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Ungeduldig warte ich das Ende der letzten Stunde ab. Hongbin neben mir hat seinen Kopf auf den Tisch gelegt und murmelt frustriert vor sich hin. "Erst Mathe und jetzt noch Englisch", brummt er. Leise reiße ich ein kleines Stück Papier aus meinem Block. "Wir haben nachher Zeit zum lernen", kritzel ich darauf. Unauffällig schiebe ich es ihm zu. Kurze Zeit später bekomme ich es zurück. "Danke" Ist er nicht derjenige von uns, der die ganze Zeit gereist ist? Sollte sein Englisch nicht eigentlich gut sein? Ich lenke meine Konzentration wieder auf unseren Lehrer. Dieser labert und labert. Natürlich sollten wir alles mitschreiben, weil es ziemlich wahrscheinlich in einem seiner Kurztests vorkommen wird, aber wie soll man das denn aushalten? Kann es nicht endlich klingeln? Ungeduldig zupfe ich nun an Hakyeons Blazer. Meine Bluse ist zwar wieder trocken, aber mit der Zeit wurde es ziemlich kalt im Klassenzimmer, also habe ich den Blazer wieder angezogen. Hoffentlich finde ich meinen wieder. Immer wieder starre ich auf die Uhr. Klingel endlich. Bitte.

Kein Bock mehr?

Nein. Hört es sich seltsam an, wenn ich sage, dass ich mich freue nachher wieder mit den anderen essen zu können?

Etwas. Du kennst sie schließlich noch nicht so lange, aber ich habe dich noch nie so glücklich wie jetzt erlebt.

Ich weiß auch nicht, aber ich bin irgendwie froh, dass meine alten Freunde mich ignorieren, sonst hätte ich Hongbin und den Rest nicht kennen gelernt.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Hongbin mich angrinsen. "Was grinst du so?", flüstere ich leise. Er grinst noch breiter. "Du siehst nur ganz anders aus, als heute morgen", wispert er. "Und was heißt das?", frage ich. Eine Antwort bekomme ich nicht, weil wir uns ein Kichern unterdrücken müssen, da Sanghyuk gerade aufgefordert wird vorzulesen. Er hat augenscheinlich keine Ahnung, denn er beginnt zu stottern und in seinem Buch zu blättern. Als alles sich wieder etwas beruhigt, nuschelt Hongbin: "Du warst mega niedergeschlagen und still, aber jetzt grinst du die ganze Zeit und redest mit uns. Es ist schön zu sehen, dass es dir besser geht" Also hat er es bemerkt.

Wer sollte das nicht bemerken? Du warst heute echt schlecht drauf.

Seong.

Sun. Denk mal nicht an den.

Wie soll ich denn nicht daran denken?

Probier es doch bitte einfach. Ohne den bist du viel besser dran.

Wir richten unsere Augen wieder auf Sanghyuk. Als es endlich klingelt atme ich erleichtert auf. Hastig packe ich meine Sachen zusammen. Während ich auf den Rest warte gehe ich nochmal in meinem Kopf meine Hausaufgaben durch. Eigentlich nicht viel. Nur Mathe, Koreanisch, Geschichte und Englisch. Ich hatte heute aber auch nur diese Fächer. Das sollte ich eigentlich bis um 8 schaffen. Gemeinsam mit Sanghyuk laufe ich zur Cafeteria. Hongbin muss nochmal zur Direktion. Wir holen uns etwas zu essen und halten Ausschau nach dem Rest, doch sie sind noch nicht da. Schnell suchen wir uns einen leeren Tisch und besetzen ihn. Hungrig fallen wir über unser Essen her. "Diese Lehrer haben echt einen Schuss. Den ganzen Tag nur Doppelstunden. Wer soll das denn überleben?", nuschelt Sanghyuk. "Besser so. Willst du lieber acht Fächer an einem Tag und in jedem Hausaufgaben?", entgegne ich.

"Da seid ihr", begrüßt uns Hakyeon. "Aigoo. Ihr habt einfach schon angefangen", beschwert Jaehwan sich lautstark, als er sich neben mich setzt. Ich schaue auf. "Wir hatten Hunger, außerdem müssen wir gleich mit lernen anfangen", verteidigt Sanghyuk uns. Der Rest nickt verstehen und beginnt auch zu Essen. Nachdem wir fertig sind schauen wir uns nur ratlos an. Laut Hongbin, der erst ziemlich spät zu uns gestoßen ist, macht die Bibliothek erst in einer halben Stunde auf. Da fällt mir etwas ein. Ich ziehe Hakyeons Blazer aus und gebe ihn ihm zurück. "Danke nochmal. Du hast mir echt das Leben gerettet", bedanke ich mich. Hakyeon grinst mich an. "Alles für unser neuestes Mitglied", lacht er. Meine Wangen werden leicht rot. Sie akzeptieren mich.

Überraschung.

"Und, wie war euer Schultag so?", fragt Jaehwan in die Runde. Peinliche Stille legt sich über den Tisch. Niemand will so wirklich über die Schule reden. "Sun-ah. Was mich und Wonshik schon die ganze Zeit beschäftigt ist dein Name. Bedeutet dein Name wirklich einfach nur Sonne?", möchte Hakyeon wissen. Natürlich.
"Nein, eigentlich bedeutet mein Name so viel wie Güte. Mein Vater fand es schön die Namen von mir uns meinem Zwilling zu kombinieren. Seong und Sun. Zusammen kann man es als vollendete Güte verstehen", erkläre ich.
Ah, ich habe zu viel gesagt.
Der ganze Tisch nickt. "Geht deine Schwester auch auf diese Schule?", möchte Taekwoon wissen. Verwirrt lege ich meinen Kopf schief. "Seong ist doch ein Mädchenname", ergänzt er. Oh, da war ja was.
"Nicht ganz", verbessere ich ihn "für Jungen kann man ihn auch verwenden, aber es ist selten. Nein, mein Bruder geht nicht auf diese Schule" Beschämt senkt Taekwoon seinen Kopf.

Peinlich.

Ach lass ihn, Ravi.

Du hast mich angeschnauzt, als ich dich damals gefragt habe warum dein Bruder einen Mädchennamen hat.

'Was ist mit deiner Schwester falsch' ist was anderes. Du warst wirklich unfreundlich.

Ich war geschockt.

Pff.

Wonshik klopft Taekwoon auf die Schulter, dabei schaut er jedoch mich mit einem durchdringenden Blick an. Verunsichert rutsche ich etwas näher zu Jaehwan. "Ist nicht so schlimm. Bei unserer Geburt hat die Ärztin meinen Vater gefragt, ob er seinen Sohn zum Mobbingopfer machen will", erzähle ich, bereue es aber direkt.
An Seong zu denken tut weh. Es beweist, wie wichtig er mir doch ist. Wir gehören zusammen. Dieses ganze Ignorieren und Streiten macht mich traurig, es ist, als wäre die Person, die mal mein bester Freund war, nicht mehr sie selbst.

Sonnenauge ~ #PlatinAward19Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt