Kapitel 52: Training

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Als ich in unser Zelt kam saß Jeremy auf dem Boden und streifte sich seine Stiefel über. „Ich will, dass du mich trainierst." Ich hatte meine Hände in die Hüften gestemmt und sah ihn herausfordernd an. Und er sah mich an und begann wieder zu lachen. „Ich meine es ernst. Bring mir bei zu kämpfen." „Meinst du das echt ernst?" „Ja." Selten hatte ich bestimmter geklungen. Er kam vor mir auf die Beine. Seine Augen fixierten meine, dann lagen seine Lippen plötzlich auf meinen für einen Wimpernschlag. „Okay", hauchte er und bevor ich irgendetwas tun konnte war er an mir vorbei aus dem Zelt geschlüpft. Ich folgte ihm auf den Fersen. „Alles was ich kann", begann er, „habe ich mir selbst beigebracht." Er zuckte die Schultern und warf mir einen Stock zu. Wir befanden uns auf einer kleineren freien Fläche. „Wir kämpfen mit Stöckern?", fragte ich irritiert, aber er hatte bereits auch einen aufgehoben. „Das bringt dich nicht so schnell um." Im nächsten Augenblick hatte er mich bereits zum Stolpern gebracht und richtete den Stock auf meinen Hals. Während ich mich gerade noch halbwegs hatte abfangen können. „Lektion eins. Sei immer auf einen Angriff vorbereitet." Er hob den Stock an, ich verbarg meine Überraschung, rappelte mich auf und hielt den Stock hoch. Das hier war nicht mehr der Junge, den ich kennengelernt hatte. Es schien als wäre er in diesem Lager nicht mehr der magere Junge mit der Flucht im Sinn und einem seltsamen Humor, sondern als wäre er hier ein Mann, der für sein Ziel kämpfe. Das hier war tatsächlich der Ort, an dem er angekommen war, stellte ich fest. Bevor ich ihn mich angreifen ließ stach ich mit meinem Stock nach vorne. Doch er wich gekonnt aus und hieb mit der flachen Seite des Stockes in meine Seite, die ungeschützt war. Ich zog scharf Luft ein und ließ den Stock fallen. Sofort landete das spitze Ende des Holzes wieder an meiner Kehle. „Lektion 2. Es ist gut zuerst anzugreifen, aber warte nicht so lange, dass dein Gegner Zeit hat seinen Angriff zu planen und rechne mit den Reaktionen. Du musst dich bewegen, bleibe nichts starr stehen, das macht dich verwundbar. Dass du deine Waffe nicht verlieren solltest, muss ich nicht erklären oder?" Sein Unterricht war hart, härter als ich gedacht hatte, dass er sein könnte. „Heb deine Waffe wieder auf." Ich tat es. „Du musst dein Schwert so halten", er kam zu mir und korrigierte meine Haltung. Wir waren uns plötzlich ganz nahe und ich versuchte nicht zu sehr auf seinen Mund zu sehen. Mein Herzschlag ging plötzlich viel schneller. „Okay, weiter geht's." Ich hoffte, dass die Röte in meinem Gesicht nicht zu sehen war als er mir wieder gegenüber stand.

So verbrachten wir den Vormittag. Am Ende war ich völlig fertig und hatte überall blaue Flecken, wo Jer mich getroffen hatte. Zum Schluss hatte er mir schmunzelnd die Hand gereicht und mir hoch geholfen. „Du hättest auch deutlich schlechter sein können", hatte er zugegeben und ich hatte leicht gelächelt, zu stolz zuzugeben, dass mir bereits alles weh tat. Wir machten eine Pause und ich trank eine Menge Wasser, bevor ich wieder aufstand. Auch Jeremy war verschwitzt, aber er war nicht am Ende seiner Kräfte, nicht wie ich es war. Jer brachte mir einen Apfel, den anderen aß er selbst, um neue Energie zu tanken. Dann tauchte ein Gesicht auf, das mich dazu brachte mich aufzurichten. Ich stand auf und ließ ihn heran kommen. Will ignorierte mich und begann stattdessen mit Jeremy zu sprechen noch bevor er uns gegenüber stand. „Wo warst du den ganzen Vormittag, Jeremy? Ich habe dich gar nicht gesehen." „Ich habe mit Amira trainiert." Jetzt zog er eine Braue hoch und bedachte mich eines abschätzigen Blickes. „Du solltest lieber wieder zu uns kommen, es ist Zeitverschwendung Frauen zu trainieren. Erst recht, wenn sie uns und unsere Angriffspläne an unsere Feind verraten." „Amira verrät uns nicht, William." „Ist sie wenigstens gut im Bett?" Plötzlich hatte Jeremy ein Messer gezogen. „Vorsichtig", flüsterte er gefährlich leise. Aber Will nahm das zum Anlass um auch ernster zu werden. „Vielleicht hat sie dir nicht alles erzählt, Jeremy, hast du da schon einmal dran gedacht?" Eins musste man Jeremy lassen, er ließ nicht durchblicken, ob er es in Betracht zog. Er blieb erst und stand immer noch halb vor mir, bereit um mich zu verteidigen. „Okay", er sah mich mit einem arroganten Lächeln an, „dann erzähl uns doch, Amira", er sprach meinen Namen aus als wäre er Gift, „warum hast du uns einen Weg gezeigt? Du kanntest uns nicht. Woher wusstest du überhaupt, wer wir sind, he? Nenn mir deinen Grund, wenn es nicht der ist, dass du unseren Jeremy hierbei verführen wolltest um unser Lager auszuspionieren." Wie vor den Kopf gestoßen starrte ich diesen Mann an, einen Kopf größer als ich, wie er siegessicher lächelte. Jeremy trat ein Stück zurück und sah mich an. Darüber hatten wir noch nicht gesprochen. „Ich- wollte nur helfen." Das war das einzige was mir in den Kopf kam. William lachte. „Da hast du es. Sie hat kein einziges Argument. Wir sollten sie lieber hier festbinden, wenn ihr sie nicht umbringen wollte, bevor sie uns wegläuft und wir alle geliefert sind." Mein Herz hämmerte in meiner Brust und mein Kopf war leer. Warum hatte ich diesen Leuten geholfen? Was hatte mich nur dazu veranlasst? „Ich hatte an euren Worten gehört, dass ihr Rebellen seid und Jeremy hatte Andeutungen gemacht, genug um das Risiko einzugehen. Es war nichts als ein Gefallen. Ihr wärt ohne mich nicht hinaus gekommen. Ich habe euch da raus gerettet und alles was ich dafür bekomme sind Schläge und Beleidigungen." Wills Augen glühten vor Rage. „Du hast uns gerettet? Das ich nicht lache! Du hast uns belauscht- du hast es selber zugegeben. Wir sind zusammen hinaus gekommen. Das stimmt. Mehr nicht. Wir brauchten deine Hilfe nicht." Er spuckte die Worte vor mich. „Oh doch, dir brauchtet ihr und das weißt du genau. Das ist dein Problem." Ich wusste, dass ich ihn provozierte, aber ich hatte genug davon immer nur zurückstecken zu müssen. „Mein Problem?", Will kam mir ganz nah und ich hielt seinem Blick stand. „Mein Problem ist, dass du, eine Fremde aus dem Palast, die wahrscheinlich noch für die Königsfamilie arbeitet und sie unterstützt, hier inunseremLager wohnst und ein Zelt mitmeinerFrau teilst. Das ist mein Problem!" Die Worte trafen mich. Der Abscheu für genau das, was ich gewesen war. „Ach so? Und was habe ich dir getan? Oder deiner Frau?" „Wage es nicht das Wort über sie zu errichten." „Wieso nicht? Kann sie nicht für sich sprechen? Hier haben Frauen wohl überhaupt keine Rechte. Sind wir für euch Rebellen nur Besitzobjekte?" „Was erlaubst du dir über irgendjemanden hier zu urteilen? Wir sind eine Gemeinschaft. Wir brauchen und schützen einander. Du hast doch gar keine Ahnung, was es bedeutet Menschen zu verlieren. Du verdienst Geld für das Menschen anderswo sterben, damit du die Titel seiner königlichen Hoheit herbeten kannst." So ein Arschloch. Tränen stiegen in meinen Augen hoch während ich schrie: „Ich weiß besser als jeder andere, was es heißt zu verlieren!" Ich spürte wie Jeremy versuchte mich wegzuziehen, den Konflikt zu beenden. Aber ich riss mich los. Das war meine Entscheidung. Ich war keine dumme Frau, die alles tat, was andere ihr befahlen. Ich hatte überlebt und ich würde nicht nachgeben. „Das glaube ich nicht", erwiderte Will kalt und zog sein Schwert. Ich hatte nicht bemerkt, dass sich immer mehr Männer und Frauen um uns gesammelt hatten. Aber jetzt ging Jeremy endgültig dazwischen. „Tu nichts, was du später bereuen wirst, Will." Sein Blick kalt und kalkulierend, während auch er sein Schwert hochhielt. „Du willst uns doch nicht auch verraten, Jeremy. Du weißt, wie das ausgeht." „Weder ich, noch Amira hat uns verraten", antwortete er ruhig. „Du glaubst ihr diese dämliche Geschichte doch wohl nicht?" „Doch. Genau das tue ich." „Dann bist du dümmer als ich geglaubt hatte." Er tat einen Schritt nach rechts und begann sein Schwert hin und her zu schwingen. Angst fuhr durch meinen Körper. „Jeremy", zischte ich und versuchte zwischen die beiden zu gelangen. Doch er schupste mich ohne Umstände zurück. „Das ist nicht dein Kampf." „Aber deiner ist es auch nicht, jetzt geh aus dem Weg, bitte." Er hielt die ganze Zeit den Blickkontakt zu Will auf dessen Gesicht ein kleines Lächeln lag. Panik kam in mir hoch und ich war kurz davor zu schreien. Warum unternahm niemand etwas? Ich sah mich um, aber alle schienen nur gebannt zuzusehen. Großer Gott, war das etwa normal? Doch dann sah ich einen braunen Haarschopf durch die Menge zu uns durchbrechen. „Will! Will, was tust du? Nimm das Schwert herunter." Ein Mädchen schob sich zwischen die Klingen und die Männer ließen die Schwerter sinken. Dann erkannte ich plötzlich das Gesicht wieder - Fine - und verstand. Innerhalb kürzester Zeit verstreuten sich die Menschen rings um uns wieder und Fine begann auf Will einzureden. Die Art wie sie sich ansahen und sprachen - ich sah die Liebe zwischen ihnen, ohne dass man es mir hätte erklären müssen. Ich ging zu Jeremy. Seine Atmung ging schwer, aber als er mein Gesicht sah schien ihm wieder einzufallen, was wir hier taten. „Gehen wir", sprach er zu mir.

Ich beruhigte mich ein wenig, die Schwerter steckten zurück in ihren Scheiden und ich bekam immer wieder Panikschübe, wenn ich an die Situation von vor wenigen Minuten zurückdachte. Wie hatte das Gespräch derart eskalieren können? Warum waren diese Menschen so? Jeremy wusch sein Gesicht über einer Wasserquelle. „Scheiße man, bitte sag mir, dass ihr nicht wirklich gekämpft hättet?" Er sah mich nur kurz an bei der Frage. Das seufzte er. „Wie ich schon einmal sagte, Will ist ein Idiot. Wenn er dich bedroht, nachdem er dich schon einem so schlimm zugerichtet hatte, dann werde ich nicht danebenstehen und zusehen. Du hast dich nicht gesehen..." Ich hörte den Schmerz in seiner Stimme und schreckte ein wenig davor zurück. Er sollte das nicht so sehen. „Du hättest das nicht tun müssen. Das war nicht euer Kampf." „Was hätte ich sonst tun sollen?" Er richtete sich auf und sah mich an, seine Augen voller Gefühle, die ich nicht zu deuten wusste. „Ich hätte kämpfen können." Er lächelte schief, ohne dass es seine Augen erreichte. „Hättest du nicht." „Ich will nicht, dass du, wegen mir-" Ich beendete den Satz nicht, wollte nicht, konnte nicht. Er nahm mich in den Arm. „Ist schon okay. Es ist ja nichts passiert." Trotzdem.Aber ich sagte nichts mehr. „Außerdem", etwas seines alten Humors schwang darin mit, „bin ich gar nicht so ein schlechter Kämpfer, weißt du." Ein wenig resigniert lächelte auch ich. Es schien als hätten sich die Fronten des Jungen geändert, der mir einmal ins Gesicht gesagt hatte, ich solle es akzeptieren oder halt sterben. Jetzt war es ihm nicht mehr gleich. Und augenblicklich drückte ich ihn ein wenig fester an mich.

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