Es fühlte sich schrecklich an. Ich blinzelte und die Welt blieb wo sie war. Keine Sekunde verging schnell genug. Ich hatte Worte in mir, die sich aufbäumten um mich zu verteidigen, mich zu retten, um zu lügen und auch ein wenig der Wahrheit preiszugeben. Aber ich hielt sie zurück. Ich hatte das verdient. Er hatte verstanden wer ich war, jetzt sah er mich. „Du hast mich verraten. Die ganze Zeit über. Jeden in diesem Palast. Allein dafür könnte mein Vater dich hinrichten lassen." Endlich wich die Last ein Stück weit von mir und ich schaute den Jungen vor mir nur an während ich mich meinem Schicksal stellte und einer Zukunft, die sich von nun an drastisch verändern würde. „Wolltest du mich umbringen? Oder meinen Vater?" Nein!Ich schüttelte den Kopf, immer noch stumm. „Aber du wusstest von Liane, du hattest die ganze Zeit über ein schlechtes Gewissen, du hast sie entführen lassen. Ich fasse es einfach nicht, dass ich so dumm war, dir zu glauben." Was?„Ich wusste nichts darüber. Gar nichts." „Sag mir, wo sie ist, Amira. Sag's mir. Sie ist noch ein Kind. So hartherzig kannst du doch nicht sein!" Deshalb war ich also noch hier. „Ich weiß nichts", schrie ich verzweifelt. „Du hast mit den verdammten Rebellen zusammen gearbeitet um uns alle umzubringen, natürlich weißt du es!" Mein Mund blieb mir offen stehen. „Denkst du ich sehe dir dein Schuldgefühl nicht an? Wenigstens bereust du es. Ich hoffe du verlierst deine Familie auch, dann weißt du wie es sich anfühlt."
Seine Worte trafen mich tief und rissen Wunden auf, die bluteten. Ich war nicht mehr dort, wo mein Körper war, sondern sah meine Mutter und meine Schwester vor mir, leblos. Bilder strömten durch mich hindurch, sie lachte, sie kochte, meine Mutter fuhr mir durchs Haar, meine Schwester sang leise alte Lieder. Die Trauer saß immer noch tief in mir und ich wünschte mir für einen Augenblick lang, ich wäre bei ihnen.
„Ich bin keine Rebellin." „Das ist das schlechteste Argument, das ich jemals gehört habe." Wieder schwieg ich. „Wenn du mir auf einige Fragen antwortest, dann kann ich vielleicht damit leben, dein mickriges Leben nicht aufzugeben." Seine Worte klangen wie Gift. „Wo warst du gestern früh als der Angriff geschah?" Mein Mund blieb geschlossen, wenn ich es ihm sagte landete ich genauso im Verlies, wenn nicht sogar noch schlimmeres. „Okay... wer ist dein Kontaktmann?" Gequält starrte ich an die Wand hinter ihm. Das alles kam mir nicht real vor. „Von wo kommst du?" Wieder eine Frage deren Antwort meinen Tod bringen könnte.
Nachdem ich auf keine seiner Fragen antwortete seufzte er frustriert. „Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht verurteilen sollte." Ich sah, dass er mir diese Chance geben wollte, trotz allem. Und ich hatte soviel, das ich hätte sagen können, aber stattdessen schlichen sich die falschen Worte aus meinem Mund. Es war nicht die Antwort, die er sich erhofft hatte, aber zumindest war es die Wahrheit. „Ich habe keine Familie mehr, die ich verlieren könnte."
Am Ende des Gesprächs war all mein Selbstbewusstsein erstickt worden und ich fühlte mich unendlich klein. Eine Wache begleitete mich zu meinem Zimmer und ich fühlte mich als wäre ich schon jetzt eingesperrt in einer Zelle. Ich konnte mich nicht verteidigen ohne mich weiter in mein Unglück zu werfen. Also schwieg ich. Irgendwann war mein Kopf ganz leer vor lauter Gedanken, die ungehört hinaus geströmt waren.
Es war am darauffolgenden Tag, sehr spät in der Nacht, als die Nachricht im Palast einging. Ich erfuhr davon erst drei Tage später als die Königin sich schon soweit erholt hatte, dass sie nun wieder mit ihrer Familie in einem der Säle speisen konnte. Auch Ivana ging es wieder besser, was mich erleichterte. Nichts jedoch machte mich so froh wie die Nachricht man habe Liane über einen anonymen Tipp in der Stadt gefunden.
Eine der Wachen teilte es mir mit, aber es war zu dem Zeitpunkt wohl schon eine bekannte Sache, jeder in diesem riesigen Gebäude war informiert worden, nur ich nicht. Ich wusste genau, dass Ilan darauf bestanden haben muss. Er wusste, was sie mir bedeutete und dass es mich quälen würde. Ein Ruck ging durch mein Herz und ich lacht auf, während es mir plötzlich schwer fiel etwas darauf zu erwidern. Sie war hier, es ging ihr gut. Mehr erfuhr ich nicht. Seit drei Tagen war ich nicht mehr aus meinem Zimmer gegangen außer um mein Essen einzunehmen und das Gemeinschaftsbad zu erreichen. Ich hatte keine Arbeit mehr zu verrichten und wurde auf Schritt und Tritt verfolgt. Deshalb schloss ich mich in meinen eigenen vier Wänden ein und hüllte mich in Gedanken und Schweigen, die sich um mich legten wie eine zweite Haut.
Ich hatte Ilan nicht mehr gesehen seit er mich weggeschickt hatte. Wahrscheinlich wusste Ivana jetzt auch alles, ihr Bruder muss ihr alles erzählt haben. Ich war jetzt die Rebellin, die Attentäterin, die Unbekannte in einer Rechnung, die nicht aufging. Zark hatte gewonnen. Sie hatte nicht verstanden, dass er es war. Jetzt war ich die, auf die alle Fragen ihre Antwort fanden. Ich passte perfekt ins Schema und Zark war fein raus. Abgesehen von der Entführung und ein paar Verwundeten des Ablenkungsmanövers war niemandem etwas geschehen, dass hatten sie mir mitgeteilt. Als wäre es ein Rückschlag für mich. Alle erwarteten sie ein böses Funkeln in meinen Augen, in ihrer einfachen Welt war ich nun die Böse, ohne Zwischentöne, ohne Graunuancen - zwischen schwarz und weiß war ich schwarz.
Tage vergingen und mein Leben verlor an Farbe. Kein Austausch von belanglosem Geplänkel, wenn ich in der Küche die Frauen nach der frischen Zitrone für den Tee der Prinzessin fragte, keine Kinderlieder für Liane, keine metaphorischen Gedankengänge, wenn ich den Prinzen zwischen Tür und Angel für ein paar Momente zu Gesicht bekam. Nichts mehr. Nur Stille und stickige Luft, die machte, dass mir ganz schummrig wurde.
Die Zeit verlor an Greifbarkeit, doch der Winter war nun vollständig hier. Draußen zitterten die kahlen Äste in der Kälte. Ich hatte schon die Kerzen gelöscht und starrte in die Dunkelheit als ich etwas hörte. Erst war es nur ein leises Pochen. Tack, tack.Doch es wirkte zu regelmäßig um von einem Baum zu stammen, der gegen die Hauswand schlug. Generell kam mir das Geräusch so neuartig vor. Ich hatte tagelang in meiner Stille gehaust. Jeder Klang war wiederholt aufgetreten, ich kannte die Geräusche, die meine Atemluft auf Stoff, das Bett bei Belastung, die Türen draußen im Flur und der Wind machte. Ich setzte mich aufrecht hin. Wie ein unnachgiebiges Scharren direkt unter meinem Fenster. Als wartete es geradezu darauf meine Aufmerksamkeit zu erreichen. Ich wickelte eine dünne Jacke um meinen Körper, dann stellte ich mich auf meinen Bettrand und öffnete das Fenster. Kalter Wind erreichte meine nackten Füße.
„Hallo."
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MIRA
FantasyEine Krankheit breitet sich in Alliera aus und bringt Mira dazu aus ihrer Heimatstadt Fiadah zu fliehen und sich auf den Weg in die Hauptstadt zu machen. Als sie endlich wieder Arbeit findet, führen viele seltsame Umstände zu einer Bekanntschaft, mi...