Kapitel 10- Es ist deine Flucht

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"Ich habe dich lange nicht mehr hier gesehen."

Mein Blick hebt sich, als Corinn ihre Tasche auf den Schreibtisch nieder legt und zu mir an die Seite kommt.

"Es war mal wieder fällig, sonst überlasse ich den Neuen endgültig die Website." Schnaubend zuckt mein Mundwinkel nach oben, während ihr ein leichtes lachen entlockt wird. "Und was sind die wahren Gründe für dein auftauchen?" erneut zucken meine Mundwinkel nach oben. "Ich möchte nicht Nachhause und auch nicht zu Sport. Aber ich schätze danach fragst du gar nicht."

"Ich habe deinen Streit mit Reese mitbekommen. Ich hoffe es regelt sich wieder alles." zögerlich gleitet mein Blick von dem Display zu ihr. "Es wird zwischen uns wieder alles normal, dem sind wir uns beide bewusst, aber es wird dennoch einige Änderungen geben." Schulterzuckend lehne ich mich zurück in den Stuhl. Zucke auf, als ich das vibrieren meines Handys wahrnehme, welches neben mir liegt. Zucke auf, als ich die dringende Bitte von Reese lese, dass wir miteinander reden müssen. "Ich glaube ich komme nicht darum mich mit allem auseinanderzusetzen." meine Lippen pressen sich aufeinander, als ich mich auslogge und meine Jacke, sowie meine Tasche ergreife. "Lass dich wieder öfters hier blicken." ermahnt mich Corinn liebevoll, was ich mit einem nicken bestätige. Selbst, wenn ich mir dem noch nicht bewusst bin.

Momentan geschieht genug, sodass ich es lediglich als Rückzugsort betrachten kann. Aber für solch einen Ort, besitze ich zu viele Gedanken, die mich beschäftigen. Ich werde es kaum schaffen, unter die Bettdecke zu kriechen und darauf zu warten, dass alles so unbeschwert wird wie es zuvor war. Ohne all das entstandene Chaos, dass mich begleitet und darauf wartet, mich hinunter zu ziehen.

Flüchtig gleitet mein Blick über den Schulhof, in der Hoffnung, dass mich niemand beim überqueren erwischt. Ich möchte nun nicht in den Sportunterricht geschickt werden, um mich dort auszulassen und besonders nicht um nach Joes Pfeife zu tanzen. Schon immer konnten wir uns nicht besonders ausstehen. Schlimmer war es dann lediglich, als ich mit Ace zusammen war. Und noch schlimmer wurde es, als wir uns getrennt haben. Und dann kam der Abgrund, als ich mit Ian zusammenkam.

Mit hektischen Fingern lasse ich meine Tasche in meine Ellenbogenbeuge fallen, um den Autoschlüssel zu suchen. Sobald ich diesen habe, setze ich mich auf den Fahrersitz und bringe mich von diesem Ort weg. Ich habe es geliebt in die Schule zu gehen. Es war immer eine Möglichkeit für mich, meine Eltern Stolz zu machen. Ich hatte nie Schwierigkeiten mit Noten, Hausaufgaben oder Präsentationen, viel eher habe ich es genossen all dies zu machen. In den Gedanken der Literatur oder der Vektoren zu verfallen. In Mechanismen der Photosynthese oder der Gedichtsanaylse zu versinken. Ich habe es genossen, weil ich so abschalten konnte. Doch nun sitze ich vor all den Aufgaben, vor all den Wörtern die Sinnlose Sätze in meinem Kopf bilden. Ich habe ihre Bedeutungen vergessen und ich bezweifle sie fürs erste wiederzufinden.

Meine Augen ziehen sich zu schlitzen, als ich vor unserem Haus parken muss, da unser Hof bereits mit einem Auto bestückt ist. Zögerlich stelle ich den Motor ab, greife nach meiner Tasche und spüre den aufkommenden Wind, der durch das Dorf jagt. Wild fliegen meine Locken über meine Schulter, wodurch ich sie mit meiner Hand zum stoppen bringe, ehe ich zur Haustür gehe und diese aufschließe.

Umso erstaunter bin ich als ich Andrew mit meiner Mutter am Küchentisch sitzen sehe. "Oh hey." mein Mund trocknet aus. Ich dürfte hier noch nicht sein. Meiner Mutter ist sich dem ebenso bewusst, wie ich mir, jedoch schweigt sie, während sie die dampfende Tasse fester umklammert. "Ist alles gut?" meine Augen huschen zu Andrew, welcher die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versucht. Zwanghaft versuche ich meine Mundwinkel nach oben zu ziehen. "Ja, passt schon." erneut schaue ich zu meiner Mutter, die Kommentarlos aufsteht und an das Fenster tritt. "Und bei euch?" ich lausche nur grob seiner Stimme, die mir weiß machen soll, dass alles gut ist. Aber als ich dann zu ihm blicke, muss ich auch sein ratloses Gesicht gegenüber meiner Mutter sehen. Sorgsam zuckt er mit seinen Schultern, was mich seufzend dazu veranlasst kehrt zu machen. Geräuschvoll lasse ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Ich möchte ihr zur Seite stehen, doch die Wut über ihr schweigen, lässt die Verzweiflung und die Unruhe in mir aufsteigen.

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt