Kapitel 20- Vertriebenheit der eigenen Familie

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Es hat nicht lange gedauert, all die wieder Nachhause zuschicken, die nach mir suchten. Letztendlich muss ich mir eingestehen, dass sich meine Eltern unglaubliche Sorgen gemacht haben, nachdem sie erfahren haben was passiert ist. Und ebenso trieb sie der Ärger voran, mich zu finden. Immerhin hatte zwar Reese mir nicht wegen des auftauchenden Bildes geschrieben, sondern meine Mutter. Und das ist viel schlimmer. Sie hat es von einer Freundin geschickt bekommen, die ziemlichen Wind davon mitbekommen hat. Und noch immer sitze ich im Wohnzimmer und starre auf das Bild. Mein Vater hat sich bereits abgemeldet. Er möchte lieber nicht wissen was ich in meiner Freizeit mache und dafür bin ich ihm schon einmal unglaublich dankbar.

Nur meine Mutter ist besessen darauf, alles über den vergangenen Abend zu wissen. Zum einen auch, weil ich eigentlich bei Reese schlafen sollte. Da sie aber nun doch weiß, dass wir streit haben oder hatten, muss ich ihr in diesem Sinne auch noch eine Entschuldigung und Erklärung liefern.

„Scarlett!" Ich beiße mir auf meine Lippe, als sie mich bei meinem vollen Namen nennt. Sie tut es selten und auch nur, wenn ich wirklich Scheiße gebaut habe. Und das habe ich- ohne Frage.

„Es wurde mir zuviel." Die kurze Antwort bringt sie nur noch mehr in Rage, wodurch mich ihre grauen Augen wie schwarze Löcher ansehen. „Was soll heißen, es wurde dir zuviel? Ich hatte immer gedacht wir könnten miteinander reden, wir hätten eine solch gute Beziehung, dass du mich eben nicht anlügen musst! Ich hatte gedacht du vertraust mir!" Schmerzend klingt der Vorwurf, aber auch so widersprüchlig, wodurch ich mir kein Schnauben verkneifen kann.

„Wie kann ich dir vertrauen, wenn du mir gründe gibst es nicht zu tun? Wenn ich es nicht ertrage meine Mutter so zu sehen? Du möchtest ein Vorbild dafür sein, dass man über seine Probleme reden kann?" Ich weiß nicht wo der trotz herkommt und besonders die Mut meine Mutter anzufahren, aber es tut gut. Es ist als würde ich wieder laufen, sowie ich von hier fortgelaufen bin. Es fühlt sich an, als würde ich mir wieder den Dreck von meiner Kleidung und von meinen Wunden schütteln, um neuen zu sammeln.

Meine Mom beginnt bei meinen harschen Worten zu schweigen. Ihre Schultern richten sich, doch wieder wird sie mir keine Antwort geben. Sie wird wieder schweigen, dass erkenne ich in ihren Augen die sich voller Wut auf mich legen. „Ich hatte erst gedacht, dass du was mit Connor hättest- ich hätte es ja noch akzeptiert. Aber dann bekomme ich dieses Bild zugeschickt und muss feststellen, dass es Ace ist." Meine Augen reißen sich allein bei dem Gedanken an Connor und mich auf. Er war nie mehr als ein Bruder. Ein wirklicher Bruder, der einen auffangen kann. Der nicht darüber nachdenkt, was richtig ist, sondern der das tut nach was ihm ist. Das ist der Grund, wieso er immer etwas besitzen wird, was viele andere nicht haben. Freiheit.

„Zwischen mir und Connor läuft nichts, Mom und das sollte dir auch bewusst sein. Außerdem hattest du doch gesagt, dass ich entscheiden kann, ob ich mit ihm befreundet sein kann oder nicht!"

Fauchend richte ich mich auf, spüre wie das Blut durch meinen erschöpften Körper gepocht wird. „Befreundet-ja. Aber nicht, dass du dich wie eine Schlampe aufspielen sollst! Und ganz besonders nicht bei ihm!" Ihre Worte sind mehr als schmerzhaft und sie scheint sie nicht einmal zu verstehen, als die unertragbare Stille zwischen uns gekehrt wird.

Es ist bloß das pochen meines Herzens, welches mir verrät das die Zeit noch weiter läuft. Das sie nicht stehen geblieben ist, während ich meiner Mutter in die Augen blicke und meine Hände zu Fäusten bilde. Ich spüre wie meine Nägel in mein Fleisch schneiden und es tut schon fast gut, den Schmerz zu spüren, der mich meinen Körper fühlen lässt.

„Ich hatte ehrlich gesagt, gedacht das du dich um deine Tochter sorgst." Heiser senke ich meinen Blick.
„Das du fragst, wieso sie ihren Freund betrogen hat. Das du fragst, wieso sie überhaupt so etwas tut, weil du sie kennst. Weil du sie kennen solltest."

Erneut begegnen sich unsere Augen. Erneut blicke ich auf eine Schicht von Eis, hinter der sie sich versteckt. „Aber ich habe vergessen, dass meine Mutter eine ebenso schandlose Verräterin ist, wie ihr eigen Fleisch und Blut."

Es ist wohl wahrscheinlich, dass ich es verdient habe. Das ich den roten Abdruck auf meiner Wange verdient habe. Das stechende Gefühl, dass sich über mein Gesicht zieht, dass mich den Schleier der Tränen aus purer Wut entstehen lassen lässt. Es ist wahrscheinlich gewesen und doch ist es gerecht.
Sie liefert mir den Beweis, dass bei ihr absolut nichts mehr so ist, wie es einmal war.

„Du hast Dad bereits fast vertrieben, mach so weiter und ich bin auch weg." Zischend gehe ich aus dem Wohnzimmer und sperre mich in meinem Zimmer ein, um meine Hand auf meinen Mund zu pressen. Meine Beine sacken endgültig unter mir zusammen, als ich an der Tür entlang gleite. Als ich das Holz auf meinem Rücken spüre, während ich auch ihren Schluchzern lausche. Als ich ihre zerbrochene Seele höre, nachdem ich sie gesehen und erlebt habe. Nachdem ich sie an den Abgrund gedrängt habe. Nachdem sie verzweifelt begann von ihr fort zu kriechen.

Ich bin noch an der Tür eingeschlafen, bevor ich am nächsten Morgen mit einem gewaltigem Muskelkater und einem verkrampften Nacken aufgewacht bin. Das einzige was ich an diesem Tag schaffte, war es die Pferde zu füttern. Meine Mutter war sonst wo und es war mir auch vollkommen gleich.

Ich muss bloß an meinen Vater denken, welcher unbeteiligt in dieser Situation ist. Aber ich werde auch nichts sagen. Ich werde nicht den Mist für meine Mutter machen.

Umso glücklicher bin ich, dass es heute wieder zur Schule geht. Ich habe zwar keine Ahnung wie alle nun auf das Foto reagieren, sowie auf Ians frühere Ankunft und auf Ace und mich. Ich versuche diesen Gedanken auch erst noch zur Seite zu schieben, jedoch muss ich mir eingestehen, dass die Nervosität daher kommt.

Aber ich komme von hier weg und das ist das wesentliche auf das ich mich konzentrieren muss.

Seufzend greife ich nach meiner Tasche und fürchte mich bereits nun beim hinaustreten. Doch das Haus ist wieder in seiner beunruhigenden Stille. Nur das schlagen der Blätter lässt mich darauf schließen, dass meine Mutter unten sitzen muss.

Ich mache mich gefasst und betrete die Küche, um sie wie den gestrigen Tag zu ignorieren. Wortlos greife ich einen Apfel und nehme die Jacke vom Stuhl um sofort hinauszustürmen.

„Denke an dein Hausarrest. Wenn du nicht pünktlich Nachhause kommst, bekomme ich dein Handy."

Augenrollend bleibe ich in der Tür stehen, betrachte sie, wie sie weiter auf die Zeitschrift starrt und nur nebensächlich mit mir geredet hat. „Denke daran, dass du mich ohne Handy nicht aufspüren kannst." Ebenso ignorant gehe ich weiter und lasse die Tür hinter mir ins Schloss knallen, ehe ich zur Bushaltestelle gehe. Ich habe das Verbot bekommen, dass Auto zu nutzen. Ich habe keine Ahnung was sie sich mit diesen Strafen erhofft, doch ich werde alles tun, damit sie sieht, dass ihr verhalten wesentlich Pubertärer ist, als das meine.

(Ex)change-Was sind dir (deine) Geheimnisse wertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt