„Ich glaube das einfach nicht", wiederholte Fine zum gefühlt zehnten Mal innerhalb weniger Minuten. „Wie du es wirklich geschafft hast in die Reihen der Kämpfer vorzudringen." Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen, mehr nicht, es war eine minimale Genugtuung, die ich mir gönnte, während wir ungestört beieinander standen und Wäsche schrubbten. Ich hatte beschlossen die Aufgaben der Frauen nicht mehr als Demütigung zu sehen, seit ich offiziell als wichtiges Mitglied der Gruppe angesehen wurde. Ich war nicht länger Jeremys widerspenstiges Mädchen, ich war endlich eine einzelne, ernstzunehmende Person, ich wurde wahrgenommen, wahrgenommen als jemand, der Menschen Respekt einflößte, jemand, der Menschen vor Angst erzittern ließ, jemand, der ihnen nachts den Schlaf raubte und die Kinder tagsüber vom Spielen in kleinen, dunklen Gassen abhielt. Ich war die Stille, der Atem und die nackte Angst. Es war seltsam wie aufmerksam ich nun beobachtet wurde, wo ich doch unsichtbar sein sollte. Doch zu Fine sagte ich nur: „Ich bin nicht wirklich in den Reihen der Kämpfer, weißt du?" Darauf zuckte sie mit den Schultern, „für mich bist du es."
Will wollte nicht mehr über die Situation sprechen, stattdessen trainierten wir wieder. Anders als sonst, aber nicht weniger hart. Wir gingen Situationen durch, in denen ich gesehen, entdeckt, angegriffen, verraten wurde. Ein Hinterhalt, ein Tunnel, eine Mauer, ein Versteck. Ich war mir nicht sicher, ob ich Will meine neue Energie oder meinen Tod verdankte - vielleicht beides. Aber er hatte gesehen, was ich war und hatte gehandelt, wie er es für richtig hielt - das sollte mir als Begründung genügen. An den meisten Abenden war ich so geschafft, dass mein Körper einfach nachgab und ich früh einschlief und bis zum Morgen keine Bewegung mehr tat. An den Abenden, an denen es nicht so war, bereute ich, nicht näher an meine Grenzen gekommen zu sein. Der Schlaf brachte mir die wenigen Stunden Erholung, die ich bekam. Aber wenn ich nicht schlief, blieb ich wach. Dann spürte ich die blauen Flecke und die Prellungen, die physischen sowie die psychischen Schmerzen, die mein Kopf mir machte. Ich schlief immer noch allein. Jeden Morgen nach dem Aufstehen sah ich nach Jeremy, manchmal wurde er davon wach und murmelte irgendetwas Unverständliches, meistens jedoch schlief er. Danach trainierte ich, ließ all die Wut, den Frust und die Angst aus mir heraus. Bis ich so kaputt war, dass ich fast umfiel.
Schrittweise wurde ich in die Pläne der Rebellen involviert. Sie erklärten mir die Strukturen über die sie erfolgreich arbeiteten, nicht zu detailliert, aber genau so, dass es ausreichte. Und sie hatten Karten. Riesige Karten vom Palast, von Nordtor und den unterirdischen Anlagen. Es gab mehr Geheimgänge und scheinbar verschüttete Gassen als ich angenommen hatte, bei weitem mehr. Einige von ihnen waren bekannt, auch im Palast wusste man wohl darüber bescheid, andere hingegen waren durch eigene Spione gedeckt. Es war ein kompliziertes Netz aus Risikofaktoren, Vertrauen, Mut und Glück auf das ich mich einließ. Manche der Gänge konnten nur einmalig betreten werden, da ihre Existenz danach bekannt gemacht worden wäre, andere waren auf sicherem Wege immer nutzbar. Verraten könne man immer werden, aber bei einigen Wegen war die Wahrscheinlichkeit auf Spione des Palastes zu treffen höher als bei anderen. Was auch geschah, sie trichterten mir ein, mich auf keinen Fall erwischen zu lassen. Ich gehörte zwar zu ihnen, aber da ich bereits gesucht wurde, war ein Befreiungsmanöver aus dem Hochsicherheitstrakt des Verlieses auszuschließen. Sie hatten mich und Jeremy mit viel Geschick und Glück aus einer einfachen Zelle geholt, mehr war für mich nicht drin. Wenn sie mich fasten, als offizielle Rebellin, Hochverräterin und Flüchtige aus den königlichen Verliesen - dann war es vorbei. Dessen müsse ich mir bewusst sein, sagten sie und ich nickte. Ich nickte alles ab, was sie sagten, denn endlich hatte ich die Chance mich wieder zu bewegen, etwas zu tun. Mein Leben bekam wieder einen Sinn, eine Richtung und einen Weg, den ich bereit war zu gehen, koste es, was es wolle.
Die eigentlichen Pläne wurden mir nur in Ansätzen mitgeteilt. Ich erhielt kein bedingungsloses Vertrauen, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Ich wurde oft genug verraten, um zu erkennen, dass Verräter selbst immer mit einem Fallstrick zu ihren Füßen rechnen mussten, niemand war sicher. Alles was ich wusste, war, dass ein Angriff geplant war. Ein Angriff auf den König. Die Regierung sollte einsehen, worum es dem Volk ging, sie sollte wachgerüttelt werden. Sie sollte sich der Lage bewusst werden und dementsprechend handeln. Und wenn es keiner tat, dann musste der König gestürzt werden. Es war ein blutiger Plan und ich hatte ihm zugestimmt, obwohl mir ganz schlecht wurde, wenn ich nur daran dachte. Nicht, dass ich mir die Finger würde schmutzig machen müssen, nein, das nicht, aber das Blut würde dennoch an meinen Händen kleben. Ich war dafür verantwortlich, dass alles reibungslos verlief. Ich überwachte bestimmte Posten, hielt den Fluchtweg frei, öffnete Türen, wenn es nötig war. Noch zwei Wochen. Der Zeitpunkt wurde nicht weiter diskutiert, er stand wohl seit Längerem fest - alles drehte sich um diesen Termin. Mir war nicht klar, was genau an diesem Tag geplant war, ich hörte nur, dass viele Menschen im Palast anwesend sein würden - da vielen ein paar mehr auch nicht auf. Es gab dort ständig festliche Anlässe, die meisten davon bürokratischer Natur. Dafür hatte ich mich nie sonderlich interessiert, auch jetzt reichte es mir aus zu wissen wann ich wo stehen musste um unsere Leute zu retten ohne selbst in Gefahr zu geraten.
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MIRA
FantasyEine Krankheit breitet sich in Alliera aus und bringt Mira dazu aus ihrer Heimatstadt Fiadah zu fliehen und sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen. Als sie endlich wieder Arbeit findet, führen viele seltsame Umstände zu einer Bekanntschaft, mi...