Von seinem Vater? Hatte er es sich selbst beigebracht? Wer es auch gewesen sein mag, es muss ein harter, erbarmungsloser Lehrer gewesen sein. Mein Arm knickte unter der Belastung und ich bekam sein Schwert nur knapp von meinem Körper weg. Er musste meine Erschöpfung deutlich sehen, denn plötzlich rückte er mit ganz neuen Erklärungen heraus, obgleich er sonst so wortkarg gewesen war. „Wenn dich alle deine Kräfte verlassen und es keinen anderen Weg mehr gibt, dann lauf. Lauf soweit weg du kannst, so schnell du kannst. Bring soviel Abstand wie möglich zwischen dich und deinen Feind- hörst du mich?" Während Will gesprochen hatte war ich seiner Anweisung halbwegs gefolgt, ein paar kleine Schritte zurückgetaumelt, um mich dann mit dem Rücken zu ihm zu drehen und die Flucht zu ergreifen, doch meine Sicht war plötzlich unscharf und noch bevor ich einen weiteren Schritt tat, war er bei mir und hatte mich aufgefangen. Ich war nur halb bei Bewusstsein als er halbamüsiert, halb belehrend von sich gab: „Du musst lernen, deine Kräfte besser einzuteilen. Wenn es zu spät ist zum Laufen, gibt es keine Rettung mehr. Du musst immer noch ein paar Energiereserven zurückbehalten." Dann hörte ich seine Stimme nicht mehr, sondern spürte nur noch die Luft um mich und das Brummen in meinem Schädel, die Schmerzen in Armen und Beinen sowie eine höhere Melodie, die neben der ursprünglichen her existierte. Stimmen waren längst zu einem Klangteppich monotoner Unbedeutsamkeit verschmolzen und ich bildete mir ein meinen Namen zu hören, meine schönen, verfluchten Namen, so wie meine Mutter mich früher immer gerufen hatte. Früher, als ich im Sommer barfuß durch die Küche gelaufen war, bevor das Unglück uns heimgesucht hatte, kleine selbstgepflückte Blumen in einer hübschen Tonvase und meine Mutter wie sie uns zu Tisch rief; ihre Singstimme morgens, wenn ich aufgeregt ihren Vorbereitungen für den Tag zusehen durfte oder der Klang ihrer Geschichten abends am Bett, wenn mich langsam der Schlaf umhüllte. Ich konnte sogar das Feuer des Kamins im Winter knistern und knacken hören als Fiadah noch eine belebte Stadt war, die viel zu bieten hatte, viel Kommen und viel Gehen. All diese Erinnerungen tauchten in mir auf und verstummten mit der Zeit wieder und als ich in die Wirklichkeit zurückkehrte ließen sie einen traurigen Schleier des Vergessens in mir zurück, der sich hohl auf meiner trockenen Zunge anfühlte. Einzig das brennende, prasselnde Feuer verblieb in mir und wärmte mein Inneres ein wenig mehr.
DU LIEST GERADE
MIRA
FantasyEine Krankheit breitet sich in Alliera aus und bringt Mira dazu aus ihrer Heimatstadt Fiadah zu fliehen und sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen. Als sie endlich wieder Arbeit findet, führen viele seltsame Umstände zu einer Bekanntschaft, mi...