Kapitel 25: Verräterin

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Zarte Eiskristalle streckten sich über mein kleines Fenster als ich aus meinem Traum erwachte. Die Kälte schnürte sich um meine Füße als ich die Decke wegschlug und mir meine Kleidung anzog. Ich würde es hier nicht länger aushalten. Bereits zum zweiten Mal träumte ich von einer verhüllten Gestalt, die ich hatte kommen sehen, ohne sie in irgendeiner Weise aufhalten zu können. Ich wusste wie der Traum ausgehen würde und ich konnte rein gar nichts tun, um sie zu retten. Als ich mir im Bad kaltes Wasser ins Gesicht spritze konnte ich immer noch ihre weißen Gewänder über den Boden schleifen sehen, während sie ein langes Messer gezogen hatte.

Dann hatte ich meine Mutter gesehen, hilflos, während die Gestalt ihr Messer in ihren Bauch rammte. Meine Mutter hatte geschrien, aber ich hatte es nicht gehörte. Ich war taub für ihre Seite geworden, das einzige, was ich gehört hatte, war das Geräusch des Messers an sauberen weißen Stofflagen. Stoff auf Metall. Weiß, dass sich rot gefärbt hatte. Dann hatte ich meine Schwester neben meiner Mutter erblickt, sie hatte geweint, geschrien, gefleht, ohne, dass ich einen Ton vernommen hatte, sie hatte gebettelt und aus einem unerfindlichen Grund war es mir vorgekommen als wäre es ein Akt der Gnade als die Henkerin ihr das Messer in den Leib gestoßen hatte und ihr Schicksal besiegelt hatte, wie sie es bei meiner Mutter getan hatte. Keine Angst hatte auf dem Gesicht meiner Schwester gelegen als sie auf dem Boden zusammensackte, ihre Haare hatten lagen gelockt um ihr wunderschönes Gesicht gelegen, das frei von Schmerz und Angst gewesen war. Daran wie beide Frauen nebeneinander gelegen hatten konnte ich sehen wie viel sie einander bedeutet hatten und ich sah wie sich ihr Blut auf dem Boden miteinander vermischt hatte und eins wurde. Rotes Blut, das immer dunkler geworden war. Dunkler und dunkler und dunkler. Schwarz. Bis es sich zu drehen begonnen hatte und ein riesiges schwarzes Loch sich auftat, dass wie ein Strudel den Boden mehr und mehr einzogen hatte. Die weiß gekleidete Gestalt hatte sich zu mir gedreht und in dem Moment hatte ich gewusst, dass ich wieder laufen konnte. Wie von einem Instinkt geleitet hatte ich mich umgedreht und war davon gelaufen. Vor dem Messer der Unbekannten und vor dem schwarzen Loch, das mich zu verschlingen versucht hatte. Ich war geflüchtet bis meine Beine unter mir zusammenbrachen und ich um den Tod gebettelt hatte. Da hatte ich die kalte Klinge auf meiner Haut gespürt.

Ich betrachtete mein Gesicht, Züge, die mich an meine Schwester erinnerten, auch wenn ich ihr nicht allzu ähnlich sah. Ich hatte nicht diese schöne, attraktive Frische, die Anziehungskraft, die ein junges Mädchen begehrenswert machte. Bella hätte nie ein Problem damit gehabt einen Mann zu finden. Sie hatte viele Verehrer, auch wenn diese sie nicht oft angesprochen hatten, weil sie genau über den Stand unserer Familie wussten, um das wenige Geld, das wir hatten. Doch ich sah die verstohlenen Blicke, die ihr zugeworfen wurden und ich bemerkte genauso, dass sich die jungen Männer Fiadahs nach ihrund nicht nach mirumgedreht hatten. Doch diese Zeit war vorüber. Ich versuchte, die Last, die ich in mir herum trug weitestgehend zu verdrängen, doch wie eine unausgesprochene Hürde, suchte mich die Schuld jener Tage in meinen Träumen heim. Öfter als mir lieb war. Doch erst zweimal war die Frau in weißen Leintüchern, die so hell strahlten, als wären sie niemals beschmutzt gewesen, aufgetaucht und ich hoffte inständig, es war das letzte Mal gewesen.

Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich den ganzen Tag über mit den Gedanken ganz woanders war. Gegen Mittag erhielt ich eine Nachricht des Prinzen, ich solle die mitgelieferten Dokumente aus dem Schloss heraus bringen. Ich bedankte mich bei dem Diener, der mir einige versiegelte Briefe übergab und musste mich nicht lange fragen, warum ich diese Aufgabe bekam und nicht zum Beispiel der Mann, der die Briefe schon bis zu mir überbracht hatte. Es war ein Gefallen, ein Geschenk. In zwei Wochen öffnen wir die Tore, hatte er gesagt, ich werde eine ganze Weile beschäftigt sein, aber du kannst dann wieder raus an die Luft. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Anscheinend war ihm unser Gespräch nicht aus dem Kopf gegangen. Zwar musste ich diese zwei Wochen noch abwarten, aber immerhin konnte ich die Luft draußen atmen. Mir wurde mitgeteilt, dass der Palast über eine Sicherheitsschleuse vereinzelt die Kommunikation zur Stadt wieder aufgenommen hatte und so musste ich durch einen der Gärten bis zu einem kleinen Häuschen, an dem ich die Papiere abgab. Auf dem Rückweg ließ ich mir Zeit. Die kahlen Äste zerteilten den Himmel in kleine Stücke und die Sonne fand ihren Weg kaum durch die dicke Wolkenwand, die sich gebildet hatte.

Kurz vor fünf wartete ich ungeduldig vor dem Saal, in dem die Besprechung stattfand. In Gedanken ging ich immer wieder meinen Plan durch. Es musste funktionieren. Meine Hände waren schweißnass. Der Uhrzeiger rückte auf die zwölf. Mein Herzschlag setzte aus. Nichts passierte. Ich ging unruhig auf und ab, bis die Tür vier Minuten verspätet aufschwang. Ich hatte schon überlegt, welche Ausrede wohl angemessen wäre um die Besprechung zu unterbrechen. Männer in Anzügen verließen den Raum, auch einige Diener, von denen mich zwei erkannten und mir zunickten, ich reagierte meinerseits mit einem Nicken, für den Rest war ich unsichtbar mit meinem unscheinbaren Auftreten und dem zaghaften Lächeln. Wo blieb er nur?Die Zeit lief mir davon und gerade als ich meinen Mut zusammen genommen hatte und den Raum betreten wollte, da kam er. Mein Herz sprach Bände bei seinem Anblick und ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Es war der einzige, der mich ansah, der mich wirklich sah. „Amira", sprach er überrascht und blieb stehen. „Eure Hoheit", ich verbeugte mich tief.

Er erkundigte sich, ob es bei der Überlieferung der Dokumente Probleme gegeben hatte und ich brauchte einen Moment um mich zu erinnern und verneinte dann höflich. Es war mir nicht gestattet, dem Prinzen fragen zu stellen oder gar um persönliche Zeit zu bitten, aber er hatte meine Unruhe wohl bemerkt. „Komm", sprach er nur und schritt los, mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Für Außenstehende würde es so wirken, als wäre ich bloß eine Dienerin, die seine Befehle und Aufträge annimmt, doch in Wirklichkeit hatte ich das Gefühl, er verstand mich besser als mich jemals jemand verstanden hatte. Er wusste, dass etwas nicht stimmte, das ich reden wollte und zwar an einem ungestörten Ort. All das lag hinter seiner lächelnden Maske, die mich abschätzig musterte. Und das machte mir Angst. Ich hatte das Gefühl, er könnte alle meine Absichten einschätzen und wüsste genau, was in mir vorgeht. Beängstigend und gleichzeitig- das Gefühl, von jemandem verstanden zu werden blühte in mir auf, tief in mir drin und ich hasste mich dafür, ihn auf diese Weise verraten zu müssen, nicht nur wegen seines Vertrauens und seiner Liebenswürdigkeit, seinem Blick auf Details, die ihn zu einem Herrscher machten, der gutes vollbrächte, sondern auch, weil ich mir damit selbst das Herz brach, mit jeder Lüge und jedem Befehl Zarks mehr. Ich wollte das nicht. Aber ich hatte mich für diesen Weg entschieden, für das Leben, mein Leben und es gab kein Zurück mehr.

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