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Verträumt starre ich meine Decke an. Nach so einem Schultag ist wirklich nicht an schlafen zu denken. Diese Woche ist einfach zu viel passiert. Viel zu viel für meinen Geschmack. Jaehwans Gesicht erscheint vor meinem inneren Auge. Ich kann nicht in ihm verliebt sein. Ich darf nicht in ihn verliebt sein.

Warum musste das passieren? Warum habe ich diese Gefühle jedes Mal, wenn er mich berührt? Ich muss mir das einbilden. Zumindest hoffe ich das. Aber ich bin doch in einer glücklichen Beziehung. Wieso muss ich jetzt Gefühle für jemand anderen haben? Warum muss das mir passieren? Wieso ich? Bleib jetzt ruhig Sun. Es ist Samstag. Ich habe das ganze Wochenende darüber nachzudenken. Meine Pläne werden zerstört, als der Nachrichtenton meines Handy ertönt.

Eine Nachricht von Jaehwan. Nein. "Lust heute was mit uns zu machen? ^^" Verdammt. Ich möchte so gerne, aber ich kann ihm nicht mal in die Augen schauen.

Jetzt übertreibst du.

Tue ich nicht!

Das alles bildest du dir nur ein. Schließlich hast du so ziemlich null Erfahrung mit Typen.

Und woher willst du das wissen? Warum mischt du dich da überhaupt ein?

Weil ich dich davon abhalten will einen Fehler zu begehen. Einen großen fatalen Fehler.

Ich brauche deine seltsamen Ratschläge gerade wirklich nicht Ravi.

Schön, aber denke an meine Worte.

Wers glaubt wird seelig.

Dieser Ravi. Da denkt man eine Innere Stimme kann nicht eifersüchtig sein.
Mein Handy klingelt erneut. Wieder Jaehwan. "Überlegs dir ;-)" Schnell antworte ich ihm. "Sorry, keine Zeit. Ich muss meiner Mutter bei etwas helfen :-/"

Eine eiskalte Lüge, aber ich brauche jetzt diese Zeit allein. Unten höre ich, wie die Haustür zugeschlagen wird. Gut. Mum und Seong sollten jetzt weg sein. Dann kann ich ja endlich aufstehen.
Ich strecke mich und mache mich auf den Weg nach unten. Doch meine Pläne werden mit einem Schlag durchkreutzt. Meine Mutter steht in der Küche.
Mist. Wieso jetzt? Ich dachte sie müsste heute schon früh weg. "Morgen Sunnie. Setz dich hin. Ich mache grad dein Frühstück warm. Doenjang Suppe (Sojasprossensuppe), dein Lieblingsessen", begrüßt sie mich überraschend fröhlich. Misstrauisch setze ich mich hin, am liebsten möchte ich mich wieder in meinem Bett verkriechen, aber der Geruch der Suppe hält mich zurück.

Meine Mutter brabbelt fröhlich über den neuesten Tratsch, während sie kocht. Alles scheint wie früher, also fast, denn der Platz neben mir ist leer und das ist heute auch besser so. Ich möchte Seong nicht mehr in die Augen schauen. Sein seltsames Benehmen hat sich im Laufe der Woche noch verschlimmert.
"Seong ist mit seinen Freunden lernen. Ist das nicht schön, dass er jetzt schon welche gefunden hat?", babbelt meine Mutter weiter und stellt die Suppe zwischen den Reis und das Kimchi.

Ich kann nur stumm nicken. Irgendwas ist komisch. Sie benimmt sich wieder wie früher.
"Was ist mit dir? Wir hatten überhaupt keine Zeit über deine erste Schulwoche zu reden", fragt sie mich nun.
Ist ja nicht so, dass wir uns jeden Tag sehen.
Ich starre nur auf meine Suppe. "Ist halt Schule", ist das einzige, was ich heraus bekomme. "Ach komm. Ich will Details. Sind da irgendwelche Jungs" Erschreckt schaue ich sie an. Ihre normalerweise trüben Augen strahlen wieder, während sie mich erwartend anschaut, als hätte sie mich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.

Ich sollte mich ihr öffnen. Vielleicht wird dann wenigstens zwischen uns alles wieder normal.
"Da ist ein Junge. Ich weiß nicht, was es ist, aber jedes Mal, wenn er mich berührt fühle ich mich so glücklich, dass ich es gar nicht beschreiben kann", murmel ich leicht beschämt. Meine Mutter stupst meine Schulter leicht. "So war das bei deinem Vater auch. Jedes Mal, als würden Blitze durch meinen Körper rasen. Er war ein Traum von einem Mann. Warm, liebend, aber manchmal auch etwas schusselig. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich er war, als wir erfahren haben, dass ich mit Seong und dir schwanger war. Und dann kam noch seine Sang dazu. Alles war so perfekt", schärmt sie "Ich liebe ihn wirklich Sun"

Wenn sie ihn doch so sehr liebt, warum sind sie nicht mehr zusammen. Wenn sie doch so glücklich ist?
"Warum seid ihr dann geschieden?", platzt es aus mir heraus. Das Gesicht meiner Mutter wird weich. "Wir konnten es einfach nicht mehr. Manchmal trennt man sich, obwohl man sich liebt. Manchmal sind es die gemeinsamen Erinnerungen, die einen auseinander treiben, Sun", erklärt sie mir liebevoll und legt dabei eine Hand auf meine Wange.

Ich kann nur nicken. "Und das mit dir und dem Jungen wird sicher funktionieren, wenn du dir Zeit lässt und wirklich darüber nachdenkst. Wahre Liebe braucht ihre Zeit, da kann man nicht hetzen", ergänzt sie noch. Wieder nicke ich.
Ich sollte Jaehwan nicht von mir wegstoßen, ich sollte es einfach nur langsam mit ihm angehen. Es kann auch nur Schwärmerei sein.
Ich drehe meinen Anhänger zwischen meinen Fingern. Meine Mutter beobachtet mich einfach nur, mit einem liebevollen Lächeln auf ihren Lippen. Es scheint wirklich alles wieder normal zu sein. Zumindest zwischen uns. Glücklich lächel ich sie zurück an.
Alles braucht seine Zeit.

In diesem Moment öffnet sich die Haustür. Das Lächeln meiner Mutter verschwindet. Sie steht einfach auf und geht. "Mum?", rufe ich ihr hinterher, doch sie reagiert nicht. Seong tritt ins Esszimmer. "Morgen", murmel ich eingeschüchtert. Hinter ihn treten zwei Jungen, etwas älter als ich. Die drei mustern mich kalt. "Siehst du nicht, dass unsere Gäste sitzen wollen?", knurrt Seong mich an. Hochnäsig mustern beide seiner Freunde unser Haus. Ohne ein weiteres Wort stehe ich auf und laufe in den oberen Stock in mein Zimmer. Ich schließe meine Tür hinter mir. Tränen laufen meine Wangen herunter.

Gerade, als ich dachte alles wird besser. Es war alles so kurz davor wieder normal zu sein.
Weinend setze ich mich auf den Boden. Mein Handy beginnt zu Klingeln. Ich ignoriere es.
Ich will niemanden hören. Es will mich doch eh niemand. Niemand braucht mich.
Das Klingeln dröhnt in meinen Ohren. Ich schlage meine Hände auf meine Ohren.
Es soll aufhören. Ich will es nicht hören.

Doch es klingelt erbarmungslos weiter. Es klingelt immer weiter und weiter. Mehr und mehr. Auch wird es immer lauter. Meine Ohren beginnen zu Schmerzen. Plötzlich hört es auf. Alles wird still. Ein leises Klackern an meinem Fenster ertönt. Ich wische meine Tränen weg und folge den Geräuschen. Unten vor meinem Fenster stehen Hyuk, Hongbin, Hakyeon und Wonshik. Alle drei lächeln mich breit an. "Sun! Komm runter! Wir haben mit deiner Mutter gesprochen! Du bist hiermit frei!", ruft Hongbin laut. Es will mich doch jemand und diese Personen stehen gerade da unten. "Gebt mir eine Minute", antworte ich ihm.

Sonnenauge ~ #PlatinAward19Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt