Vielleicht bin ich näher an dir als du an mir und vielleicht m-
einst du mich zu kennen ohne mich zu erkennen.
Ich konnte spielen. Und wie ich das konnte.
Nachdem ich Liane Geschichten vorgelesen hatte, haben wir unsere eigenen Drachen gezeichnet und uns von ihnen erzählt. Die Kleine brachte mich zum Schmunzeln. Die Familie in der sie aufwuchs ließ sie schnell erwachsen werden, dennoch war sie noch ein Kind und sie sah mich nicht als Bedienstete, sie sah mich wie jeden anderen Menschen auch und das Leuchten ihrer Augen ging mir auch später nicht mehr aus dem Kopf. Getragen von diesem Hochgefühl, nachdem ich von einer anderen jungen Frau abgelöst wurde, bin ich wieder in die Bibliothek gelangt. Obwohl ich erst gestern hier war, musste ich wieder kommen. Unter meinem Zweizeiler stand:
Du bist das Rätsel.
Und auf einen neuen Zettel hatte ich den zweiten Teil geschrieben. Er wusste noch gar nicht wie nah er an dem Gedanken hinter meinen Zetteln stand. Es würde fünf geben und ich hatte im Gefühl, dass es ein Fehler war, doch ich konnte nicht anders als mich für diesen Tag auf diese Weise bei ihm zu bedanken. Vielleicht hatte er damals seiner Schwester dieses Buch gezeigt. Ilan schenkte mir das winzige Stück Heimat, das mir geblieben war und er wusste es nicht.
Ohne Zweifel kannten wir uns.
Als ich aus der Bibliothek zurück kam traf ich auf den Mann, mit dem ich einen Handel eingegangen war. „Was machst du hier oben?", fragte er mit einem Lächeln, das so gut zu ihm passte wie seine schwarzen Aufmachungen und seine dunklen Haare, die ihm wie immer ins Gesicht fielen. „Ich- ich", lass dir was einfallen, „hatte was zu erledigen." Ich war mir nicht sicher, ob er es mir abkaufte oder nicht. „Schon wieder verbotene Orte erkunden?", flüsterte er verführerisch, doch ich musste an mich halten nicht zu auffällig zu zittern. Er lachte und fuhr fort: „Komm, ich zeig dir was." Daraufhin führte er mich zurück in die Bibliothek. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen während er anfing in einem Plauderton über die Bücher zu reden, die sich links und rechts von uns erstreckten. An der Abzweigung, die zu Märchen der alten Welt führte, blieb er stehen und fragte mich nach dem Prinzen. Unser letzten Treffe lag noch nicht lang zurück und so versuchte ich irgend etwas Sinnvolles aus meinem Mund zu bekommen während mein Herz raste aus Angst er könnte wissen, wo wir waren und davor, dass er es hörte. „Er wirkt gestresst. Viel habe ich nicht von ihm gehört, aber ich bemühe mich." Plötzlich war er ganz nah. „Dann gib dir gefälligst mehr Mühe." Er säuselte es, so dicht, dass mein Körper seinen berührte und ich seinen Atem an meinem Ohr wahrnahm- „Und komm heute Abend noch einmal zu mir, 22 Uhr." Die Schärfe aus seiner Stimme war etwas anderem gewichen, auch wenn ich nicht genau sagen konnte was.
„Zark!" Er fuhr herum. „Prinz Ilan." Er deutete er Verneigung an, doch ich war zu perplex, um mich zu verbeugen. „Was machst du hier? Bücher wälzen um schöne Frauen anzumachen?" Bei seinen Worten lief ich rot an und senkte den Kopf. „Dasselbe könnte ich dich fragen." „Angelegenheiten", antwortete der Prinz knapp als wäre es nicht nötig, sich zu erklären. „Aber natürlich. Dabei werden wir Eure Majestät sicher nicht stören, oder Amira?" Der Reiz in seiner Stimme war nicht überhörbar, ebenso wie die Spannung zwischen den Männern. Dann nahm mich Zark bei der Hand und zog mich mit sich, nicht ohne mir unter dem Blick des Prinzen anzügliche Blicke zuzuwerfen. Mir war schlecht.
Vor allem aber wurde mir schlecht als ich mich an den Namen erinnerte. Als ich zum zweiten Mal in der Bibliothek gewesen war hatte ich ein Gespräch zweier Männer belauscht. Jetzt, da Ilan ihn wieder so genannt hatte wurde es mir klar. Und nicht nur das. Den Namen hatte ich bereits ein zweites Mal gehört, nämlich als ich Amber nach Carolines Wunden gefragt hatte. Das war ihre Antwort gewesen. Nur der Name. Dieser eine Name. Zark.
Erst jetzt wurde mir bewusst wie groß meine Probleme tatsächlich waren. Und heute Nacht würde ich mich mit ihm treffen.
An diesem Abend fand ich keine Ruhe mehr. Aus einem unerfindlichen Grund machte mich das Treffen mit Zark unfassbar nervös. Was erhoffte er sich? Er konnte nicht erwarten, dass ich noch heute mehr über den Prinzen herausfand, also was dann? Wollte er mich über Konsequenzen meiner nicht bemühten Recherche aufklären? Tatsächlich versuchte ich nicht mehr als nötig mitzuhören. Ich wollte kein schlechtes Gewissen. Weder weil ich etwas wusste und es nicht verriet noch weil ich etwas wusste und verriet.
„Alles okay?" Das war vermutlich das erste Mal, dass die Prinzessin sich nach mir erkundigte. Wann waren wir uns so nahe gekommen, dass es nicht mehr einseitig meine Aufgabe war? Ich musste echt schlimm aussehen. „Ja natürlich", gab ich etwas schnell zurück und riss mich von meinen Gedanken los. „Möchten Sie noch etwas? Einen Tee? Oder etwas Gebäck? In der Küche hatten sie heute vortreffliches-" „Nein, ist schon gut. Geh nur schon. Ich komme allein zurecht." Etwas perplex stand ich auf und strich mein Kleid glatt. „Sind Sie sich sicher, Eure Hoheit?" „Ja." Ich knickste und ging zur Tür. „Gute Nacht, Amira." Ihre Stimme klang trübe, aber gleichzeitig meinte ich eine gewisse Wärme darin zu hören. Ich lächelte. „Gute Nacht, Prinzessin."
Es war kurz vor zehn, als ich vor Zarks Gemächern stand. Als ich anklopfte übertönte ich für einen kurzen Moment meinen Herzschlag, dann war er wieder da als er mir mit seinem schmeichelnden Lächeln die Tür öffnete. Dunkle Augen blickten in meine, dann trat er beiseite und bat mich herein. „Nun, du fragst dich vielleicht warum du hier bist." Er legte eine Pause ein und betrachtete mich von oben bis unten. „Nun, ich finde es ist an der Zeit dir zu sagen, dass hinter mir mehr steht als du denkst." Ich zog eine Augenbraue hoch. „Vielleicht weißt du bereits, wer ich bin. Mein Vater herrscht über Adamon. Wir waren immer Verbündete Allieras, aber was in letzter Zeit von eurem König gespielt wird, gefällt uns nicht. Deshalb bin ich hier, um euch ein wenig in die Karten zu schauen." Lässig lehnte er an einem Türrahmen. „Durch Mira flüchten die Menschen in unser Reich, wir bieten ihnen Schutz, aber, wenn die Krankheit zu uns gelangt- nun, davon wäre niemand in Adamon begeistert. Die Bürger wollen niemanden aus Alliera aufnehmen." Ich war schockiert von den vielen Informationen, doch versuchte gefasst zu wirken. „Vielleicht fragst du dich, was du damit zu tun hast? Nun, wir müssen mehr über den Prinzen herausfinden. Ich kann dir nicht noch mehr verraten, nicht solange du uns kaum hilfreiches Material gibst, doch wenn es soweit ist, dann kann ich dir helfen. Und du wirst meine Hilfe brauchen." Er stieß sich von dem Türrahmen ab und kam auf mich zu. Ich versteifte mich. „Oh ja, das wirst du. Aber im Gegenzug brauchen wir Informationen." Er fuhr mit seiner Hand über meine Wange. „Gib uns etwas. Gib mir etwas und ich werde dich retten." Dann lagen seine kalten Lippen auf meinen, bevor ich etwas geahnt hatte. Er zog mich zu sich und ich kam kaum von ihm los, ehe er sich von mir löste und mich rauchiger Stimme sprach: „Du bist schön, Amira." Mit geschwollenen Lippen stolperte ich von ihm weg. Seit ich hier war, hatte ich kein Wort gesagt und so war meine Stimme brüchig als ich sprach. „Ich muss nicht gerettet werden." Das war mutig. Mutiger als ich es mir zugetraut hätte. Doch Zark lachte nur. „Wenn es soweit ist wirst du um dein Leben flehen und darum betteln, mit mir zu kommen." „Ich sage, was ich weiß, wenn Sie mich nicht verraten. Mehr nicht." „Oh Amira. Das würde ich dir nicht empfehlen. Geh jetzt und denke nach. Beim nächsten Mal will ich Details. Was macht ihn schwach."
Ich war hinaus gestolpert noch bevor er seinen Satz beendet hatte. Meine Augen brannten während ich den Weg zum Bad der Dienstboden suchte und dort stundenlang meinen Mund wusch, doch das Gefühl seiner Lippen wurde ich nicht los. Ich hatte seine Blicke gesehen. Schon länger. Und dennoch war ich hilflos. Und schwach. Ich sah in mein Spiegelbild. Dann wischte ich erneut mit meinem Ärmel über mein Gesicht und suchte den Weg in mein Zimmer.
In dieser Nacht wachte ich immer wieder von seinen Lippen auf, die sich gegen meine drückten. Kalte Lippen, die sich nach mehr sehnten.
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MIRA
FantasyEine Krankheit breitet sich in Alliera aus und bringt Mira dazu aus ihrer Heimatstadt Fiadah zu fliehen und sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen. Als sie endlich wieder Arbeit findet, führen viele seltsame Umstände zu einer Bekanntschaft, mi...