Kapitel 37: Wahrheit über Lüge

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Es war Zeit, sich zu entscheiden. Ich sah in die dunklen Augen, die mir von einem Leben erzählten, das eine Zukunft hatte. Aber ich kannte den Preis, wir kannten ihn beide. Zärtlich strich er über meine Wange und ich war unfähig irgendetwas zu tun als ihn nur anzusehen. Jede Berührung pulsierte durch mich hindurch. Seine Hände verschränkten sich hinter meinem Rücken und rutschten bis zu meiner Taille hinab. Unsere Körper kamen sich immer näher. Da hob ich meine Hand gegen seine Brust. „Ich kann das nicht." Plötzlich war die Distanz wieder da und mit ihr die Kälte an meinen Füßen. Ich wich seinen Blicken aus, in denen Verlangen stand. „Bitte", hauchte ich ohne zu wissen, was ich wirklich wollte, aber der Mann vor mir schien mich zu verstehen, anders als der arrogante Prinz meines Landes. Er nickte. „Ich kümmere mich um etwas zu Essen", dann war er verschwunden und ich ließ mich erneut auf die mitternachtsblaue Couch fallen. Mein Leben fühlte sich gar nicht mehr echt an, als würde ich nur Schauspielern bei einem inszenierten Stück zusehen.

Unruhig ließ ich meinen Blick schweifen, wackelte mit den Zehen, umfasste meine eiskalten Füße mit meinen Händen um sie zu wärmen. Ich stand auf und ging durch das Zimmer, ich konnte nicht schon wieder in einem Raum festsitzen und obwohl es mir nicht richtig vorkam, öffnete ich die Tür, durch die ich gekommen war und dann eine weiter auf dem Weg zu einem Ausweg, der mir nicht dabei helfen würde mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Doch daran konnte ich nicht denken. Alles was ich wollte war meine Freiheit zurück.

Ich erstarrte. Das hatte ich ganz vergessen. Meine Beine rührten sich nicht als sich eine eiserne Hand aus Luft um meinen Hals legte und mir die Luft abschnürte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und es kostete mich sämtliche Kraft zu schlucken. Kämpfe,schnitt eine innere Stimme durch meine Gedanken, überlebe!Dann überwand ich die Schritte, die mich von der letzten Tür trennten, die mich in mein Unglück gestürzt hatte und trat in den Flur, dessen Licht in einem anderen Farbton leuchtete. Ich war entkommen, ich würde immer entkommen.Das war das einzige, was mich noch aufrecht erhielt. Wie hatte ich Zarks Angebot nur in Betracht ziehen können, wie hatte ich vergessen können, wer er war? Ich träumte von Frieden, von Glück, meine Seele sehnte sich so sehr nach Freiheit und dem Gefühl, angekommen zu sein. Zark wusste das, er spielte mit mir. Er war der, der mich in diese Situation gebracht hatte. Er hatte mich zu einer Spionin werden lassen, zu einer Verräterin, hatte mich lügen lassen, mich - eingesperrt. Vielleicht war das das Allerschlimmste.

Es war immer noch mitten in der Nacht und man müsste doch meinen, dass der Palst dann leerer erschien. Doch tatsächlich standen etliche Soldaten Wache und vor lauter Unauffälligkeit und Ausweichmanövern bemerkte ich nicht wie ich ihm genau in die Arme lief.

„Auf dem Weg zurück zu deinem Prinzen?", spottete er. Er wirkte entspannt, wie immer. Oh, er war gut. Er spielte dieses Spiel ständig, aber ich war es leid. „Das geht dich nichts an." Doch dann fügte ich dennoch hinzu: „Danke, dass ich jetzt draußen bin, aber ich entscheide immer noch selbst wo ich mich aufhalte." Mein scharfer Unterton kann ihm nicht entgangen sein, aber er ließ sich nichts anmerken. „Ist das so... und was ist mit uns?" Er stieß sich von der Wan ab. „Hast du jemals überlegt, warum ich mir die Mühe mit dir mache? Wohl kaum aus langer Weile." Er kam mir näher. Er spielte sein Spiel. „Du bist anders, ich will dich verstehen und du gefällst mir." Dann hab er mein Kinn und küsste mich. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Mein Kopf war leer, nichts da, an dem ich mich hätte orientieren können. Als seine Lippen sich von meinen lösten flüsterte er: „Komm, wir gehen zurück, das Essen sollte bald zu uns gebracht werden. Dann können wir über das sprechen, was die Zukunft mit sich bringt und über mehr." Ich hörte seine Zwischentöne. Hörte, was ungesagt zwischen uns stand. „Ich werde nicht mit dir mitkommen, Zark", flüsterte ich ihm genauso verführerisch zurück. Er zog eine Augenbraue hoch und dann mich näher zu sich. Sein Kuss war fordernder als der erste und etwas wie Abscheu schlich sich in mir ein. Keine Angst mehr, das in mir war Widerstand. Doch erst seine Worte „ich habe ein großes Bett" brachten etwas in mir zum Überlaufen. Meine Hand landete in seinem Gesicht, bevor ich es selbst realisieren konnte. Haut klatschte auf Haut und seine Augen wirkten überrascht, genauso wie ich es war, doch ich ließ mir nichts anmerken und zischte: „Ich bin nicht deine Hure." Dann drehte ich mich um und blieb nicht stehen als er sagte: „Das wirst du bereuen, du dummes, dummes Mädchen."

Meine Entscheidung war gefallen. Wahrheit über Lüge. Nur ob mir die Wahrheit auch mein Leben retten konnte - da war ich mir nicht so sicher.

Zark folgte mir nicht und für einige Minuten überlegte ich mich noch heute aus dem Palast zu schleichen und zu verschwinden, aber dann fiel mir wieder ein, dass es keinen Ort gab, an den ich hätte gehen können. Selbst wenn Ilan mich nicht verraten und niemand in der Stadt mich erkennen würde – es war Winter geworden, das Leben auf der Straße bedeutete den Tod und Geld war überall knapp. Ich dachte an Fiadah zurück, Stunden im Kerzenlicht, in denen meine Mutter und Schwester unsere Flucht planten, ein Jahr noch, hieß es. Nur noch dieser eine Winter, während wir uns am Ofen die Hände wärmten. Damals hätte ich nie gedacht die Stadt noch im selben Jahr zu verlassen. Dennoch hatte ich es getan und wider aller Wahrscheinlichkeiten eine Anstellung gefunden. Glück, rief ich mir wieder ins Gedächtnis, das war nichts als pures Glück gewesen.Doch wenn ich mich jetzt betrachtete, war ich mir da nicht mehr so sicher.

Ich hatte Zeit bis zum Morgen, dann würden sie spätestens mein Fehlen bemerken. Aber ich wollte noch nichts zurückkehren. Tief in mir hatte ich immer gewusst, was Zark wollte. Die Art wie er mich ansah, es war zu offensichtlich, dass er sich verstellte, um es nicht zu zeigen. Aber ich sah es, fühlte es, wenn er meine Haut berührte. Zark empfand etwas für mich, in welcher Weise konnte ich nicht sagen. Vielleicht suchte er einfach nur nach einem Mädchen zum Spaß haben, vielleicht war es auch mehr. Ich wusste es nicht. Ich wollte es auch nicht mehr wissen. Das einzige, was ich mit Sicherheit sagen konnte, war, dass, falls, diese Gefühle eine Barriere für ihn waren, mich zu verraten, dann hatte ich diese eigenhändig eingerissen. Was auch immer mich davor beschützte im Gefängnis zu landen, lange konnte es nicht mehr bestehen, da war ich mir sicher. Also wusste ich, wohin ich gehen musste. Womöglich zum letzten Mal.

Stille lag über der Stadt als ich mich über das steinerne Gemäuer lehnte und die Lichter, die unten brannten, zählte. Kleine Kieselsteine bohrten sich in meine Fußsohlen. Ich schickte meinen Atem raus in die Welt, wo er als weißer Nebel langsam entschwand.

Ich sah noch lange auf die toten Pflanzen, die sich um Metallbögen geschwungen hatten und dort nun leblos erstarrt der Kälte ausgeliefert waren. Ich war draußen, rief ich mir immer wieder ins Gedächtnis. Das allein reichte, um mir ein Gefühl der Sicherheit zu geben, während ich ein Gebet gen Himmel schickte und zum ersten Mal richtig trauerte. Um meine tote Schwester, um meine tote Mutter. Die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse wurden mit der Zeit immer blasser und überschattet von ihren leeren Gesichtern als ich sie tot am Boden liegen sah. Ich konnte mir kaum noch alle Einzelheiten des Gesichts meiner Mutter vorstellen, das Bild, an das ich mich erinnerte war ein wenig unscharf und widersprüchlich. Bellas Gesicht dagegen, konnte ich nur zu gut erkennen. Ihre sonst so freundlichen Gesichtszüge waren versteift und ihre Haut hatte einen unnatürlichen Farbstich angenommen. Ich wollte mich nicht so an sie erinnern, wollte mich an andere Dinge erinnern. Doch je mehr ich mich darum bemühte, desto hartnäckiger hielt das Bild in meinem Kopf aus. Ich seufzte, doch es klang mehr wie ein Schluchzen. Dann stand ich auf, unsicher ob meine Beine mich tragen konnten und wischte mir über mein nasses Gesicht.

Während des ganzen Weges zurück fragte ich mich, warum ich es gewesen war, die überlebt hatte. Womit hatte ich das verdient? Ich hatte genug von der Welt und genug von meinem Leben. Ich schlug das kleine Fenster meines Zimmers zu und zog meine Bettdecke bis zum Hals. Alsbald überschwemmte mich eine dichte Welle Schlaf und riss mich tief mit sich in eine unbestimmte Welt, wo ich zum ersten Mal seit Wochen der Frau in weiß wieder begegnete, der Henkerin, und ich ließ sie kommen ohne wegzulaufen, ohne zu betteln, ohne zu schreien.

Das Metall schnitt kalt in meine Haut.

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