Kapitel 10: Im Palast

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Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Wir waren hinten herum über eine schmale Treppe direkt in eine Art Lagerraum gekommen von wo aus sich die Frauen in verschiedenste Richtungen verteilten. Unentschlossen und beeindruckt von meiner Umgebung blieb ich stehen und sah mich um. Allerdings nur für einen Moment, dann eilte ich mit schnellen Schritten einer Magd hinterher. So gut es ging merkte ich mir die Gänge. Stimmen drangen aus verschlossenen Räumen. Gerüche erfüllten meine Nase. Alle Eindrücke eines Lebens, dass ich noch nie auch nur erahnt hatte trafen auf mich. Vor lauter Fülle an allem wurde mir leicht schwindelig. Mit einem kleinen Abstand verfolgte ich die Frau und bahnte mir meinen Weg. Abschätzig warf ich unauffällige Blicke auf die Kleidungen der Angestellten um sie zuordnen zu können. Das waren Mädchen für Alles, Küchenhilfen, ab und an ein Soldat, der zum Schutz auch hier unten Patrouille lief, Handwerksleute, die ganz anders wirkten als die, die man aus der Stadt kannte, Kammermädchen und Zofen. Höhere Angestellte befanden sich nicht auf diesen Fluren, doch wir näherten uns immer mehr den wirklichen Leuten von Rang, das spürte ich, genauso wie ich bemerkte wie sich meine Umgebung veränderte. Uniformen wurden prunkvoller, Flure farbreicher, Tische beladener, Blumensträuße voller, Gemälde prächtiger. Wir liefen nun nicht mehr auf Pflaster, nicht mehr auf Steinen, nicht einmal auf Holzdielen. Die Böden waren mit Teppichen und ähnlichem ausgelegt, an den Treppen auch mit Fliesen und kunstvollen Mosaiken. Alles war immer ein Stück mehr als zuvor.

Mir wurde klar, dass ich bisher nur so weit gekommen war, weil meine Kleidung als Magd unter vielen halbwegs glaubwürdig wirkte. Meine Aufmachung hatte mich gerade so gerettet. Doch während jetzt alle höher gestellten Leute mich gar nicht erst eines Blickes würdigten teilte ich immer öfter die Aufmerksamkeit meiner Mitangestellten, die mich misstrauisch beäugten. Alles was ich tun konnte war unauffällig zu bleiben und im Ernstfall sinnlogisch zu argumentieren.

Doch es war nicht mein Einfallsreichtum, der auf die Probe gestellt wurde, sondern meine Aufmerksamkeit gegenüber meinem Umfeld, die nie größer war als in dieser Stunde. Die Magd, die ich verfolgte, verlor ich in dem Augenblick als ich ein hohes Kreischen hörte, Türen die klappten und dann eine junge Frau, die an mir vorbei lief, geradewegs zum nächsten Dienstboten und ihm hektisch etwas zuflüsterte. Dieser nickte nur pflichtbewusst und eilte los. Ich war während dieser Szene wie erstarrt stehengeblieben und versuchte nun ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen meine Tätigkeiten wieder aufnehmen. Doch dafür war es bereits zu spät. Die junge Frau trat auf mich zu. „Hast du denn nichts zu tun? Was stehst du hier so rum?" Erschrocken zuckte ich zusammen und nickte. „Steht sie da und träumt. Das sollte die Prinzessin mal machen anstatt alle zwei Tage ihre Zofe zu entlassen." Sie seufzte und dann war sie aus meiner Reichweite. Ich hatte diese Sätze nur aufgeschnappt, weil ich hinter der nächsten Ecke angehalten hatte, ursprünglich um mein weiteres Vorgehen zu planen. Doch bei dieser Neuigkeit konnte ich auch nicht weghören. Die Prinzessin? Jemals so ein merkwürdiges Selbstgespräch zu belauschen hätte ich mir noch vor Wochen niemals auch nur im Entferntesten vorstellen können.

„Wen haben wir denn da? In der Arbeitszeit hier rumstehen und faulenzen?", riss mich eine Stimme je aus meinen Gedanken. Ich zuckte zusammen. „Moment mal? Wer bist du? Du arbeitest hier nicht. Wolltest mich betrügen, mit dieser geklauten dreckigen Schürze!" Ich hatte keine Chance auch nur einen Satz der Erklärung rauszubringen, da erwischte mich ein harter Schlag im Gesicht. Mein Körper gab nach und ich sank zu Boden. „Jetzt steh schon auf. Oder soll ich dich wegen Verrat vor das königliche Gericht schleifen?", bluffte der Mann vor mir mich weiter an, während er mich schon wieder auf die Beine zog. „Nein, Sir", stammelte ich, was das einzige war, was mir überhaupt über die Lippen kam. „Tut mir leid, Sir", hänge ich noch dran. Dass er mich nicht noch einmal schlug deutete ich als gutes Zeichen. „Ich sollte hier als neue Zofe der Prinzessin angestellt werden", gab ich von mir und sah dem Mann in die Augen. „Ist das so?" Er wirkte nicht so, als würde er mir glauben, aber ich stellte mich aufrechter hin und nickte zaghaft und so ließ er von mir ab und deutete in Richtung der Treppe von der vorhin die Frau mit der Nachricht für den Dienstboten gekommen war. „Dann irrst du dich hier aber gewaltig. Das hier sind die Gänge zu den Bediensteten, die sich mit Essen beschäftigen, um es dir kleinem Dummchen verständlich zu machen. Also entweder du suchst schleunigst das Weite oder du gehst zu den Bediensteten mit Kontakt zu Leuten der hohen Klasse, nächster Stock, dann rechts halten und lass dich bloß nicht noch einmal in meinen Gängen erwischen." Unter erhoben Zeigefinger machte ich einen Knicks oder eher das, wovon ich annahm, dass es einem Knicks am nächsten käme und nuschelte: „Nein, Sir. Danke, Sir."

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Ich hatte Angst. GroßeAngst. Doch einen anderen Plan hatte ich nicht. Ich klopfte zaghaft an die Türvor mir. „Herein." Eine ältere Dame mit Brille saß an einem Tisch, sie wirktestreng und ich sah mich bereits hinter Gittern in einer kalten Zelle, als siefragte. „Sie sind nicht zufällig hier um als neue Zofe für Prinzessin Ivana zudienen, nehme ich an?", fragte sie, den Blick auf ein Pergament vor sichgerichtet. Perplex brachte ich heraus: „Doch, deshalb bin ich hier." Die Frauwirkte genauso überrascht wie ich als sie aufsah und mich musterte, meinedreckigen Kleider, meine Ausstrahlung. Ich versuchte zu lächeln. Mit fiel auf,dass sie die erste gewesen ist, die mich mit „Sie" ansprach und bevor sie michabweisen konnte ergriff ich erneut das Wort. „Ich suche schon länger nach einerAnstellung wie dieser und hatte von den Problemen der Prinzessin mit ihrenZofen gehört, Madame." Ihr Blick war eiskalt und undurchdringlich. „Halten Siesich für qualifiziert, genug?" Ich legte mir meine Worte genau zurecht, dannantwortete ich. „Durchaus." „In Ordnung, dann unterschreiben Sie bitte hier undich weise Sie anschließend ihrer Unterkunft hier im Palast zu. Sie werden einkleines Zimmer bekommen, dass sie sich vorerst mit anderen Angestellten teilenmüssen. Sie werden nicht direkt als Zofe anfangen können, das dürfen wir nichtverantworten, aber nach einer gewissen Zeit als Haushälterin der Prinzessinsind Sie bestimmt mit ihrer Eingewöhnungszeit soweit, dass wir sie als Zofehier beherbergen können. Sie erhalten eine Mahlzeit am Morgen und am Abendsowie ihr Bett, über weitere Vereinbarungen können wir uns nach den erstenMonaten unterhalten, Miss...?" „Dornia, Amira Dornia." „In Ordnung."    

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